Dortmund. Am Sonntag wird Sigfried Held 80 Jahre alt. Die BVB-Legende spricht im Interview über große Spiele, fürchterliches Training und ein Erdbeben.
Es gibt sie, diese Orte, an denen Dortmund an die Provence erinnert. Im Süden, auf der Terrasse des Golfclubs, beruhigt der Blick auf grüne Hügel, das Kaiser-Wilhelm-Denkmal der Hohensyburg ragt über den Bäumen hervor. Sigfried, genannt Siggi, Held trinkt einen Cappuccino, ganz in der Nähe wohnt die Legende von Borussia Dortmund, an dem schmerzenden rechten Handgelenk trägt der ehemalige Stürmer eine Bandage, seine Augenbrauen wuchern wie immer fast über die Augen.
Am Sonntag, 7. August, wird Sigfried Held 80 Jahre alt. Zeit, um mit einem der größten Ruhrgebietsfußballer zu sprechen.
Herr Held, Sie sind in Bruntál in Tschechien geboren. Wollten Sie nie zurück?
Sigfried Held: Nun ja, ich bin Jahrgang 1942, wir wurden nach dem Kriegsende 1945 vertrieben, deswegen habe ich kaum Erinnerungen an meinen Geburtsort. Ich hatte nie das Bedürfnis, dorthin zu reisen.
Weil Dortmund zu Ihrer Heimat geworden ist?
Sigfried Held: Ja, hier habe ich die große, weite Welt des Fußballs kennengelernt, hier bin ich Nationalspieler geworden, Europapokalsieger. Meine Kinder sind hier geboren, die arbeiten jetzt allerdings im Süden. Auch in der Zeit, in der ich im Ausland als Trainer tätig war, habe ich meinen festen Wohnsitz hier behalten.
Sie werden 80, Ihr rechtes Handgelenk ist bandagiert. Wie fühlen Sie sich heute?
Sigfried Held: Bis vor drei Jahren habe ich noch regelmäßig Bälle auf dem Tennisplatz geschlagen, manchmal mit Dortmunds Präsident Reinhard Rauball. Aber ich bin auch dabei ehrgeizig, deswegen ging mit mir der Gaul durch, ich bin gerannt, habe mir einen Muskel gezerrt. In meinem Alter dauert es lange, bis das verheilt. Jetzt spiele ich nur noch Golf.
Siggi Held: "Der BVB war damals die beste Adresse in Deutschland"
Nehmen Sie uns mit zu den Anfängen. Wie kamen Sie 1965 zum BVB?
Sigfried Held: Bis dahin stand ich in Offenbach in der zweitklassigen Regionalliga auf dem Platz, zudem gehörte ich zur Bundeswehr-Nationalmannschaft. Dort habe ich die Verbindung nach Dortmund geknüpft. Der BVB war damals die beste Adresse in Deutschland, also wollte ich den Sprung wagen.
Was für ein Leben hatten die besten Fußballer Deutschlands damals?
Sigfried Held: Der Verein hat mir ein Zimmer vermittelt, in einem sozialen Brennpunkt, das war schrecklich. Zum Glück habe ich dann etwas anderes bekommen. Trainiert haben wir im Hoeschpark, manchmal auch auf einem Nebenplatz vom Stadion Rote Erde. Regnete es, ging es gelegentlich auf die Asche. Alles war recht bescheiden, in den Kabinen im Hoeschpark mussten wir aufpassen, dass wir nicht den Verkehrten umziehen, so wenig Platz gab es.
Heute wäre das anders.
Sigfried Held: Der Fußball hat sich weiterentwickelt, heute gibt es einen Trainerstab, es wird Blut aus dem Ohr gezapft zur Leistungsdiagnostik, niemand soll übersäuern. Damals wurden wir in der Vorbereitung gejagt, das war nachweislich falsch. Ich konnte zum Glück gut laufen, andere haben fürchterlich gelitten. Vor dem Spiel gab es Steaks. Wenn einer von der guten alten Zeit spricht, stimmt das nicht. Die Zeiten heute sind in jeder Beziehung besser.
Sprechen wir über legendären Fußball. Etwa den Dortmunder Europapokalsieg 1966. Sie haben beim 2:1-Sieg über Liverpool ein Tor erzielt.
