Hagen. Am 27. August 2003 scheiterte Borussia Dortmund im Elfmeterschießen am FC Brügge - keine Champions League, keine Millionen, Zusammenbruch. 2011 hat BVB-Chef Hans-Joachim Watzke den Kampf um das Überleben des Vereins gewonnen - und erinnert sich.

Den Abend des 27. August 2003 hat Hans-Joachim Watzke noch genau vor Augen. Es sind keine schönen Erinnerungen. Als der letzte Elfmeter getreten war, wusste er: „Jetzt wird sich das Ende von Borussia Dortmund dramatisch beschleunigen.“

FC Brügge, Elfmeterschießen, Aus. Der BVB bugsierte sich an jenem Abend eines Super-Sommers aus der Champions League. Er hatte sich bei seinem monumentalen Scheitern viel Mühe gegeben und bereits im Mai jenes Jahres dazu Anlauf genommen: Als im eigenen Stadion der Sieg gegen Energie Cottbus verbaselt wurde, stürzte der Klub von der Treppe, die direkt auf Europas bedeutendste Fußball-Bühne führt; dann setzte sich die Mannschaft schwer unter Druck, als sie das erste Entscheidungsspiel in Brügge verlor und im zweiten Duell gegen die Belgier ins Elfmeterschießen musste. Ein Elfmeterschießen, das sie nicht gewann. Aus und vorbei.

„Schauen Sie sich die Fernsehbilder der Hauptakteure der Geschäftsführung von damals an“, empfiehlt Watzke acht Jahre später: Sie alle wussten, was in der Folge mit dem hoch verschuldeten Traditionsklubs passieren würde. Keine Champions League, keine Millionen - Zusammenbruch. „Das Ende wäre auch gekommen, wenn wir gegen Brügge gewonnen hätten“, sagt Watzke heute: „So ist es schneller gegangen.“ Er war damals nicht so nah dran wie Präsident Gerd Niebaum oder ­Manager Michael Meier, stattdessen war er als Schatzmeister des eingetragenen Vereins auch zuständig für Tischtennis und Damen-Handball. „Am nächsten Tag bin ich ganz normal zur Arbeit gegangen.“

"Unser Fundament ist sehr stabil"

Heute Abend sitzt Hans-Joachim Watzke als BVB-Boss auf der Tribüne, wenn die Champions League erstmals seit ­jenem 27. August 2003 nach Dortmund zurückkehrt. Der Unternehmer aus dem Sauerland hat Borussia Dortmund saniert. „Heute“, sagt er vor dem Duell mit ­Arsenal London unserer Zeitung, „heute kann uns wirtschaftlich keiner mehr von der Platte ­holen. Unser Fundament ist sehr stabil.“

Flutlicht an. Wumm.

Königsklasse. Der BVB tritt sogar als deutscher Meister auf. Das ist eine sportliche Sensation, die fast schon nicht mehr wahrgenommen wird. Am vergangenen Bundesliga-Spieltag gab es vereinzelte Pfiffe: Weil Schwarz-Gelb erstmals nach mehr als einem Jahr ein Heimspiel verlor. Diese Reaktionen sind auch für Watzke schwer zu verstehen. Doch so ist eben der Fußball: „Ein Tagesgeschäft.“ Und weil er das ist, ist auch Watzkes Freude auf die Champions League ein klein wenig gedämpft: „Sie wäre größer, wenn wir das Spiel gegen Hertha BSC gewonnen hätten. Denn das war ein Rückschlag.“ Kein schwerer Rückschlag, aber ein Rückschlag. Weil nun der Start in die Meisterschafts-Saison „nur durchwachsen und nicht super“ ist. Das stört Watzke, „denn für die Weiterentwicklung des Klubs ist die Bundesliga das ­alles Entscheidende“. Watzke fragt: „Was habe ich davon, wenn ich wie Schalke ins Halbfinale der Champions League komme, aber gleichzeitig Vierzehnter werde und mir im nächsten Jahr alles wieder von weitem angucke?“ Er sagt klipp und klar: „Halbfinale Champions League und 14. Platz in der Bundesliga - das wäre für uns kein Erfolg.“

"BVB wird Leidenschaft bieten"

Was wird der BVB vor diesem Hintergrund Europa bieten, Herr Watzke?

„Leidenschaft“, lautet die Antwort. Es folgt eine Aufzählung: „Der BVB wird Europa auf jeden Fall Leidenschaft bieten, eine der größten Kulissen der Champions League, mit Sicherheit den reisefreudigsten Anhang und eine Mannschaft, die auf dem Platz alles abrufen wird, was sie in der vergangenen Saison ausgezeichnet hat.“ Watzke schließt wie er angefangen hat: „Bedingungslose Leidenschaft. Das ist unser Anspruch.“

Gegen Hertha BSC Berlin war dieser Anspruch zuletzt nicht erfüllt worden. Watzke weist entschieden von sich, der bevorstehende Europapokal-Höhepunkt habe sich womöglich wie ein lähmendes Gift in die Bahnen der Spieler geschlichen. Vielmehr habe jeder in diesem Spiel zur Kenntnis nehmen müssen, erklärt er, „dass diese Saison kein Selbstläufer wird“. Das war Watzke schon lange klar, jetzt hofft er, dass es auch die Fans begriffen haben und „auch die Spieler, wenn sie es vorher noch nicht wussten.“ Borussia Dortmunds Chef fordert „eine gewisse Schärfe und Aggressivität wie wir sie im vergangenen Jahr hatten“ ein. Er hat ein Bild vor Augen, ein Bild für heute Abend: „Die Londoner müssen unseren Atem jede ­Sekunde im Nacken spüren.“

Das klingt martialisch. Aber es ist es nur ein Spiel - auch für Hans-Joachim Watzke. Den Kampf um das Überleben des Vereins hat er hinter sich. Der Kampf begann nach dem 27. August 2003. Er dauerte viele Jahre. Watzke hat ihn gewonnen. Er kann sich entspannen.