Pittsburgh. Wie schon in Gladbach setzt Lucien Favre auch bei Dortmund auf präzises Training. Der Trainer achtet auf jedes Detail – das kommt gut an.

Lucien Favre schaut fast ein wenig irritiert: ein freier Nachmittag? Bloß weil seine Spieler trainingsfrei haben? „Morgen sind zwei Trainingseinheiten, die muss ich vorbereiten“, sagt der Trainer von Borussia Dortmund. „Das ist viel Arbeit, aber das ist normal.“ Er lächelt als er das sagt, denn für Favre bedeutet diese Sorte Arbeit vor allem: Spaß. Der 60-Jährige ist Fußball-Lehrer aus Leidenschaft. Er geht darin auf, wenn er sich stundenlang durch Videomaterial wühlen kann. Wenn er mit seinen Assistenten Manfred Stefes und Edin Terzic Trainingseinheiten austüfteln kann. Wenn er diese dann auf dem Platz mit einen Spielern durchführen kann. Und kaum etwas macht ihn glücklicher als zu sehen, wenn seine Spieler das Erlernte dann auf dem Platz umsetzen.

So wie am Sonntagabend in Charlotte:  Im Banc-of-America-Stadion steht es 1:1 zwischen dem BVB und dem FC Liverpool, die Engländer haben einige gute Chancen, das Spiel zu entscheiden. Doch dann schießen die Dortmunder kurz vor Schluss das 2:1 und Favre jubelt ausgelassen – fast so, als er hätte er mit Schwarz-Gelb schon den ersten Titel geholt. Dabei ist es weniger das Tor an sich, über das der Trainer sich so erfreut, auch nicht der 3:1-Sieg, der am Ende steht – sondern die Entstehung dieses zweiten Dortmunder Treffers.

Lob von BVB-Sportdirektor Zorc

Bei Torhüter Marwin Hitz beginnt der Spielzug. Dann geht es mit schnellen, direkten Pässen durch die weit aufgerückten Gegenspieler, bis am Ende Marcel Schmelzer über die linke Seite davonläuft und den Ball klug an die Strafraumgrenze legt, wo Christian Pulisic überlegt zum 2:1 abschließt. Nur 15 Sekunden hat es gedauert, den Ball vom eigenen ins gegnerische Tor zu befördern.

„Das war ein super herausgespieltes Tor“, lobt Sportdirektor Michael Zorc. „Eine ähnliche Situation hatten wir schon im Spiel zuvor gegen Manchester City, da hat es nur nicht zum Tor geführt.“ Zufall ist das nicht, genau so haben sie es im Training geübt: kurze schnelle Pässe in einem Parcours aus Steckfiguren, dann ein Steilpass auf den Flügel, Hereingabe in die Mitte, Tor. „So haben wir es geübt“, bestätigt Stürmer Maximilian Philipp. „Dass es jetzt im Testspiel geklappt hat, ist sehr schön und zeigt uns, dass sich die Arbeit lohnt.“

BVB-Profis üben Spielzüge für bestimmte Situationen

Es ist ein Muster, dass man schon aus seiner Zeit bei Borussia Mönchengladbach kennt: Favre lässt seine Spieler immer wieder bestimmte Kombinationen und Spielzüge für bestimmte Situationen einüben, bis diese im Spiel praktisch automatisiert ablaufen.

Das Prinzip ist meist ähnlich: Durch kurze Pässe in der Mitte den gegner vom Flügel wegziehen, irgendwann den Ball schnell dorthin verlagern, zur Grundlinie durchstoßen und den Ball dann flach zurücklegen. Jedes kleine Detail ist wichtig, jeder Pass muss die richtige Schärfe und Richtung haben, den Angreifern wird genau gezeigt, wie sie sich mit dem Ball in Richtung Tor aufdrehen sollen – und auch in der Abwehr wird auf jede Kleinigkeit geachtet. „Er spricht über die Körperhaltung, wie ich laufen soll, ob ich mit dem linken oder rechten Fuß verteidige, wie ich meine Arme einsetze“, staunt Abdou Diallo, der aus Mainz gekommene Innenverteidiger. „Das ist für mich komplett neu.“

Favre ist in den USA deutlich entspannter

Fachlich finden die Spieler bislang nur lobende Worte für ihren neuen Trainer. Und im Team ums Team, bei den Betreuern und anderen Klubmitarbeitern, kommt Favre menschlich bislang sehr gut an mit seiner zwar zurückhaltenden, aber doch offenen und zugewandten Art. War er bei seiner offiziellen Vorstellung in Dortmund vor Dutzenden von Journalisten noch erkennbar nervös, ist er in den USA deutlich entspannter, plaudert gerne und oft mit den mitgereisten Medienvertretern – und bei einem Empfang über den Dächern Chicagos auch mit Sponsoren und Partnern des Klubs.

Als der BVB-Tross weiterreist nach Charlotte, sind dort nicht genügend Zimmer vorbereitet – unter anderem müssen Pulisic und sein Trainer längere Zeit in der Lobby warten. Der nimmt es erst einmal mit Humor. „Da steht der größte Fußballstar der USA, jeder kennt ihn“, sagt er grinsend. „Aber hier kennen sie ihn nicht und haben kein Zimmer für ihn.“

Bosz und Stöger verzweifelten an ihren Spielern

Andere Trainer der jüngeren Klubgeschichte wären bei einer solchen Panne längst ausgerastet – auch solche, von denen man im Dortmunder Umfeld zum Amtsantritt schwärmte, wie angenehm sie doch sind. Deswegen freut man sich beim BVB zwar über die gute Atmosphäre – nimmt sie aber nicht als Garantie, dass es immer so bleibt. Die Dortmunder wissen, dass sie keine ganz einfache Truppe beisammen haben, Favres Vorgänger Peter Bosz und Peter Stöger verzweifelten immer wieder mal mehr, mal weniger an ihren Spielern.

Zweieinhalb Wochen ist Favre erst im Amt und sein Spaß an der Arbeit, dass wissen sie im Klub, wird noch auf die eine oder andere Probe gestellt werden. Dann nämlich, wenn es darum geht, den Zauber des Anfangs im Liga-Alltag zu bestätigen.