Dortmund. Borussia Dortmunds Sportdirektor Michael Zorc spricht über den Umbau der Mannschaft und erklärt, wie Lucien Favre darauf Einfluss nimmt.
Es ist nicht leicht dieser Tage, einen Termin mit Michael Zorc zu finden. Der Sportdirektor muss den Umbruch gestalten, den sich Borussia Dortmund nach einer enttäuschenden Saison vorgenommen hat. Das heißt: Spieler sichten, auswählen, Verhandlungen führen. Und so wird ein erster Gesprächstermin kurzfristig abgesagt, der nächste noch kurzfristiger vorverlegt. Als es dann klappt, ist Zorc aber alles andere als gestresst, sondern blendend gelaunt – und spricht über Transfers, finanzielle Grenzen und seine Vorstellungen für die kommende Saison.
Herr Zorc, wie läuft der Umbruch, den sich Borussia Dortmund für den Sommer vorgenommen hat?
Michael Zorc: Ich habe von einem Neustart gesprochen und würde auch gerne bei der Wortwahl bleiben. (lacht)
Dann eben Neustart. Wie soll die neue Mannschaft aussehen?
Michael Zorc: Wir möchten anderen Fußball sehen, wir möchten eine klare Handschrift sehen, wir möchten aber auch mehr Mentalität und Disziplin sehen, auf dem Platz und daneben. Daran hat es in der vergangenen Saison und vielleicht auch schon länger etwas gefehlt. Natürlich wird es personell noch die eine oder andere Veränderung geben. Wir haben klare Vorstellungen, und die versuchen wir bis zum Ende der Transferperiode am 31. August so gut es geht umzusetzen. Vielleicht wird es nicht in allen Fällen klappen, denn man ist ja auch nicht immer ganz allein auf dem Transfermarkt unterwegs. Wenn ich von einem Neustart spreche, dann gehört zur Wahrheit, dass es sicher mehr als eine Sommertransferperiode braucht, um diesen abzuschließen.
Muss der BVB wieder ein Titelkandidat sein?
Michael Zorc: Nein! Wir tun gut daran, jetzt keine zu hohen Ziele auszurufen. Ein Neustart beinhaltet immer etwas Ungewisses und ist mit Fragezeichen verbunden. Daher macht es für mich keinen Sinn, von Titeln zu sprechen. Das wäre kontraproduktiv und ein bisschen realitätsfremd.
Eine wichtige Baustelle ist die Innenverteidigung. Sokratis wechselt zum FC Arsenal, sein Nachfolger soll Abdou Diallo von Mainz 05 werden.
Michael Zorc: Tendenziell geht es dorthin, das stimmt. Aber die Dinge sind noch nicht komplett finalisiert. Und ich werde jetzt nicht mit Ihnen gemeinsam die Gerüchteküche abarbeiten, die seit Ende Mai inzwischen 27 angeblich neue BVB-Spieler umfasst. Wir machen uns ja inzwischen selbst den Spaß und zählen mit. Wir haben klare Vorstellungen und ich bin sehr sicher, dass wir eine sehr gute Mannschaft zusammenstellen werden. Das wird nicht zwangsläufig bis zum Vorbereitungsstart der Fall sein, weil sich der Trainer ja auch einen Eindruck machen will von den Spielern, die bei uns unter Vertrag stehen.
Das sind derzeit 30 Spieler.
Michael Zorc: Das ist sicherlich keine optimale Größe, und es wird noch Abgänge geben. Wir sind bei verschiedenen Personalien im Gespräch, können aber noch keinen Vollzug melden.
Wie geht die Stürmersuche voran?
Michael Zorc: Wir haben natürlich Kandidaten im Kopf. Aber gerade die Position des echten Mittelstürmers ist derzeit im europäischen Spitzenfußball am schwierigsten neu zu besetzen. Deswegen haben wir uns ja auch sehr lange dagegen gewehrt, Pierre-Emerick Aubameyang zu verkaufen, denn er hat uns Tore garantiert. Momentan habe ich den Eindruck, dass der Transfermarkt – nicht nur bei Stürmern – den Realitäten ein wenig entrückt ist. Es werden sehr schnell hohe Preise aufgerufen. Da müssen wir mit Augenmaß vorgehen und dürfen keine verrückten Sachen machen. Zumal wir in unserem Kader ja auch Spieler haben, die diese Position auch in ihrem Portfolio haben und eine gewisse Torquote versprechen – so wie zum Beispiel Maximilian Philipp.“
Nimmt man den Jahresgewinn und die Reserven vom Festgeldkonto, hätte sie rund 100 Millionen Euro zur Verfügung. Ist das die Preisgrenze?
