Paris. Eine Fußball-EM mit 51 Hochrisiko-Spielen: Ein Großaufgebot soll das Turnier in Frankreich schützen. Doch die Terrorangst spielt mit.

Zu Dutzenden liegen in weiße Schutzanzüge gehüllte oder mit silberner Folie bedeckte Menschen auf dem Spielfeld des Fußballstadiums. Ärzte und Feuerwehrleute mit Atemmasken kümmern sich um die Verletzten, während im Hintergrund schwerbewaffnete Ordnungskräfte eilig die letzten Zuschauer evakuieren. Zwei Hubschrauber kreisen über dem Geschehen, Sirenengeheul zerreißt die Luft. Ein Horrorszenario.

Es war ihr eigener, ihr schlimmster Albtraum, den die französischen Sicherheitskräfte vor wenigen Tagen in der Sportarena von Toulouse in Szene setzten. Eine Übung, an der Polizei, Gendarmerie, Armee, Feuerwehr, Notärzte und Hunderte Freiwillige teilnahmen und bei der ein terroristischer Angriff simuliert wurde. Beinahe zeitgleich, so die Annahme, erfolgten dabei Bombenanschläge auf den Flughafen der südfranzösischen Stadt und auf die in deren Zentrum eingerichtete Fan-Meile sowie ein Giftgasangriff auf die Fußballarena „Stade municipal“. Das Stadion gehört zu den Austragungsorten der Fußball-Europameisterschaft zählt, die am 10. Juni angepfiffen wird.

Präsident Hollande verspricht maximale Sicherheit

Die Angst vor einem Anschlag auf die EM in Frankreich ist schon seit den Pariser Attentaten vom 13. November groß. Und sie ist noch einmal gestiegen nach der Festnahme des Islamisten Mohamed Abrini, der an den Brüsseler Anschlägen im März beteiligt war. Gleich in seinem ersten Verhör soll Abrini enthüllt haben, dass ursprünglich nicht Brüssel das nächste Anschlagziel der Dschihadisten gewesen sei – sondern die EM.

Staatspräsident Francois Hollande hat den Franzosen für die EM „maximale Sicherheit“ versprochen. Er wollte das vierwöchige Sport-Spektakel im eigenen Land auf gar keinen Fall abblasen, obwohl Hollande selbst im Pariser Stade de France auf der Tribüne saß, als sich am 13. November beim Freundschaftsspiel Frankreich-Deutschland vor den Stadiontoren drei Terroristen in die Luft sprengten. Nur wenige Minuten später griffen zwei weitere Killerkommandos mehrere Pariser Bars und den Konzertsaal Bataclan an. 130 Menschen fielen der Anschlagsserie zum Opfer.

Auch die Tour de France gilt als potenzielles Terrorziel

Nun soll die EM mit drastischen Sicherheitsmaßnahmen abgeschirmt werden. Denn es geht nicht allein um die EM. Auch die große Parade zum französischen Nationalfeiertag am 14. Juli auf der Pariser Prachtstraße Champs Elysées sowie die Anfang Juli startende Tour de France gelten als potenzielle Anschlagsziele. Um mit allen verfügbaren Kräften aufwarten zu können, will die Regierung den im November verhangenen Ausnahmezustand bis Ende Juli verlängern. Die hierfür nötige Zustimmung der Nationalversammlung gilt als gewiss.

Mit anderen Worten: Obwohl sich Polizei, Gendarmerie und Armee schon längst vor ihre Belastungsgrenzen gestellt sehen, werden sie weiterhin mit mehr als 10.000 Mann Tag und Nacht öffentliche Einrichtungen, Touristenziele, Flughäfen, Bahnhöfe, die Pariser Metro sowie Schulen, Unis und Gotteshäuser bewachen – so gut es eben geht. Auch die Grenzkontrollen bleiben deshalb vorerst bestehen.

Auch „Geisterspiele“ ohne Publikum sind möglich

Um die Mammutaufgabe zu bewältigen, vom Anstoß am 10. Juni bis zum EM-Finale am 10. Juli 51 Spiele in zehn Städten lückenlos zu überwachen, wurde ein Budget von 400 Millionen Euro bewilligt. Tausende private Sicherheitskräfte wurden neu eingestellt.

Zusätzlich zu den ohnehin sehr strengen Eingangskontrollen an den Stadien sind erste Sicht- und Gepäckkontrollen schon weit vorher an Absperrungen auf sämtlichen Zufahrtswegen geplant. Wobei sich Regierung und Veranstalter vorbehalten, bei konkreter Anschlagsgefahr auch Geisterspiele ohne Publikum stattfinden zu lassen.

Doch die Stadien, die sich laut einem hohen Polizeioffizier „relativ leicht absichern lassen“, sind nicht das größte Problem. Ungleich mehr Sorgen machen den Verantwortlichen die landesweit geplanten Fan-Meilen, wo im Verlauf des Turniers rund sieben Millionen Besucher erwartet werden.

Große Sorgen um die Fan-Meilen in den Städten

Zwar versprach Premierminister Manuel Valls, dass sämtliche Public-Viewing-Veranstaltungen dank Zugangskontrollen, Metalldetektoren und Überwachungskameras ebenso gründlich gesichert werden wie die Stadien. Aber das ist leichter gesagt als getan.

Schon weil der Zugang zu den Fan-Meilen jedem offen steht und es mangels Kartenverkauf auch keine Kontrollen im Vorfeld geben kann, bezeichnen Sicherheitsexperten sie als ideale Ziele für Attentäter. „Große Menschenansammlungen stehen aus der Sicht von Terroristen für ein Maximum an potenziellen Opfern“, warnt der ehemalige Geheimdienstoffizier Jean-Charles Brisard. Auch der französische Terrorismus-Experte Alain Bauer ist beunruhigt: „Wo und wann Public-Viewing stattfindet, ist bereits jetzt bekannt. Folgerichtig haben mögliche Attentäter alle Zeit der Welt, die Orte auszukundschaften und ihre Anschläge detailliert vorzubereiten.“

„Es bleibt ein mulmiges Gefühl“

„Je größer, desto gefährlicher“, umreißt Frédéric Péchenard, ein Führungsmitglied der konservativen Republikaner-Partei, die Gefahr. Den früheren Polizei-Generaldirektor entsetzt vor allem, dass das gesamte Marsfeld am Pariser Eiffelturm in eine gigantische Fan-Meile für 100.000 Besucher verwandelt werden soll. „Das bedeutet, den Terroristen die Möglichkeit für ein Massaker auf dem Silbertablett zu servieren“, schimpft Péchenard.

Ende März beantragten die Republikaner im Pariser Stadtrat ein Verbot der Fan-Zone unter dem Eiffelturm. Doch Bürgermeisterin Anne Hidalgo setzte das Projekt durch, da die EM ein „Fest für möglichst viele Leute“ werden solle.

Die Sicherheitsbehörden bereiten sich jedenfalls auf das Schlimmste vor. Übungen wie die in Toulouse haben bereits in vier der zehn EM-Austragungs-Städte stattgefunden, weitere werden in den Wochen bis zum 10. Juni folgen. „Wir spielen alle denkbaren Anschlagsszenarien durch, im Ernstfall dürfen wir auf keinen Fall überrascht werden“, erklärte ein hoher Beamter im Innenministerium unserer Redaktion. „Aber“, so fügt er hinzu, „natürlich bleibt da immer ein Restrisiko und schon deswegen ein mulmiges Gefühl“.