Dortmund. Am 13. Mai 2000 schaffte Borussia Dortmund mit dem reaktivierten Erfolgstrainer Udo Lattek den Klassenerhalt - mit einem 1:1 gegen Schalke 04.
Es sind einige Anekdoten überliefert aus jenen Wochen, die damals bei Borussia Dortmund als dramatisch bewertet wurden. Im Jahr 2000 war der BVB schwer ins Taumeln geraten, nach dem jungen Trainer Michael Skibbe war auch der etwas erfahrenere Bernd Krauss gescheitert, eine desaströse 1:3-Heimniederlage gegen den Bundesliga-Zwerg Spielvereinigung Unterhaching gab ihm den Rest. Die Notlösung der Klubführung hätte spektakulärer nicht sein können: Der BVB reaktivierte Udo Lattek, den Star-Trainer, der seit Jahren als TV-Experte beim Deutschen Sportfernsehen eine neue Showbühne gefunden hatte, stellte dem damals 65-Jährigen den Trainer-Novizen Matthias Sammer für die Alltagsarbeit auf dem Trainingsplatz zur Seite – und hoffte auf den ganz großen Effekt für die letzten fünf Spieltage. Denn der Abstiegsplatz war nur einen Punkt entfernt.
Lattek verhandelt hart mit dem BVB
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Udo Lattek, der 2015 im Alter von 80 Jahren verstarb, hatte Zeit seines Trainerlebens immer gutes Geld verdient, und so ließ er sich auch vom BVB nur mit fürstlichem Honorar locken. Angeblich habe er für das Kurzzeit-Engagement eine Million Mark kassiert. Und als er den damaligen BVB-Präsidenten Gerd Niebaum in einen nagelneuen Mercedes einsteigen sah, merkte er an: „So einen hätte ich auch noch gern.“ Niebaum sagte zähneknirschend zu. In Dortmund erzählt man sich, Lattek habe, als der Präsident einige Wochen später den Retter nach erfolgreicher Mission mit einer Dankesrede verabschiedete, grinsend zugehört, ein imaginäres Lenkrad bewegt und dabei „Brumm-Brumm“ gesagt. Niebaum verstand. Der Mercedes...
Michael Meier: „Das wurde damals belächelt“
Zu der Zeit konnten die Dortmunder erleichtert wieder lachen, der Weg dahin war extrem anstrengend. Es war ja durchaus riskant, einen Trainerrentner von null auf hundert starten zu lassen. „Das wurde damals belächelt und kritisch gesehen“, erinnert sich der damalige BVB-Manager Michael Meier im Gespräch mit dieser Redaktion. „Entscheidend für uns war aber das Profil. Was brauchst du in einer solchen Situation? Erfolg und Glück! Und Udo Lattek verkörperte diese Kombination wie kein anderer.“
Lattek verriet, er sei „erschrocken“ gewesen, als er den tief verunsicherten Spielern erstmals begegnete: „Da war eine Stimmung, als sei gerade jemand beerdigt worden.“ Seine Aufgabe war, dem Team neues Leben einzuhauchen, die Geknickten aufzurichten. „Er sagte ihnen: ,Macht Euch keine Sorgen wegen des Drucks, die Pfeile zielen alle auf mich, ich bin euer Schutzschild’“, erzählt Michael Meier.
Sammer tief beeindruckt von Lattek
Der Start fiel mäßig aus: nur 2:2 beim Tabellenletzten MSV Duisburg. Dann siegten die Bayern 1:0 in Dortmund, die Angst blieb. Befreiend war das Spiel in Stuttgart, der 2:1-Erfolg mit einem Siegtor von Heiko Herrlich in der 90. Minute.
So spielten sie damals
13. Mai 2000 Bor. Dortmund - Schalke 04 1:1 (0:0)
Dortmund: Lehmann - Reuter, Wörns (51. Baumann), Nijhuis, Dede - Evanilson (73. Reina), Stevic, Möller, Addo - Barbarez (46. Herrlich), Bobic
Schalke: Reck - Oude Kamphuis, Happe, Thon, Waldoch, van Kerckhoven - Nemec, Latal (85. Held) - Wilmots - Mpenza (88. Asamoah), Sand (79. Eigenrauch)
Tore: 0:1 Sand (57.), 1:1 Nijhuis (81.). Schiedsrichter: Fandel. Zuschauer: 68.600. Gelb-Rot: Nemec (26.)
Vor der Partie hatte Udo Lattek mal wieder alle Register gezogen. Der Trainer-Routinier entwarf in der Mannschaftssitzung eine schauderhafte Szenerie: „Ihr sitzt bei einem Rotwein mit Eurer Frau zu Hause, plötzlich hört Ihr es krachen, und da stehen schwarz vermummte Einbrecher. Was macht Ihr dann?“ Lattek sprach explizit Jürgen Kohler an, weil er sich von dem eine aggressive Reaktion erhofft hatte, die Rede von der großen Gegenwehr. Der Weltmeister aber antwortete nur: „Trainer, in so einer Situation muss man ruhig bleiben.“ Was dann geschah, beeindruckte Matthias Sammer nachhaltig: „Udo schaltete sofort um und sagte: ,Genau, Ihr müsst nervenstark bleiben.’ Daran konnte man sehen, welch ein großer Trainer er war.“
Alfred Nijhuis erlöste den BVB mit dem Ausgleichstreffer
Dann kam der 13. Mai 2000, der vorletzte Spieltag der Saison, das Revierderby. Schon nach 26 Minuten flog der Schalker Jiri Nemec vom Platz, dennoch quälten sich die Dortmunder – Ebbe Sand brachte die Schalker sogar in Führung. Erst in der 81. Minute traf Alfred Nijhuis zum 1:1. Das war der eine Punkt, den die Borussia zur endgültigen Rettung gebraucht hatte. Zu ausgelassenem Jubel aber war nach diesem Zittern keinem beim BVB zumute, als heute vor 20 Jahren der Klassenerhalt gelang. Selbst Udo Lattek sagte: „Im Moment steht mir der Kopf nicht nach Feiern. Die Spieler sitzen in der Kabine, als hätten wir verloren.“ Sein Hemd sei nicht wegen der Wärme nass. „Das ist der Angstschweiß.“
Mit einem versöhnlichen 3:0-Sieg bei Hertha BSC beendete Udo Lattek endgültig die grandiose Karriere. Den Mercedes hat er übrigens nie bekommen. Weil die Lieferzeit zu lang war, hat er ihn sich auszahlen lassen.