Hagen. Die Person Ronaldo ist kein Widerspruch mehr. Ronaldo war bei der EM keine Diva mehr, die beleidigt war, wenn sie nicht den Ball bekam. Ein Kommentar.
Portugal also Europameister. Und das bei dieser Vorgeschichte. Drei Unentschieden in der Vorrunde. Als Gruppendritter weiter. Mit Ach und Krach ins Halbfinale, wo gegen Wales der erste Sieg in der regulären Spielzeit gelang. Und dann im Finale alles abgewehrt, was Frankreich an Attacken ausrollte. 1:0 nach Verlängerung, weil Eder ein Kunstschuss aus 22 Metern gelungen war (108. Spielminute). Den EM-Gastgeber im eigenen Stadion Stade de France in Paris Saint-Denis besiegt: Fußballmärchen können so schön einfach sein. Wenn da nicht Cristiano Ronaldo wäre.
Ronaldo beugte sich dem Diktat des Nationaltrainers Santos
Diese EM bestärkt uns Deutsche, dass wir nicht allein auf Einzelkönner setzen, sondern auf Mannschaftsgeist: Bei den Turnieren der Neuzeit kann nur bestehen, wer als Team alle Kräfte auf ein gemeinsames Ziel bündelt. Zuerst schieden die Schweden mit ihrem Superstar Ibrahimovic aus, dann England mit Rooney, Polen mit Lewandowski, Belgien mit De Bruyne. Mit einfachsten Mitteln des Fußballs konnten Mannschaften wie Wales und Island die Großen düpieren.
Die Person Cristiano Ronaldo ist jetzt kein Widerspruch mehr.
Portugals Finalsieg bei der Europameisterschaft hat die These belegt — trotz oder gerade wegen Cristiano Ronaldo.
Jahrelang hat der weltbeste Fußballer ein Spektakel um seine Person veranstaltet, wenn es mit Portugal zu einem Turnier ging. Immer sind die Portugiesen seit ihrem Finaleinzug 2004 vorzeitig gescheitert. Immer entstand der Eindruck: Ach hätte Ronaldo nur Mitspieler um sich herum wie bei Real Madrid, um endlich die Trophäe zu gewinnen.
Diesmal war alles anders. Zum einen: Cristiano Ronaldo beugte sich dem Diktat des Nationaltrainers Santos und leistete Defensivarbeit. Er tauchte am eigenen Strafraum auf, lief Gegenspielern Richtung eigene Hälfte nach, riskierte Zweikämpfe. Zum anderen: Als er von den aggressiven Franzosen Evra und Payet so schwer verletzt wurde, dass er nach 25 Spielminuten ausgewechselt werden musste, tat Cristiano Ronaldo etwas, das man allenfalls von Per Mertesacker bei der WM 2014 kannte. Er stand an der Außenlinie, feuerte die Mitspieler an, zeigte Löcher in den Abwehrreihen an. Fehlte nur noch, dass er Getränke reichte.
Das war nicht mehr die Diva, die beleidigt war, wenn sie nicht den Ball bekam. Das war ein Teamplayer. Einer, der eben anders auftrat als Ibrahimvic in diesem Turnier. Wer bis Sonntag Ronaldo nicht mochte: Jetzt mag man ihn. Und Portugal, ganz auf die Defensive ausgerichtet, spielte übrigens besser ohne ihn. Und ist verdientermaßen Europameister.
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