Bad Ragaz. Jadon Sancho von Borussia Dortmund spricht über seine schwere Kindheit in London, eine besondere Gabe und den Supercup.

Ich bin ein bisschen müde“, meint Jadon Sancho (19), als er am letzten Abend des Trainingslagers zum Interviewtermin im Mannschaftshotel von Borussia Dortmund erscheint. Die vielen Einheiten haben Kraft gekostet, doch sie sollten ja auch den Grundstein legen für eine möglichst erfolgreiche Saison. Der BVB will um die Deutsche Meisterschaft mitspielen. Und Sancho will in seinem dritten Jahr im Revier beweisen, dass ihm eine große Zukunft bevorsteht. Heute (20.30 Uhr/ZDF) folgt der erste Gradmesser. Die Dortmunder empfangen im Supercup den FC Bayern München.

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Herr Sancho, der erste Titel wird vergeben. Wie sehr kribbelt es?

Jadon Sancho: Für mich ist es das erste Mal, dass ich im Supercup antrete. Es geht um einen Titel, den wollen wir natürlich gewinnen. Aber noch befinden wir uns mitten in der Vorbereitung, da müssen wir erstmal an unserer Fitness arbeiten, das ist wichtiger.

"Ob wir besser sind, sollen andere beurteilen"

Der BVB hat über 100 Millionen Euro ausgegeben. Sind sie jetzt besser als die Bayern?

Sancho: Ob wir besser sind, sollen andere beurteilen. Beide Mannschaften bringen eine enorme Qualität mit, haben verschiedene Stärken. Ich schaue nur auf uns. Die Neuzugänge bringen uns natürlich weiter, sie machen uns stärker.

Etwa Mats Hummels. Wie hilft er?

Sancho: Er ist ein Anführer. Und die brauchen wir. In der vergangenen Saison hätten wir vielleicht noch jemand wie ihn benötigt, der uns ermahnt, in den entscheidenden Momenten fokussiert zu bleiben. Gegen die sogenannten kleinen Gegner haben wir zu viele Punkte abgegeben. Jede Partie muss für uns von großer Bedeutung sein. Ich hoffe, dass er uns dabei helfen kann, uns pusht. Außerdem habe ich ihn schon singen gehört.

So wie das alle Neuzugänge beim BVB machen müssen.

Sancho: Genau, er hat ein Lied mit deutschem Text gesungen, das ich nicht kenne (Anm. d. Red.: Jein von Fettes Brot), auch dabei hat man gemerkt, dass er definitiv Selbstbewusstsein hat.

"Ich spüre die Leidenschaft der Fans"

Was schätzen Sie persönlich am Verein?

Sancho: Ich bin sehr dankbar, dass ich so viel Einsatzzeit bekomme. Ich spüre die Leidenschaft der Fans, die ist bemerkenswert. Und ich denke, dass sie auch mit meinen Leistungen zufrieden sind.

Die meisten Menschen in ihrem Alter tragen nicht so viel Verantwortung. Vermissen Sie etwas?

Sancho: Na ja, fast alle meine Freunde sind Fußballer. Ich denke, das ist eine gute Sache. Natürlich vermisse ich meine Familie. Sie versucht allerdings, so oft es geht nach Dortmund zu kommen und sich Spiele von mir anzuschauen. Wann immer ich jemanden brauche, kommt jemand, um für mich da zu sein.

Sie sind in Kennington aufgewachsen, der Londoner Stadtteil gilt als hart. Wie war Ihre Kindheit?

Sancho: Es gab viele Kriminelle, sehr viele Gangs, viele schlechte Vorbilder, die dort gelebt haben. Das war hart. Aus so einer Gegend herauszukommen, ging nur durch den Fußball und die Freunde, die mir geholfen haben, dass ich an mich glaube.

"Ich weiß auch noch, wie es war, als ich nichts hatte"

Haben Ihnen die Erfahrungen auch geholfen?

Sancho: Ich kenne so auf jeden Fall zwei verschiedene Wirklichkeiten. Jetzt geht es mir gut, aber ich weiß auch noch, wie es war, als ich nichts hatte. Dadurch weiß ich Dinge wesentlich mehr zu schätzen. Außerdem hat es mich angespornt, etwas zu erreichen. Vor allem wenn ich gesehen habe, dass meine Mutter lacht.

Warum?

Sancho: Es gibt dort so viele Menschen in meinem Alter, die im Gefängnis sitzen, die kriminell geworden sind. Deren Mütter sind vermutlich traurig, sie weinen. Aber ich habe gesehen, wie glücklich meine Mutter war, als sie gesehen hat, wie ich Fußball spiele. Sie hat mir gesagt, dass dies das Beste war, was mir passieren konnte. Fußball war der Weg, um auf der guten Seite zu bleiben.

Woher kommt Ihre Dribbelstärke?

Sancho: Ich habe früher immer im Park mit meinen Freuden gespielt. Da habe ich so viel Zeit verbracht, Tricks ausprobiert, gedribbelt. Und irgendwann habe ich das auch auf den Platz gebracht.

Wann haben Sie dabei gemerkt, dass sie eine besondere Gabe haben?

Sancho: So richtig bewusst geworden ist mir das, als ich nach Dortmund gekommen bin. Es hat mich damals beinahe umgehauen, dass ein so großer Klub in diesem Alter, ich war damals erst 17, etwas in mir gesehen hat und mir die Möglichkeit geben wollte, mich weiterzuentwickeln.

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Welcher Mitspieler hilft Ihnen seitdem?

Sancho: Es gibt sehr viele Spieler, die mir helfen. Natürlich Marco Reus, unser Kapitän. Ich schaue zu ihm auf. Es ist unglaublich, was er auf dem Feld für Dinge vollbringt. Er ist gerade vollkommen verdient Deutschlands Fußballer des Jahres geworden.

Und wer noch?

Sancho: Mit Lukasz Piszczek bin ich oft im Fitnessraum. Er fordert von mir immer, dass ich noch mehr mache, noch einen Schritt weitergehe. Ich muss da nur auf seinen Körper gucken, der ist fantastisch, vor allem in seinem Alter (lacht). Früher, als ich den BVB noch in England verfolgt habe, waren er und Marcel Schmelzer grandios. Sie sind immer noch hervorragende Außenverteidiger, von ihnen kann ich viel lernen.

Werden Sie die BVB-Fans irgendwann enttäuschen, weil sie den Klub verlassen?

Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Aber Sie werden von mir keine Aussage finden, wonach ich hier nicht glücklich wäre. Mit allem anderen, den ganzen Spekulationen, beschäftige ich mich nicht. Das würde mir nur Energie rauben. Lassen Sie uns über die Gegenwart sprechen, bitte.

Oder noch einmal über die Zukunft. Im kommenden Sommer findet die Europameisterschaft statt. Werden Sie daran als Deutscher Meister teilnehmen?

Ich hoffe jedenfalls sehr, dass wir in dieser Saison Deutscher Meister werden.