Hamburg. Ein Eigentor bringt Hamburg aus der Spur. Favorit RB Leipzig setzt sich gegen den Zweitligisten durch und fährt zum Endspiel nach Berlin.
Die Anzeigentafel im Volksparkstadion zeigte 22:32 Uhr an, als sich gefühlt noch einmal ganz Hamburg erhob. Es liefen die letzten Sekunden eines berauschenden Pokalabends, den RB Leipzig am Ende mit 3:1 für sich entscheiden sollte. Die HSV-Fans nahmen ihre Schals ein letztes Mal in die Hände, sangen „Mein Hamburg lieb ich sehr“ und zollten ihren Helden in kurzen Hosen den verdienten Respekt. Es folgte der Schlusspfiff – und die Gewissheit, dass der große Traum vom Pokalfinale in Berlin sich für den HSV auch nach 32 Jahren nicht realisieren lassen sollte.
„RB ist das Team der Zukunft“ hatte das Onlineportal „Spiegel Online“ wenige Stunden vor dem Anpfiff noch geschrieben. Und diese Überschrift war – aus Hamburger Sicht leider – nur bedingt zutreffend. Denn wie die Leipziger direkt zu Beginn dieses Halbfinals eindrucksvoll unter Beweis stellten, sind sie viel mehr das Team der Gegenwart. 13 Spiele in Folge hatte die Mannschaft von Ralf Rangnick in der Bundesliga nicht mehr verloren. Und so war es nach nur konsequent, dass sich die beste Defensive der Bundesliga ihre Serie auch nicht durch den HSV kaputt machen ließ.
Wirklich gefordert wurde diese Goliath-Abwehr vom Pokal-David zunächst ohnehin nicht. Dabei wusste Hannes Wolf mit einigen taktischen Finessen zu überraschen. Der HSV-Trainer setzte auf eine Dreierkette, stellte aber Mittelfeldmann Vasilije Janjicic erstmals ins Abwehrzentrum. Die Idee dahinter: Der passsichere Schweizer sollte bei Ballbesitz das Spiel von hinten aufbauen, dafür durfte sich Defensivmann Gideon Jung im offensiven Mittelfeld austoben.
Poulsen erzielt frühe Führung
Ein klassischer Fall von gut gedacht, aber nicht gut gemacht. Ein Fehlpass von eben jenen Janjicic führte bereits nach gut zehn Minuten zur ersten Ecke – und diese wenige Sekunden später zum ersten Treffer (12.). Leipzigs Däne Yussuf Poulsen durfte frei zum 1:0 einköpfen.
Der Großteil der 52.365 Zuschauer, die den HSV trotz allem lautstark nach vorne peitschten, schwante nach der Anfangsviertelstunde Böses. So war es wenig später nur dem heldenhaften Einsatz des linken Torpfostens zu verdanken, dass weder Poulsen noch Marcel Sabitzer das ansonsten leere HSV-Tor nicht trafen. Der berühmte Stecker wäre in diesem Moment gezogen worden.
Wurde er aber nicht. Und das Spektakel sollte nun erst so richtig beginnen. Bakery Jatta, der erstmals überhaupt als ein verkappter Rechtsverteidiger begann, tauchte plötzlich links vorne auf, stibitzte Kevin Kampl den Ball und schoss diesen aus 25 Metern aufs – und zur Überraschung aller ins Tor. 1:1 nach 23 Minuten – wer hätte das gedacht?
Möglicherweise Hamburgs Vorstandschef Bernd Hoffmann, der bereits vor dem Spiel regelrecht ins Schwärmen geraten war. „Dieses Spiel ist eine einmalige Chance, den HSV-Fans etwas zu schenken“, hatte Hoffmann in der ARD gesagt. „Alle, die heute dabei sind, können Historisches schaffen. Das heute ist ein Fußballfeiertag für den HSV, der größte seit zehn Jahren.“
Eigentor bringt HSV aus der Spur
Genau genommen der größte seit zehn Jahren und einem Tag. Denn genau so lange war es her, dass der HSV im Rahmen der Werder-Wochen letztmals im Pokalhalbfinale stand – und tragisch-traurig 1:3 nach Verlängerung gegen Bremen ausschied. Ein traumatisches Erlebnis, das sich in dieser Form an diesem Abend bloß nicht wiederholen sollte: „Vergesst die Angst, die mal war! Der Sieg ist unser, na klar!“, stand auf einem Transparent, das bei Anpfiff quer über der Nordtribüne gespannt war.
Und wirklich: Die Angst vor den pfeilschnellen Leipzigern wich mehr und mehr der hoffmannschen Zuversicht, tatsächlich Historisches zu schaffen. Lediglich eine Chance von Timo Werner (27.) musste die HSV-Hintermannschaft in der ersten Halbzeit noch überstehen. Auf der Gegenseite hatte dagegen alleine Khaled Narey zwei Riesen-Möglichkeiten (32. und 42.) nach zwei Riesen-Vorlagen durch den bärenstarken Douglas Santos. Als Schiedsrichter Felix Brych nach 45 atemberaubenden Minuten zur verdienten Pause bat, wurden die Protagonisten mit einem donnernden Applaus in die Halbzeit verabschiedet.
Der guten Stimmung sollte es auch keinen Abbruch tun, als kurz nach dem Wiederanpfiff Leipzig erneut in Führung ging. Beim Versuch, Poulsens Kopfball noch von der Linie zu kratzen, drosch Janjicic den Ball ins eigene Tor (53.).
"Wir fahren nach Berlin"
Der HSV setzte nun alles auf eine Karte, brachte Stürmer Hee-chan Hwang für Außenverteidiger Josha Vagnoman – und wurde für den Mut dennoch nicht belohnt. Nachdem Leipzigs Forsberg zunächst noch zu genau zielte und nur die Latte traf (69.), machte es der Schwede zwei Minuten später besser und sorgte für den frühzeitigen 1:3-Schlusspunkt (71.). „Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin“, sangen nun die 4300 mitgereisten Leipziger. Und der HSV? Der fährt nach Berlin – am Sonntag. Zu Union.