Dortmund. .

Wie häufig hat mich bei Fußballspielen mein Gefühl schon im Stich gelassen, sogar böse betrogen. Diesmal nicht. Die überzogene Euphorie nach dem Hamburg-Spiel, das Tamtam um Mario Götze – mir war nicht wohl vor dem Gang nach Sinsheim.

Offenbar hatte ich das Gefühl nicht exklusiv, auch Meistertrainer Jürgen Klopp hatte vor einem starken Gegner gewarnt. Und zugleich das Auftaktspiel seiner Mannschaft relativiert, das manche Medien bereits zu einer Gala im Stile des FC Barcelona „hochsterilisert“ (frei nach Bruno Labbadia) hatten. „Wir waren nicht so gut, wie es dargestellt wurde“, mahnte Klopp. Dass auch für seine Mannschaft die Bäume nicht ungebremst in den Himmel wachsen, für diese Erkenntnis hätte der Coach das Spiel an der Autobahn 6 vermutlich nicht gebraucht.

Ebenso wenig gebraucht hätte er den ärgerlichen Länderspieltermin unter der Woche. Neben den deutschen Nationalspielern, die sich für das feine Spiel gegen Brasilien feiern lassen durften, waren weitere Fußball-Reisende in Schwarz-Gelb unterwegs. Kagawa flog mal eben um den halben Erdball, um beim Spiel Japans gegen Südkorea zwei Tore zu erzielen, Kuba traf für Polen gegen Georgien.

Bei ihrem Alltagsgeschäft, der Bundesliga, war von diesem Glanz nicht viel zu sehen. Sie fügten sich nahtlos in eine wenig berauschende Mannschaftsleistung ein, Shinji wurde ausgewechselt, Kuba durfte erst ab der 54. Minute für den müden Götze ran. Sicher sind nicht die Länderspiele schuld, ebenso sicher aber wäre es dem „Gesamtkunstwerk“ Borussia Dortmund zuträglicher gewesen, die Jungs hätten mit dem Verein trainiert, anstatt doofe Testspiele zu bestreiten.

Denn die Saison ist noch jung, der BVB hat den einen oder anderen Neuzugang zu integrieren, da gibt es noch einige Arbeit im Bereich „Feintuning“ zu leisten. Und da schlägt jeder ausgefallene Trainingstag negativ zu Buche. Fast schon folgerichtig stand am Ende diese Niederlage, der Welle der Euphorie folgte die eiskalte Dusche der Ernüchterung.

Richtig aufregen kann ich mich, wenn jetzt in Kommentaren anklingt, Mario Götze habe nach seinem tollen Saisonstart enttäuscht. Was für ein Quatsch! Diesem Burschen steht mehr als ein schlechtes Spiel zu, das ist doch schlichtweg das Normalste der Welt. Im Gegensatz zum Rummel, der seit Tagen um Borussias Ausnahmetalent veranstaltet wird. ‘Gigant Götze’, ‘Götzinho’, ‘Götzlich’ - meine Güte, kennt das Treiben gewisser Medien eigentlich gar kein Maß mehr? Rhetorische Frage, leider.

Mich stört es indes gewaltig, jeden Tag neuen Unfug lesen zu müssen. Beispiel ‘Bild’-Zeitung: „Wie lange kann Dortmund ihn noch halten“ – was soll eine solche Fragestellung, was soll sie am Samstag vor dem Hoffenheim-Spiel? Man wird das Gefühl nicht los, dass sich Deutschlands Boulevard daran ergötzt, einen unbestritten außergewöhnlichen Spieler über den grünen Klee zu loben, um dann zusehen zu können, wie aus dem selbst entfachten Feuer ein Flächenbrand wird.

Oder das Beispiel ‘Hamburger Morgenpost’: Das Blättchen aus der Hansestadt schreibt: „Götze-Transfer: HSV hätte ihn haben können“. Angeblich, so heißt es in der Räuberpistole ohne einen einzigen Beleg für diese Aussage, wäre Mario Götze vor einem Jahr für 2,5 Millionen Euro zu haben gewesen, lediglich „Uneinigkeit unter den damaligen Entscheidungsträgern“ habe verhindert, dass „Götzes Verpflichtung sich der Beschlussreife näherte.“ Haben die keine anderen Geschichten für ihre Sportseite an der Küste? Nach dem müden Remis gegen Aufsteiger Hertha vielleicht schon…

Und natürlich der Kölner ‘Express’, der nach dem Länderspiel im ‘Bravo’-Stil sinnfreie Informationsschnipsel auflistete, damit der Leser erfährt was unser Mario gern isst, welche Mucke er hört, was für Filme er mag - Leute, Leute, geht’s noch? Völlig überdreht, die Berichterstattung, es nervt. Unschwer vorzustellen, dass dieses völlig aus dem Ruder gelaufene „öffentliche Interesse“ auch dem Objekt der Begierde zunehmend auf den Senkel geht.

Denn es ist lediglich eine Zeitfrage, bis sich die Vorzeichen ändern. Und jene, die den Wirbel entfacht haben, haben die Spitze schon angespitzt. Sie warten nur darauf, dass Götze in eine Formkrise gerät, dass seine Entwicklung stagniert. Dann werden sie kommen, die scheinheiligen Fragen: „Ist ihm der Druck zu groß?“, werden wir dann zu lesen bekommen. Oder gar: „Flieht er jetzt ins Ausland?“ Wie oft haben wir es schon erlebt, nicht nur bei Spielern unserer Borussia, dass Talente erst in den Himmel gehoben und dann genüsslich von selbigem wieder heruntergeschossen wurden.

Wobei ich diese Sorgen im Fall Götze nicht hege. Es ist beruhigend zu wissen, dass er in seinem Elternhaus wie auch beim BVB in guten Händen ist, umgeben von klugen Menschen, die einerseits die Mechanismen des Fußballgeschäfts und andererseits auch die der Medienwelt einordnen können. Und die Mario Götze davor schützen, abzuheben oder den Rummel um seine Person noch größer werden zu lassen.

Uli Vonstein www.die-kirsche.com