Lille. Seit Tagen steht die französische Stadt im Zentrum der Hooligan-Debatte. Die Lage eskaliert erstmals durch betrunkene englische Fußballfans und hypernervöse Polizisten.
- Lille steht seit Tagen im Zentrum der Hooligan-Debatte
- Englische Männerhorden lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei
- Lage eskaliert durch englische Fußballfans und hypernervöse Polizisten
So langsam hat Lille tatsächlich den Ruf eines Kriegsgebietes. Seit Tagen steht die hübsche Stadt im Norden Frankreichs im Mittelpunkt der Hooligan-Debatte, die diese Europameisterschaft überschattet. Doch erst in der Nacht zum Donnerstag kam es tatsächlich zu ernsteren Unruhen. Englische Männerhorden randalierten, lieferten sich Auseinandersetzungen mit der Polizei, 36 Menschen wurden festgenommen, zwölf ließen sich in Krankenhäusern behandeln.
Überreaktion der Polizei
„Denkt doch bitte an die größeren Zusammenhänge, die Franzosen müssen sich hier mit einem echten Sicherheitsproblem auseinandersetzen!“, sagte Martin Glenn, der Geschäftsführer des englischen Fußballverbandes FA, am Donnerstag in Anspielung auf die Terrorgefahr. Offenbar glaubt er daran, dass die Leute doch noch zur Vernunft zu bringen sind.
Und das ist keinesfalls utopisch, denn die Ausschreitungen von Lille waren von einer völlig anderen Qualität als die Schlacht von Marseille vom vorigen Wochenende. Hier fehlten die brutalen Schläger aus Russland, die ihr blutiges Werk perfekt organisiert und hemmungslos durchgeführt hatten. Dafür war diesmal die Polizei präsenter und hat vorhersehbare Fehler gemacht.
Natürlich ist es eine komplizierte Herausforderung, die richtige Strategie im Umgang mit einem schwer betrunkenen und mit Testosteron geladenen Mob zu finden. Aber die deutschen Beamten, die ihre französischen Kollegen rund um die Spiele der DFB-Elf unterstützen sollen, hatten schon vor der EM vor dem Szenario gewarnt, das sich nun in Lille ergab.
„Oftmals ist es ja so, dass Fans sehr wortgewaltig und vom Auftreten her sehr imposant Plätze, ganze Straßenzüge in Beschlag nehmen“, hatte Rainer Pannenbäcker, der Direktor des Landesamtes für Zentrale Polizeiliche Dienste in NRW, erklärt. In solchen Momenten bestehe die Gefahr, dass „für einen Polizeibeamten, der nicht so vertraut ist mit Fußballeinsätzen, der Eindruck entsteht, dass sich eine Gewalttätigkeit anbahnt, was aber de facto nicht so ist“. Das sei in Lille passiert.
Begonnen hatten die Krawalle, als trinkende Engländer in Bahnhofsnähe einige Russen beschimpften, die nach dem Spiel ihres Teams aus dem Stadion in die Innenstadt zurückkamen. Ein Feuerwerkskörper explodierte, die Masse setzte sich in einem Anfall kollektiver Panik in Bewegung, das erste Tränengas kam zum Einsatz.
In den Stunden danach lagen die Nerven derart blank, dass die Polizei offenbar mehrfach große Gruppen singender und grölender Fans auflöste, die bedrohlich wirkten, provozierten, von denen aber keine konkrete Gewalt ausging. So kam es zu den Jagdszenen, von denen viele Videos im Netz kursieren.
Tatsächlich war es keine Hooligan-Schlacht, die in den Straßen von Lille stattfand. Es handelte sich vielmehr um Auseinandersetzungen der Polizei mit betrunkenen, grobschlächtigen und vielleicht auch gewaltbereiten Fans, unter die sich nach dem Abpfiff der Partie Frankreich – Albanien auch viele euphorisierte Franzosen mischten.
16 Verletzte durch Tränengas
Der Tenor vieler Leute, die die vergangenen Tage in Lille erlebt haben, lautet daher trotz der bedrohlich wirkenden Bilder: „Das war harmlos hier.“ Es gab keinen Schwerverletzten, 16 Menschen ließen sich in Krankenhäusern behandeln, die meisten wegen der Wirkung des eingesetzten Tränengases.
Ob sich das aktuell stereotype Bild der Fußball-Anhänger ändert? Die Russen jedenfalls sind ein willkommenes Feindbild, wenn es um das Finden eines Hauptschuldigen geht. Die Engländer werden dabei eher wohlwollend betrachtet. Der russische Stürmer Artyom Dzyuba hat englischen Medien vorgeworfen, sie würden ihre randalierenden Landsleute „als Engel darstellen“, als Opfer der bösen Russen. In Lille waren es unzweifelhaft die Fans von der Britischen Insel, die mit ihren Gesängen und Provokation eine explosive Gesamtlage zur Eskalation brachten.