Dortmund. Im Prozess um den Anschlag sagen zahlreiche BVB-Profis aus. Und wieder einmal wird deutlich: Sie können das Erlebte nur schwer verarbeiten.
Er beginnt mit kräftiger Stimme, doch je länger Nuri Sahin spricht, desto brüchiger klingt er. „In den ersten Tagen und Wochen hat sich das Leben komplett verändert“, sagt der Profi von Borussia Dortmund, der am Mittwochmittag in Saal 130 des Landgerichts Dortmund sitzt, wo Sergej W. der Prozess gemacht wird – jenem Mann, der bereits gestanden hat, im April 2017 einen Anschlag auf die Mannschaft von Borussia Dortmund verübt zu haben, als die gerade im Bus unterwegs war zu einem Spiel. Nun ist der 28-Jährige angeklagt wegen 28-fachen versuchten Mordes und die BVB-Profis müssen aussagen, wie sie jenen schrecklichen Moment erlebt und wie sie ihn nach über einem Jahr verarbeitet haben. Nachdem am Vormittag schon Roman Bürki, Sokratis, und Raphael Guerreiro an der Reihe waren, folgen nun Shinji Kagawa, Julian Weigl, Lukasz Piszczek, Christian Pulisic – und eben Sahin. „Ich habe einen Weg gefunden, damit abzuschließen“, sagt der. „Mir geht es gut, aber das war ein Tag, den man nie vergessen wird. Dadurch werden viele Dinge relativiert, denn es hätte auch ganz anders ausgehen können.“
BVB-Profi Weigl: "Man ist mehr in Vorsichtshaltung"
Der Bus hatte sich damals gerade auf den Weg gemacht vom Mannschaftshotel l’Arrivée in Richtung Dortmunder Stadion, als in unmittelbarer Nähe drei Sprengkörper explodierten. „Es hat einen Knall gegeben und mein Kopf wurde durch die Druckwelle von rechts nach links geschlagen“, schildert Julian Wegl, der ebenfalls am Mittwoch aussagt. „Für einen kurzen Moment herrschte danach Stille im Bus, man wusste nicht, was passiert ist.“ Dann sei „unglaubliche Panik“ ausgebrochen, „ich dachte, wir wurden beschossen“, so Weigl. Der am Arm verletzte Marc Bartra schrie, an seinem Arm lief Blut herab. „Ich hatte unglaubliche Angst“, sagt Weigl. Ich habe mich erst nicht getraut auszusteigen. Erst als Polizisten kamen, wagte es der 22-Jährige, den Bus zu verlassen.
Noch heute hat er manchmal mit den Folgen zu kämpfen: „Wenn Böller im Stadion hochgehen, zuckt man anders zusammen als früher“, beschreibt der BVB-Profi. „Oder wenn Leute gegen den Bus hauen. Man ist mehr in Vorsichtshaltung und beobachtet die Dinge anders als vorher.“ Und: Weigl wohnt unweit des Anschlagsorts, musste immer wieder daran vorbeifahren. Das bereitet mir heute noch Probleme, weil dann sofort wieder die Bilder im Kopf da sind“, sagt Weigl. Anfangs sei er immer Umwege gefahren, um den Anschlagsort nicht passieren zu müssen. „Jetzt hat das ein Stück weit nachgelassen - vielleicht habe ich auch gelernt, mit den Bildern zu leben.“
Auch Weigls Mannschaftskollegen machte das Erlebte lange zu schaffen: „Ich hatte anfangs Schlafprobleme und auch zu Hause Angst“, schildert Shinji Kagawa. Auch selbst Auto zu fahren, sei ihm schwer gefallen, das Einsteigen in den Mannschaftsbus ohnehin – und auch draußen habe er Angst gehabt. „Aber jetzt nicht mehr, jetzt denke ich nicht mehr so viel daran.“
Die ersten zwei, drei Monate seien nicht leicht gewesen, berichtet auch Lukasz Piszczek, „da habe ich viel daran gedacht. Aber jetzt ist es ein Jahr her und ich denke, ich habe das gut verarbeitet.“ Leicht allerdings ist das niemand gefallen – das macht auch die Aussage von Benjamin Weber deutlich, damals Videoanalyst im Trainerteam von Thomas Tuchel: „An die Schreie von Marc Bartra habe ich an dem Abend und an den Tagen danach noch sehr häufig gedacht“, erzählt er.