Essen. Mittelstürmer waren beim DFB lange nicht gefragt. Gegen Frankreich fehlte einer. Özil, Götze, Müller trafen nicht. Wer wird der Gomez-Nachfolger?
Horst Hrubesch hat keine Lust mehr, etwas auf diese Frage zu entgegnen. „65 Mal“ habe er sie doch schon beantwortet. Selbstverständlich gebe es den klassischen Mittelstürmer, so wie er einer war, immer noch. Und natürlich, so unterstreicht der Cheftrainer der deutschen U21-Nationalmannschaft, würden hierzulande auch weiterhin Mittelstürmer ausgebildet. „Gehen Sie zu den Juniorenturnieren, gehen Sie zu den Vereinen, da sehen Sie solche Spieler“, lautet seine Empfehlung.
Aus Hrubeschs Sicht ist es nur eine Modeerscheinung, dass jetzt mal wieder über dieses Thema debattiert wird. Nach dieser Europameisterschaft ist es allerdings auch keine Überraschung. Deutschland schoss sieben Tore in sechs Spielen, der amtierende Weltmeister rangiert in dieser Statistik nicht nur hinter den Finalisten, sondern auch hinter Wales, Belgien und Island.
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Die beiden einzigen deutschen Stürmertore gingen auf das Konto von Mario Gomez – dem einzigen klassischen Mittelstürmer. Im Halbfinale gegen Frankreich fehlte er wegen eines Muskelfaserrisses und so fehlten auch seine Treffer. „In meinen Augen braucht man gegen extrem tief stehende Gegner, so wie wir sie erlebt haben, richtige Mittelstürmer, die im Strafraum etwas ausstrahlen“, bemängelte Mats Hummels nach dem 0:2. „Da tut einer wie Mario Gomez mit seiner körperlichen Wucht und Kopfballstärke sehr gut“, war er überzeugt.
In seiner Analyse klang der Verteidiger aber fast anachronistisch. Denn der Fußball der DFB-Elf hat sich in den letzten etwa zehn Jahren neu erfunden. So hat es Raphael Honigstein in seinem Buch „Der vierte Stern“ genannt. Weg vom kraftstrotzenden Defensivfußball, welcher die deutsche Nationalmannschaft bis zum Anfang des Jahrtausends kennzeichnete, hin zu einem variablen, von Ballbesitz und schnellen Kombinationen geprägten Stil. So besiegte das Team von Joachim Löw im Jahr 2014 Brasilien mit 7:1 und wurde Weltmeister.
Bundesliga-Torjäger Meier und Kießling chancenlos bei Löw
Vor jenem Turnier hatte Löw gesagt: „Man braucht keine großen, kräftigen Stürmer mehr.“ So wie Spanien, das erklärte Vorbild der deutschen Mannschaft. Da war es fast logisch, dass Stefan Kießling, Torschützenkönig der Bundesliga-Saison 2013, in der Nationalmannschaft immer nur eine Nebenrolle spielte. Und Alexander Meier, der sich 2015 die Kanone holte, gar keine. Der Mittelstürmer galt als Typus überholt, nur Miroslav Klose war auf so vielseitige Weise torgefährlich, dass er seiner Mannschaft irgendwie immer half.
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In aller Munde war jedoch die falsche Neun. „Wenn du ein Auto wählen müsstest, um durch die Altstadt zu fahren und dort einen Parkplatz zu finden, welches würdest Du wählen: einen Smart oder einen Kleinbus?“, fragte DFB-Chefscout Urs Siegenthaler, um die neue Strategie zu erläutern. Die Smarts heißen Mario Götze, Mesut Özil, André Schürrle, Julian Draxler – und auch Thomas Müller, dessen EM-Fluch (null Tore) weitergeht. Kleinere, dafür aber technisch enorm beschlagene Angreifer. Mit Leroy Sané und Julian Brandt stehen schon zwei weitere, besonders schnelle Modelle in den Startlöchern.
Wird Selke der neue Gomez?
Die EM hat allerdings gezeigt, dass man auch mindestens einen offensiven Kleinbus im Kader haben sollte, besser zwei – für den Fall, dass der erste liegen bleibt. So wie Gomez, der am Sonntag seinen 31. Geburtstag feiert. Weil er offenbar nicht über solch einen Wunderkörper wie Klose verfügt, dürfte seine Karriere nicht mehr all zu lange andauern.
In der Bundesliga gibt es kaum torgefährliche Mittelstürmer, die einen deutschen Pass besitzen und das Erbe von Gomez antreten könnten. Beim Aufsteiger RB Leipzig wird man allerdings fündig. Der Spieler heißt Davie Selke, ist 21 Jahre alt und 1,91 Meter groß. Bei seinem Ex-Klub Werder Bremen gab es auch Kritik – weil er als altmodischer Stürmer galt. Aber Tore schießen kann er: Zehn in der letzten Zweitliga-Spielzeit und fünf in nur sechs Spielen für deutsche U21. Sein Trainer dort? Horst Hrubesch.