Herzogenaurach. Standardsituationen standen auf dem Trainingsplan in der EM-Vorbereitung. Bisher war während des Turniers aber wenig davon zu sehen.

Bislang, und das wäre die gute Nachricht, wäre Joachim Löw billig davongekommen. Ganz anders als 2014. Damals, bei der WM in Brasilien, hatte der Bundestrainer eine Wette mit seinem Assistenten abgeschlossen. Der hieß Hansi Flick und war ein großer Fan von Standardsituationen – im Gegensatz zu seinem Chef. Flick wettete also, dass die deutsche Mannschaft beim Turnier ein Tor nach ruhendem Ball erzielen würde. Löw hielt dagegen. Wetteinsatz: ein Abendessen mit Partnerinnen.

DFB-Verteidiger Halstenberg räumt Teilschuld ein

Und es dauerte gerade einmal 32 WM-Minuten, da war der Einsatz fällig, da nämlich köpfte Mats Hummels einen Toni-Kroos-Eckball zum 2:0 ein. Am Turnier-Ende standen vier Tore nach Eckbällen, zwei nach Freistößen sowie ein Elfmetertor. Aktuell dagegen, nach zwei Spielen bei der Europameisterschaft, steht die Null. Null Tore nach Standardsituationen. Dafür, je nach Zählweise, ein bis drei Gegentreffer nach ruhendem Ball.

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Dabei hatte genau das ganz oben auf dem Pflichtenzettel für die EM-Vorbereitung gestanden. „Unsere Standards waren zuletzt total ausbaufähig, das wird ein Schwerpunkt werden“, hatte Löw zum Start der EM-Vorbereitung Ende Mai in Seefeld verkündet. Zu sehen war von dieser Vorbereitung wenig. Beim 0:1 gegen Frankreich sorgte Thomas Müller zwar einmal für Aufsehen, als er bei einem Freistoß in wildem Zickzack auf die Mauer zulief. Aber dann blieb er stehen – und Kroos schoss den Ball in die Mauer. Und das Gegentor fiel aus einem Einwurf, was den Bundestrainer mächtig ärgerte.

Beim 4:2 gegen Portugal klingelte es hinten nach einem Freistoß, weil die Portugiesen engagiert zum Ball liefen, während die Deutschen nur engagiert zusahen. Marcel Halstenberg, als Einwechselspieler in jener Szene auf dem Platz, räumt seine Teilschuld ein. „Da muss man durchlaufen und besser kommunizieren“, sagt er. „Am zweiten Pfosten standen drei Gegner frei, das darf nicht passieren.“

0:1 gegen Portugal fällt aus einem eigenen Eckball

Fast noch schlimmer: Das erste Gegentor fiel sogar aus einem eigenen Eckball. Weil gleich zwei Mann auf Geheiß des Trainerteams die rechte Seite sicherten und niemand die linke, wo am Ende Cristiano Ronaldo nach einem Sprint über das gesamte Feld auftauchte. „Portugal spielt auf Konter, auch bei gegnerischen Standards“, hatte Löw nach Abpfiff geschimpft. „Genau darauf haben wir hingewiesen und genau da laufen wir wieder rein.“

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Es wird ihm nichts anderes übrigbleiben, als noch einmal deutlich darauf hinzuweisen. „Bei einem Turnier ist es extrem wichtig, bei Standardsituationen gut auszusehen“, sagt Leon Goretzka. Viele Spiele werden durch Kleinigkeiten entschieden, ein gut getretener Eckball kann den Unterschied machen zwischen Titel und Turnier-Aus. „Wir haben das sehr viel trainiert“, sagt Goretzka. „Dass das bislang nicht so den Ertrag hatte, den wir uns gewünscht haben, ist auch klar.“ Und im letzten Gruppenspiel am Mittwochabend (21 Uhr/ZDF) wird Ungarn sein Heil vor allem in der Luft suchen, mit den aus der Bundesliga bekannten Profis Adam Szalai und Willi Orban hat der Außenseiter einige große und wuchtige Spieler im Kader.

Leon Goretzka ist optimistisch

Da wird der Kopf entscheidend sein – und nicht nur, weil er nun einmal der Körperteil ist, den man bei Standards am ehesten an den Ball bringt. „Wir werden weiter dran glauben müssen“, sagt Goretzka. „Überzeugung ist ein wichtiges Thema bei Standards. Jede Mannschaft kann dagegen gut verteidigen, da musst du mit aller Kraft und Überzeugung reinfliegen.“

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Der 1,89 Meter große Goretzka wäre ein Spieler, der das könnte – aber nicht der einzige. „Ich glaube, dass wir hervorragende Schützen und eine gute Präsenz mit guten Kopfballspielern haben“, sagt er. Subtext: Wird schon werden mit den Standardtoren. Und Löw könnte sich diesmal uneingeschränkt freuen: Nach allem, was man weiß, hat er aktuell keine Wette laufen.

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