Dortmund. 1997 gewann Borussia Dortmund die Champions League. Karl-Heinz Riedle wurde mit zwei Toren zur Legende. Der BVB-Stürmer blickt zurück.
In 25 Jahren passiert viel. Sommermärchen, WM-Triumph, Bayern-Dominanz, RB Leipzig. Natürlich: Jahrtausendwende, Google, I-Phone, Facebook. Und: Schröder, Merkel, Scholz.
Karl-Heinz Riedles Haare schimmern grau an den Schläfen. Altern, sagt er, sei nicht seine Sache. „Das ist furchtbar.“ Dabei wirkt der 56-Jährige, die Haut braun gebrannt, das Lächeln vereinnahmend, immer noch wie einer, mit dem man gerne Guinness in einem Pub schlürfen möchte. Nur nicht um diese Uhrzeit, denn eingeladen hat der ehemalige Stürmer, der in der Luft zu schweben schien, wenn er köpfte, vormittags. In einem Dortmunder Hotel möchte er reden über das Spiel, das schon 25 Jahre zurückliegt, das sein Leben und die Historie von Borussia Dortmund bis heute prägt.
BVB schlug die beste Mannschaft der Welt
28. Mai 1997, Schlusspfiff in München. Trainer Ottmar Hitzfeld wird von Co-Trainer Michael Henke fast umgerissen, auf dem Platz schmeißen sich die Dortmunder übereinander, ganz unten liegt wohl Jürgen Kohler. Ein schwarz-gelber Haufen für die Ewigkeit. Der BVB hat als erster deutscher Verein die Champions League gewonnen, und zwar gegen die wohl beste Elf der Welt. Das 3:1 über Juventus Turin im Finale euphorisiert die Stadt. Jeder in Dortmund kennt die Helden von damals, Matthias Sammer, Jürgen Kohler, Lars Ricken, Andreas Möller, natürlich auch Riedle. Die Ultras haben in den Tiefen des Stadions ein Portrait der Finalmannschaft auf eine Wand gemalt.
Durch den Titel klettert die Borussia in die oberste Etage des europäischen Spitzenfußballs, doch als reines Märchen lässt sich diese Geschichte nicht erzählen. Konflikte schlummern unter der Oberfläche. Hitzfeld und Geschäftsführer Gerd Niebaum haben sich schon vor dem Endspiel entzweit, Sammer und der Trainer haben sich entfremdet. Später werden Investitionen, die in der Folgezeit getätigt werden, um sich in Europas Spitze festzusetzen, fast zum Niedergang des Klubs führen.
1997 ist dies im Münchener Olympiastadion aber kein Thema, das Finale fesselt.
29. Minute: Paul Lambert flankt, Riedle lässt den Ball an seiner Brust abtropfen, donnert ihn (selten passt dieses Wort besser) ins Netz. 1:0! Der Stürmer tanzt an der Eckfahne, nicht albern, sondern cool.
34. Minute: Jetzt schießt Andreas Möller eine Ecke in den Sechzehnmeterraum. Diesmal nutzt Riedle, wie man das von ihm kennt, seinen Kopf. 2:0!
Dortmund führt, Dortmund leidet, Turin drängt. 64. Minute: Alessandro Del Piero schlingelt den Ball mit der Hacke ins Tor. Jetzt zittert Dortmund, bis zur 71. Minute, als Möller auf den gerade erst eingewechselten Lars Ricken passt. Kommentator Marcel Reif schreit im TV: „Ricken, lupfen, jetzt, jaaaa.“ Und der 20-Jährige, geboren und aufgewachsen in Dortmund, hebt den Ball tatsächlich über Torhüter Angelo Peruzzi. Ein Tor wie ein Kunstwerk, das sich natürlich ins kollektive Gedächtnis eingräbt.
BVB - Juve: So spielten sie
Dortmund - Turin 3:1 (2:0)
Dortmund: Klos - Kohler, Sammer, Kree - Reuter, Heinrich - Lam- bert, Sousa - Möller (89. Zorc) - Riedle (67. Herrlich), Chapuisat (70. Ricken). Trainer: Hitzfeld
Turin: Peruzzi - Porrini (46. Del Piero), Ferrara, Montero, Iuliano - Deschamps - Di Livio, Jugovic - Zidane - Boksic (88. Tacchinardi), Vieri (73. Amoruso). Trainer: Lippi
Tore: 1:0/2:0 Riedle (29./34.), 2:1 Del Piero (64.), 3:1 Ricken (71.)
Schiedsrichter: Puhl (Ungarn)
Zuschauer: 59.000
Dies störe ihn überhaupt nicht, sagt Riedle, der ansonsten ja derjenige wäre, mit dem man diesen Triumph zuerst verbinden würde. Es sei generell die gesamte Mannschaft, die den Erfolg möglich gemacht habe. Trotz der Unstimmigkeiten, die es auch gegeben habe. „Matthias Sammer war einer, der mal auf den Tisch gehauen hat, aber immer positiv und mit dem Fokus auf Erfolg“, erzählt Riedle. „Und Trainer Ottmar Hitzfeld war der perfekte Moderator, er konnte mit uns Diven gut umgehen.“
Schon in den beiden Spielzeiten zuvor führte Hitzfeld den BVB zu Deutschen Meisterschaften, 1997 endet die Saison in der Bundesliga aber nur auf Rang drei, viele Verletzungen schwächen den Klub. Nur in der Königsklasse gelingen große Auftritte. Auch Glück habe dabei geholfen, so Riedle; gerade im Halbfinale gegen Manchester United (1:0, 1:0), als Jürgen Kohlers Sohle bei einer spektakulären Rettungsaktion den einschussbereiten Eric Cantona in die Verzweiflung treibt.
BVB: Ein Mutmacher für die Gegenwart
Dann aber rumpelt es im Verein, Hitzfeld hört nach dem Erfolg in der Königsklasse auf, wird Sportdirektor. Niebaum kündigt seinen Rücktritt an, macht dann doch weiter. Auch Riedle muss gehen, wechselt zum FC Liverpool. „Warum, weiß ich bis heute nicht. Es war nicht mein Wunsch“, sagt er. „Vielleicht hat der Klub nach dem Champions-League-Erfolg ein wenig die Situation verkannt. Man wollte unbedingt oben dranbleiben, ist finanziell zu viel ins Risiko gegangen.“
In 25 Jahren passiert eben viel, auch in Dortmund: Börsengang, Stadionausbau, Fast-Pleite, Jürgen Klopp. Riedle vertritt den BVB mittlerweile als Botschafter im Ausland, mit einem der Helden von 1997 lässt sich werben. 2013 kratzt der Verein im Champions-League-Finale gegen den FC Bayern (1:2) erneut am größtmöglichen Erfolg. Doch heute erscheint ein Titelgewinn so unwahrscheinlich wie das Wehen schwarz-gelber Fahnen in Gelsenkirchen. Der Graben zu den reichsten Vereinen wird tiefer und tiefer. Lässt sich so ein Triumph trotzdem wiederholen? Schon, meint Riedle: „Es war ja auch nicht realistisch, dass wir es schaffen. Wir haben trotzdem den Pokal hochgehalten."