Essen. Raphael Guerreiros zurückgenommener BVB-Treffer zeigt: Die Handspiel-Regel entspricht nicht dem Wesen des Fußballs. Ein Kommentar.

Man könnte ja fast meinen, es sei bereits alles gesagt zu diesem Thema. Schließlich ist es nicht neu, sondern streng genommen ein alter Hut. Denn Spieltag für Spieltag in der Fußball-Bundesliga wird darüber diskutiert, sorgt sie für Ärger und Unverständnis: die Auslegung der Handspiel-Regel.

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Und weil nach den Spielen des BVB bei Fortuna Düsseldorf sowie des VfL Wolfsburg gegen den SC Freiburg mal wieder über Tor oder nicht Tor debattiert wird, lässt sich festhalten: Wie das Handspiel geahndet und nicht geahndet wird, ist inzwischen schwieriger zu ertragen als generell Fußballspiele ohne Zuschauer.

Schiedsrichter handeln richtig, sind aber falsch angewiesen

Festgemacht ist diese Erkenntnis an zwei Treffern, die an diesem Spieltag nicht gegeben wurden. Borussia Dortmunds Raphael Guerreiro ist vor dem vermeintlichen 1:0 der Ball aus Kurzdistanz an ein Körperteil geschossen worden, bei dem wohl selbst Mediziner nicht klar zuordnen können, ob es sich dabei nun anatomisch nun eher um die Schulter oder den Oberarm handelt. In Wolfsburg hat sich Daniel Ginczek bei seinem zurückgenommenen Treffer den Ball auf die Fingerspitze geköpft – so hauchdünn, dass es vermutlich hätte vermieden werden können, wenn sich der 29-Jährige am Morgen noch mal die Nägel geschnitten hätte.

Man muss zur Entschuldigung der Unparteiischen sagen: Sie haben richtig gehandelt, den Treffern ihre Anerkennung zu verweigern. Denn einem Tor darf nicht der Hauch eines Handspiels vorausgegangen sein. Das macht die Regel aber nicht besser.

Entscheidungen für Boateng und gegen Can fördern Unverständnis

Es sind die aktuellsten Aufreger. Zur Erinnerung: Genauso wie man Jerome Boatengs Ellenbogen-Abwehr im Topspiel des FC Bayern beim BVB mit einem Strafstoß hätte ahnden können, musste eine vergleichbare Aktion Emre Cans in der Folgewoche nicht zwingend mit einem Elfmeterpfiff enden.

Mit der Auslegung werden alle Beteiligten im Regen stehen gelassen: Die Spieler können sich nicht daran orientieren, was am letzten Spieltag wie gepfiffen worden ist. Die Schiedsrichter sind verunsichert und pfeifen dem Gesamteindruck nach lieber einmal zu viel als zu wenig Handspiel, um sich notfalls über den Video-Assistenten noch einmal die Szene in achtzehn Wiederholungen anschauen zu können. Und die Fans wissen auch nicht, wo oben und unten ist bei der Regel – dass sie sich über die Szenen und Pfiffe echauffieren können, wenn sie aus Gründen des Schutzes vor dem Coronavirus schon nicht ins Stadion dürfen, ist nur ein schwacher Trost.

Eine Regel muss nicht allen passen - sie muss aber klar sein

Gerade der Ginczek-Treffer, der beim Kopfball die Augen zu hatte und gar nicht mehr groß beeinflussen konnte, ob er den Ball nun einen Zentimeter höher oder niedriger in Richtung Tor bugsiert, zeigt: Die Handspiel-Regel und ihre immer wieder unterschiedlichen Auslegungen entsprechen nicht der Natur des Spiels. Wenn für vergleichbaren Körpereinsatz im Mittelfeld ein Foul gepfiffen wird, im Strafraum aber gesagt wird, dass dies nicht für einen Elfmeter genüge, können die unabsichtlichen beziehungsweise ohne eigenes Verschulden herbeigeführten Ballberührungen, die Guerreiro und Ginczek fälschlicherweise zunächst haben jubeln lassen, nicht zu einer Aberkennung der Tore führen.

Eine Regel im Sport muss nicht zwangsläufig von allen als richtig und gerecht empfunden werden – sie muss aber nachvollziehbar und einheitlich sein. Es steht jedoch zu befürchten, dass dies die Fans auch noch ärgern wird, wenn sie mal wieder ins Stadion zurückgekehrt sind.