Dortmund. Eine unmögliche Mission: Karten für das Champions-League-Spiel zwischen Borussia Dortmund und Real Madrid zu besorgen. Ein Selbstversuch von Montag, 18.45 Uhr, bis Dienstag, 12.45 Uhr.
Sie sind Dortmunder Jungs, sie sitzen seit Sonntagabend vor den Türen der Geschäftsstelle, ganz vorn, dort, wo am Dienstag ab 8.30 Uhr die letzten Tickets für das Spiel gegen Real Madrid über die Ladentheke gehen. Mit Grill, mit riesigem Zelt. „Nur die Reporter gehen mir langsam auf den Sack“, sagt der eine junge Mann, Typ Nachwuchs-Vierschrot mit heiserer Stimme. Schweigen. Kein Reporter da, es geht um Karten, Karten für meinen alten Herrn. Ein Undercover-Einsatz.
Wie sie es geschafft haben, zwei Tage frei zu bekommen, werden sie vom TV gefragt. „Bin krank geschrieben“, sagt der Vierschrötige in die Kamera. Der Fernseh-Typ hat zugesichert, dass er das wieder rausschneidet. Der Heisere kann nur hoffen, dass es auch so ist.
Der Parkplatz der BVB-Geschäftsstelle sieht so ähnlich aus wie der Strand von Capri im Sommer. Zelte, Schirmchen, Korbsessel, Klappstühle, aufblasbare Betten – alles, worauf sich zumindest sitzen lässt, ist längst angeschleppt. Alle schön hintereinander weg. Wer zuerst kommt, aalt zuerst.
19.10 Uhr: Die Sonne scheint. Also: schien lange. Bis jetzt. Jetzt fängt es an zu nieseln. Leichter Regen. Leichter Ärger.
Wie viele Karten es gibt? Weiß keiner. Beziehungsweise alle. „Ich habe gehört 1500“ – der Redner erntet zufriedenes Lächeln. „Ich habe gehört nur 500.“ Jeder weiß nichts, alle reden drüber. Wie im Stau. Vollsperrung im schwarz-gelben Fußball-Wunderland.
Die Stunden ziehen dahin, die Schlange wird länger. Irgendwann wird der erste Hotel-Gast aus dem Steigenberger den Wegelagerern wohl einen Euro in den BVB-Fan-Hut werden.
22.10 Uhr: Plötzlich tut sich eine Lücke auf. Niemand weiß, warum, niemand weiß, wieso, aber alle wissen, dass es eine Chance ist. Umziehen, sofort. Da lohnt es sich, flexibel und beweglich zu sein. Nicht wie die Jungs, die gerade noch die Simpsons auf ihrem Fernseher geguckt haben. Zehn, zwanzig; fünfzig, hundert Meter geht es für alle voran. Für manche noch mehr. Das provoziert schlechte Laune.
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Drei Ordner gibt’s. Sie können schon nichts mehr ordnen. „Ich kann nichts machen, ich kann niemanden wegschicken. Dann bin ich der Buhmann, dann eskaliert die Lage“, sagt einer.
Es soll bloß nicht eskalieren, dann kommt die Polizei, und dann sind auch die Karten für den Vierschrötigen ganz vorn futsch. Er versucht zu moderieren.
„Ab fünf Uhr gibt’s da Krieg“, sagt eine Blondine scheinbar wissend. Sie hat den letzten beruflichen Termin des Tages ausfallen lassen, um hier sein zu können. Eine Reifenpanne, tut mir leid, kann nicht kommen. Nun hat sie Hunger bekommen, fährt los und meldet sich später von unterwegs. „Ich habe eine Reifenpanne.“ Ihr Platz in der Schlange – stark gefährdet. Manchmal hat das Schicksal merkwürdige Launen.
0.50 Uhr: Schlaf ist einen Versuch wert. Die Kühle des Asphalts kriecht schnell am Körper empor, der Luftzug vorbeirauschender Lkw zerrt am Zelt.
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5.20 Uhr: Silhouetten hasten über die Zelthaut. Was ist los? Ganz vorn wird angefangen, kleine gelbe Kärtchen zu verteilen. Berechtigungsscheine für zwei Karten, Berechtigungsscheine für die Magie des Stadions. Eine Nacht, kurz und kühl – und königlich? Die Hoffnung ist es, die alle eint.
5.50 Uhr: Aber das Chaos bricht aus, die Letzten mischen sich unter die Ersten. Gedränge, Geschiebe, Wut. Eine gefährliche Mischung. Es gibt Schlägereien, der Krankenwagen fährt vor, die Polizei kommt später. Die blanke Angst, keine Karte mehr bekommen zu können, regiert. Echte Hiebe.
6.30 Uhr: Nur langsam beruhigt sich die Lage, weil klar wird, dass fast alle ein gelbes Kärtchen kriegen. Aber von dort aus ist es noch ein weiter, ein sehr weiter Weg.
7.30 Uhr: Dicht an dicht stehen die Menschen in einer Reihe. Sie haben nicht geschlafen, sie haben nicht gefrühstückt, und sie haben seit Stunden kaum noch ihre Beine bewegen können. Graue Gesichter. Es gibt Frühstück: Prinzenrolle. Oder Pils.
8.30 Uhr: Die Tore müssten sich öffnen, Karten verteilt werden. Aber es geht nicht voran. Von einem technischen Defekt ist die Rede. Die Fans warten darauf, dass ihnen jemand sagt, wie es weitergeht. Die verflixten Tickets. So nah und doch so fern.
10 Uhr: Irgendwann werden die Fans an diese Stunden zurückdenken, ist ja eine Geschichte, die man erzählen kann. Die Mühen, die Plackerei, das Warten. Jetzt aber rufen sie: „Wir hamm die Schnauze voll.“ Und: „In keinem Dorfkiosk wartet man so lange.“ Zumindest der Ablauf hat sich nun herumgesprochen: Die gelben Kärtchen sind nummeriert. Einer nach dem anderen wird hereingewunken.
12.15 Uhr: „Länger als 12 Uhr haben wir hier noch nie gestanden“, sagt der wachsame Türsteher. Naja, irgendwann ist immer das erste Mal. Real sprengt alle Dimensionen. Manche scheitern kurz vor dem Ziel, weil sie längst zur Arbeit müssen, weil sie das gelbe Kärtchen falsch ausgefüllt haben. Ein Kopfschütteln, das weh tut.
12.45 Uhr: Die 436 darf auch rein. Zwei Karten, weit oben, weit an der Seite, aber nebeneinander. Für 70 Euro. Zusammen. Wahrhaftig. Karten für Real. Hinter dem Schalter steht in dicken gelben Buchstaben ein Dortmunder Marketing-Motto geschrieben: „Freude dauert länger als 90 Minuten.“
Ärger manchmal auch.
Aber: Vadda, du hast Karten!