Sigfried Held: Das Spiel ging in die Verlängerung, nach dem Schlusspfiff hatte in Glasgow alles geschlossen. Die Angestellten im Hotel waren schon zu Hause, wir konnten uns gar nichts mehr zu trinken organisieren und haben uns schnell zurückgezogen. In Dortmund sind wir dafür auf Autos durch die Menschenmengen gefahren.
Siggi Held: "Ich war wütend"
Kurze Zeit später haben Sie mit der deutschen Nationalmannschaft das WM-Finale gegen England 2:4 verloren. Hat Sie das belastet?
Sigfried Held: Die Zeit heilt ja alle Wunden. Danach habe ich mich sehr geärgert, es war schon etwas seltsam, wie das Schiedsrichtergespann zu dem Entschluss gekommen ist, dass der Ball über der Linie aufgetitscht ist.
Sie meinen das umstrittene Wembley-Tor von Geoff Hurst. Der Ball war also nicht drin?
Sigfried Held: Nein, der Linienrichter stand unentschlossen da, hat mit seinem Fähnchen ein bisschen gewedelt, bis der Schiedsrichter zu ihm lief, und auf einmal entscheiden beide, dass der Ball drin war. Ich war wütend.
Wie lange begleitet Sie als Mensch die Wut über solch ein Ereignis?
Sigfried Held: Ich bin jemand, der so etwas ziemlich schnell verdaut. Es gibt immer wieder eine neue Saison.
Noch ein legendäres Spiel, sogar das Jahrhundertspiel. Gegen Italien haben Sie mit Deutschland 3:4 im WM-Halbfinale 1970 verloren.
Sigfried Held: Daran denke ich nicht gerne zurück. Ein Fehler von mir hat zu einem Gegentor geführt.
Dafür hat Deutschland 1972 dann 3:1 in Wembley gewonnen. Sie haben eher unbeachtet alle drei Tore vorbereitet. Waren Sie der vergessene Held?
Sigfried Held: Die anderen müssen die Vorlagen ja erst mal verwerten. Wir hatten halt eine starke Mannschaft – mit Günter Netzer, Franz Beckenbauer. Und zum ersten Mal haben wir in England gewonnen, die waren vorher das Nonplusultra im Fußball.
Siggi Held: "Das ist mein schwarzer Fleck auf der Brust"
1981 beendeten Sie Ihre Karriere und fingen als Trainer ausgerechnet auf Schalke an.
Sigfried Held: Einige würden sagen: Das ist mein schwarzer Fleck auf der Brust. Mein früherer Kollege Rudi Assauer hat mich gefragt, ob ich in Gelsenkirchen anfangen wollen würde. Ich wollte Trainer werden und bloß nicht in meinen Ausbildungsberuf im Steuerbüro zurück. Wir sind aufgestiegen, kurz danach wurde ich beurlaubt. Nun gut, das gehört in diesem Job dazu.
Gearbeitet haben Sie in Island, in der Türkei, in Japan, auf Malta. Was haben Sie erlebt?
Sigfried Held: Ich durfte viele Kulturen kennenlernen. Eingeprägt hat sich aber ein Erdbeben in Japan. Ich habe mit meiner Frau und meiner Tochter im Hotel gelebt, plötzlich haben sich die Wände gebogen, der Lärm dröhnte. Wie in einem Horrorfilm, ich hatte Angst.
Schon lange leben Sie wieder nur in Dortmund. Was trauen Sie dem BVB in dieser Saison zu?
Sigfried Held: Man darf die Augen nicht verschließen, Bayern München kann wesentlich mehr Geld ausgeben, und blöd sind sie nicht. Niemand sollte mit einer Überraschung rechnen.
Wie sehr fiebern Sie noch mit, wenn Schwarz-Gelb spielt?
Sigfried Held: Ich ärgere mich nur mit gebremstem Schaum. Ich besuche jedes Heimspiel, die Einschläge kommen zwar näher, doch den Wolfgang Paul treffe ich noch.
Stört Sie etwas?
Sigfried Held: Was soll mich stören?
Etwa die vielen Millionen im Geschäft.
Sigfried Held: Das Geld wird doch eingenommen, wer soll es sonst bekommen? In Dortmund arbeiten wir mit Sinn und Verstand.
Nun, mit 80: Sind Sie glücklich?
Sigfried Held: Was bleibt mir anderes übrig. Klar, wie singt Willi Schneider: ,Man müsste noch mal 20 sein.‘ Doch das bleibt Wunschdenken. Wer lange lebt, wird alt.