Michael Zorc: Wir haben ja schon im Winter Manuel Akanji und Sergio Gomez geholt. Und auch im Sommer bereits den einen oder anderen Spieler. Aber wir wollen uns noch auf einigen Positionen verstärken, das stimmt. Ich kann Ihnen keine Budget-Obergrenze nennen, denn die hängt grundsätzlich immer auch von der Einnahmesituation ab.
Es sind große Namen in der Verlosung. Bei einem Alvaro Morata hätte man vor ein, zwei Jahren noch gesagt: Der ist für den BVB deutlich zu teuer.
Michael Zorc: Ich würde auch jetzt sagen, dass Morata zu teuer ist – ohne genaue Summen zu kennen (lacht).
Aber in Ihre frühere Nische mit den jungen, entwicklungsfähigen Spielern drängen immer mehr Vereine rein.
Michael Zorc: Das, stimmt, sowohl im In- wie im Ausland verfolgen Klubs jetzt einen ähnlichen Ansatz. Die Jungs, die wir vor ein paar Jahren noch für fünf Millionen gekauft haben, kosten jetzt 25 Millionen. Diese Entwicklung auf dem Transfermarkt ist nicht unbedingt gesund. Wir haben bei Verkäufen teilweise profitiert davon, aber es macht die aktuelle Phase für uns nicht einfacher.
Wäre es angesichts der aktuellen Preise auch denkbar, einen Stürmer nur zu leihen statt zu kaufen?
Michael Zorc: Ich schließe im Moment gar nichts aus. Warum sollten wir uns 70 Tage vor dem Schließen des Transferfensters limitieren?
Gekommen sind bislang Marius Wolf, Thomas Delaney und Marwin Hitz – was versprechen Sie sich von ihnen?
Michael Zorc: Marius Wolf ist ein junger deutscher Spieler, vielleicht der Shootingstar der vergangenen Saison, der in seiner Spielweise einen unbedingten Siegeswillen, eine riesige Laufbereitschaft, viel Geschwindigkeit und eine grandiose Mentalität mitbringt. Thomas Delaney ist ein typischer Mannschaftsspieler, der dafür sorgt, dass das Team als Ganzes besser funktioniert. Das war uns wichtig, dass wir – Stichwort Neustart – auch diesem Punkt Rechnung tragen. Im vergangenen Jahr hatten wir den Eindruck, dass wir uns nicht immer gegen Widrigkeiten, gegen Niederlagen gewehrt haben.
Wie nimmt der neue Trainer Lucien Favre Einfluss auf die Transfers?
Michael Zorc: Wir sind permanent im Austausch. Er beschäftigt sich schon sehr intensiv mit unseren Spielern, einige hat er ja noch selbst trainiert: Mo Dahoud, Marco Reus und Lukasz Piszczek in seiner Zeit bei Hertha. Und er kennt natürlich auch die Liga gut.
Wie wird der Fußball unter Favre aussehen?
Michael Zorc: Er möchte klare Strukturen in seinem Spiel wiedererkennen, die Mannschaft wird versuchen, dominant zu spielen. Nizza, das eindeutig nicht das größte und beste Team in der französischen Liga ist, hatte unter ihm den zweithöchsten Ballbesitzanteil nach Paris Saint-Germain. Daran kann man erkennen, was auch schon in Gladbach zu sehen war: dass er selbstbewussten, gepflegten Fußball mit Struktur mag.
Kann er den Klub wieder in ruhigeres Fahrwasser führen?
Michael Zorc: Das wäre ein großer Wunsch, das würde dem Verein gut tun. Uns hat in den vergangenen Jahren aus verschiedensten Gründen eine stetige Unruhe begleitet. Ein bisschen mehr Ruhe - übrigens auch im Umfeld - würde uns gut tun, denn in solch einem Klima haben wir immer die stärksten Leistungen gezeigt.
Was spricht noch für Favre?
Michael Zorc: Er kann Mannschaften und Spieler entwickeln. Es wird immer unser ureigenster Anspruch bleiben, junge Talente zu entwickeln. Spieler zu finden, die noch nicht ihren fußballerischen Zenit erreicht haben, sondern mit uns wachsen können. Und das hat Lucien Favre bei seinen bisherigen Klubs wie kaum ein anderer beherrscht.