Dortmund. Gegen die Glasgow Rangers enttäuscht der BVB, die Kritik an Trainer Marco Rose ist groß. Doch die Probleme liegen auch anderswo. Ein Kommentar

Die Episode ist inzwischen fünf Jahre her, aber sie scheint erstaunlich aktuell: Vor fünf Jahren saß Thomas Tuchel im engen Presseraum des Stadions am Böllenfalltor. Eben hatte der damalige Trainer von Borussia Dortmund eine 1:2-Niederlage beim Tabellenschlusslicht SV Darmstadt 98 erleben müssen.

Und nun ließ er seinem Frust freien Lauf: "Es muss ein Umdenken stattfinden. Wir sind nicht nur das, was wir gegen Leipzig und Bayern zeigen, sondern auch das, was wir gegen Darmstadt zeigen", schimpfte er. Und: "Ich plädiere seit Beginn der Saison dafür, vielleicht auch einzugestehen, dass wir das sind. Vielleicht ist das dieses Jahr so."

Viele BVB-Trainer litten an den rätselhaften Schwankungen

Schon Tuchel musste sich mit rätselhaften Schwankungen seiner Mannschaft herumschlagen. Wie vor ihm Jürgen Klopp in der Endphase seines Schaffens in Dortmund. Und wie nach ihm Peter Bosz, Peter Stöger, Lucien Favre, Edin Terzic und nun Marco Rose.

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Sehr viele sehr unterschiedliche Typen haben sich mit dem stets gleichen Phänomen herumschlagen müssen - und das zeigt: Die Fehler nur bei den jeweiligen Trainern zu suchen, greift zu kurz.

Nicht die erste peinliche Niederlage für Dortmund

Und damit zurück zur Gegenwart: Marco Rose hat als aktueller BVB-Trainer einige heftige Tiefschläge hinnehmen müssen, zuletzt das 2:4 gegen die Glasgow Rangers, den Meister der international zweitklassigen schottischen Liga. Natürlich, das Aus in der Europa League ist damit noch lange nicht besiegelt - es ist dieser wankelmütigen Dortmunder Mannschaft jederzeit zuzutrauen, im Rückspiel in einer Woche einen deutlichen Sieg einzufahren und ins Achtelfinale einzuziehen.

Und doch zeigt diese Niederlage erneut auf, dass einiges im Argen liegt beim BVB. Die Klatsche gegen die Rangers ist ja kein einmaliger Ausrutscher, zuletzt gab es unter anderem auch ein 2:5 gegen Bayer Leverkusen und ein DFB-Pokal-Aus beim Zweitligisten FC St. Pauli.

Beim BVB zeigt sich eine Unwucht im Kader

Natürlich trägt Rose dafür Verantwortung. Er bekommt die Defensivprobleme nicht in den Griff, er bekommt keine Stabilität in die Mannschaft und es ist ihm bislang nur teilweise gelungen, ihr seine Vorstellungen vom Fußball zu vermitteln. Aber wieder nur auf den Trainer zu zeigen, greift zu kurz.

Gegen Glasgow musste in der letzten halben Stunde Linksverteidiger Raphael Guerreiro rechts verteidigen, zudem agierte Zentrumsspieler Jude Bellingham auf dem linken Flügel - das zeigt, dass es eine gewisse Unwucht im Kader gibt: Er beinhaltet eine ganze Reihe von Offensivspielern, die sich (nur) im Zentrum wohlfühlen - und praktisch niemanden für die Flügel.

Es fehlt der zweite verlässliche Torschütze neben Haaland

Seit Jadon Sanchos Abgang im Sommer ist da niemand mehr, der über außen anschieben kann, der mit schnellen Dribblings eine Abwehrreihe aufreißt. Und es fehlt ein zweiter verlässlicher Torschütze neben Erling Haaland, der aktuell mal wieder verletzt fehlt. Und es fehlt an schnellen Spielern im Angriff.

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Die Defensive bleibt eine Großbaustelle, was schon im Mittelfeld beginnt: Einen zweikampfstarken, robusten, defensiv denkenden Sechser gibt es nicht im Kader. Thomas Delaney gab man ab, weil er den fußballerischen Ansprüchen nicht genügte, weil er zu rustikal war - aber genau so einen Spieler würde man sich nun gelegentlich wünschen. Stattdessen hat man viele Künstler, die nach einem Rückschlag - wie dem 0:1 gegen Glasgow - die Köpfe hängen lassen.

Für Schulz und Co. wurde viel Geld versenkt

Auch eine Reihe weiter hinten tun sich Probleme auf: Raphael Guerreiro ist der einzige Außenverteidiger von internationalem Niveau, zeigt das aber aktuell nur sporadisch. Nico Schulz taugt nicht als Alternative, obwohl er 25 Millionen Euro gekostet hat. Ähnlich viel Geld gab man jeweils für Julian Brandt und Thorgan Hazard aus, die sich auch noch nicht nachhaltig durchsetzen konnten.

Innen ist bislang nur Manuel Akanji konstant gut, obwohl er außen gegen die Rangers eklatant schwach verteidigte. Die Leihe von Marin Pongracic ist bislang ein Missverständnis. Dan-Axel Zagadou wackelt permanent, was wohl auch der langen Verletzungspause geschuldet ist. Mats Hummels, ein unbestrittener Anführer dieser Mannschaft, läuft immer öfter der Musik hinterher.

Die BVB-Anführer kämpfen zu sehr mit sich selbst

Das ist das nächste Problem: Diejenigen, die führen sollen, kämpfen zu sehr mit sich selbst. Auch Kapitän Marco Reus, der die Mannschaft zwar mit seinen Toren zu einem Sieg bei Union Berlin führen kann, gegen Glasgow oder Leverkusen aber mit untergeht, ohne groß aufzufallen.

Aber welche Alternative hat Rose? Am Ende warf er den 17-jährigen Youssoufa Moukoko, den U23-Kapitän Steffen Tigges und den sportlich bislang bedeutungslosen Reinier aufs Feld, um die Wende zu erzwingen. Klar, es fehlte Haaland, es fehlte Emre Can - aber es zeigte sich abermals, dass der Qualitätsabfall hinter den ersten elf, zwölf, dreizehn Spielern (zu) groß ist.

Ist die Mannschaft die richtige für Trainer Rose?

Vielleicht lautet die Frage daher gar nicht: Ist Rose der richtige Trainer für Dortmund? Sondern: Sind die Spieler die richtigen für Rose? Für schnellen, aggressiven Pressing- und Umschaltfußball nämlich steht diese Mannschaft bisher nicht. Wer einen Trainer holt, der das verkörpert, muss ihm auch einen Kader dafür komponieren - bislang ist das auch wegen der Corona-Pandemie nicht gelungen.

So oder so: Im Sommer sind beim BVB einige Impulse nötig. Aktuell ist die Unruhe im Klub überschaubar groß, weil man in der Liga sicher auf Kurs Champions-League-Qualifikation ist. Aber immer nur um Platz zwei spielen und in den Pokalwettbewerben früh die Segel streichen - das kann auf Dauer nicht der Dortmunder Anspruch sein.