Budapest. Portugal vereint noch mehr Klasse im Kader als beim EM-Triumph 2016. Für das Auftaktspiel gegen Ungarn ist der Titelverteidiger klarer Favorit.
Es kann vielleicht im Einzelfall doch die Europameisterschaft der kurzen Wege werden. Zumindest, wer das Turnier so angeht wie der Titelverteidiger. Nicht in Lissabon, Porto oder Faro, sondern direkt in Budapest hat die portugiesische Auswahl ihr Basiscamp bezogen. Trainingseinheiten werden im llovszky Rudolf Stadion ausgetragen, die vor zwei Jahren neu erbaute Heimstätte von Vasas Budapest. Ein netter Schauplatz im XIII. Bezirk, die bekannte Margareteninsel und der belebte Heldenplatz sind nicht weit weg.
Nur den berühmten Katzensprung ist es bis in die nach Ungarns großem Fußballidol Ferenc Puskas benannte Arena, in der sich die Selecao am Dienstag (18 Uhr/ZDF) als erster Gegner des Gastgebers Ungarn vorstellt. Ausverkauftes Haus, mehr als 60.000 patriotische Zuschauer werden erwartet. Die ungarische Hauptstadt ist elektrisiert von diesem Erlebnis.
Cristiano Ronaldo spielt seine fünfte EM
Die Augen werden sich in dem Hexenkessel unweigerlich auf Cristiano Ronaldo richten, der als erster Spieler bei einer fünften EM zum Einsatz kommen dürfte. Klar, dass der Superstar selbstbewusst hinausposaunte: „Ich bin bei dieser Euro, als ob es die erste wäre. Ich fühle mich so motiviert oder noch motivierter als 2004 bei meiner ersten Europameisterschaft.“
Und wenn CR7 in der pompösen Schüssel der ungarischen Hauptstadt noch ein Tor schießen sollte, hätte der Strahlemann auch noch gleich den nächsten Rekord als alleiniger EM-Rekordtorschütze sicher: Bislang teilt sich der Portugiese mit dem Franzosen Michel Platini bei neun Treffern diese Bestmarke. Deshalb sind die Debatten auch müßig, ob der 36-Jährige überhaupt noch gut genug ist.
Fernando Santos, der listige Nationaltrainer, macht das Fass gar nicht auf. „Keine Mannschaft der Welt kann ohne den besten Stürmer der Welt besser sein als mit ihm.“ Er will seinen instinktsicheren Torjäger so nah wie möglich am gegnerischen Strafraum postieren, der Rest der Hochbegabten liefert zu.
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Einer allerdings kann nicht mitmachen: João Cancelo wurde positiv auf Corona getestet. Die Stammkraft von der rechten Außenbahn hat sich in Budapest in Isolation begeben. „Widerstandskraft ist die Fähigkeit, sich von Krisen zu erholen und daraus zu lernen“, schrieb Cancelo bei Instagram. Seine Mannschaft ist in der Überwindung von Widerständen wahrhaft meisterlich, wer an das bislang letzte EM-Spiel zurückdenkt. Die Menschenmenge im Stade de France in Paris pfiff und schrie beim Finale 2016, als Ronaldo sich erst vor Schmerzen auf dem Rasen krümmte, dann am Spielfeldrand den Einpeitscher gab. Der Gastgeber Frankreich biss sich die Zähne aus: Am Ende holte Portugal nach dem Jokertor von Éder Lopes den Titel.
Portugal: Kein Mangel an Künstlern
Der inzwischen 33 Jahre alte Matchwinner ist nicht mehr dabei; zu hoch ist schlicht die Qualität an Fußballern, die von den vielen Talentschmieden im Südwesten Europas ausgespuckt wird. Vor allem an Unterhaltungskünstlern in der Offensive herrscht kein Mangel: Bernardo Silva (Manchester City), Bruno Fernandes (Manchester United), João Felix (Atlético Madrid) und Diogo Jota (FC Liverpool) sind in europäischen Topklubs unterwegs, dazu kommt mit André Silva (Eintracht Frankfurt) noch der zweitbeste Torschütze der vergangenen Bundesliga-Saison.
Viele glauben tatsächlich, dass der portugiesische Kader mehr Klasse vereint als beim EM-Triumph 2016. Dort quälte sich das Team in der Vorrunde zu drei Unentschieden gegen Island, Österreich und Ungarn – und benötigte anschließend gegen Kroatien die Verlängerung, gegen Polen das Elfmeterschießen, um sich dann endlich im Halbfinale gegen Wales zu einer überzeugenden Vorstellung durchzuringen. Die latente Kritik an der defensiven Spielweise ließ Santos locker an sich abprallen wie die ständigen Hinweise, dass Rauchen nicht gesund sei. Jetzt lautet die Ansage des 66-Jährigen: „Wir nehmen die Rolle als Titelkandidat an.“