Essen. Am Dienstag wird der frühere BVB-Spieler und Trainer Matthias Sammer 50 Jahre alt. Erinnerungen an eine große Fußballkarriere – und die Versöhnung mit Dortmund.
- Am Dienstag wird der frühere BVB-Spieler und Trainer Matthias Sammer 50 Jahre alt
- Er erinnert sich im Interview an eine große Fußballkarriere
- Auch die Versöhnung mit Dortmund kommt dabei zur Sprache
Matthias Sammer feiert heute auf Mallorca im Kreis seiner Familie. Er ist ein Stück deutsche Fußball-Geschichte.
Sohn des großen Klaus Sammer. Nach dem Fall der Mauer ging er in den Westen. Deutscher Meister mit Stuttgart und Dortmund, Europameister mit Deutschland, Europas Fußballer des Jahres. Trainer, DFB-Sportdirektor, Sportchef bei den Bayern. Wir sprachen mit Sammer über ein Leben voller Erfolge, Narben, Freunde, Gegner und Versöhnungen.
Herr Sammer, wenn Sie auf Ihr Leben zurückschauen - welche Momente bleiben bestehen?
Matthias Sammer: 50 Jahre - das ist tatsächlich ein Einschnitt in meinem Leben. Man verarbeitet viele Bilder und Momente, man reflektiert, man lässt die Ereignisse am geistigen Auge vorüberziehen. In diesem Prozess bin ich immer noch. Damals meine Zeit in der ehemaligen DDR, der Weg in die Bundesliga, meine Zeit in Stuttgart, in Dortmund, beim DFB und in München. Dann spürt man, dass man bereits ein paar Jahre auf dem Buckel hat. Und in den letzten Jahren habe ich natürlich auch gemerkt, dass plötzlich alles ganz schnell vorbei sein kann. Das wird einem dann schon bewußt.
Sie kommen aus der ehemaligen DDR, wechselten nach dem Mauerfall nach Westdeutschland. War das ein Glücksfall für Sie?
Matthias Sammer: Ja. Wenn ich daran denke, empfinde ich Dankbarkeit, dass ich diese Möglichkeit hatte. Auf der anderen Seite waren damals aber auch Entscheidungen dabei, die nicht so einfach waren. Für die man Mut aufbringen musste, für die man ins Risiko gehen musste. Ich bin diesen Weg dann gegangen. Es war ein schöner Weg, auf dem man aber auch einige Narben in Kauf nehmen musste.
Welche Narben meinen Sie?
Matthias Sammer: Ich bin mit 22 Jahren unvorbereitet aus meiner vertrauten Heimat Dresden weggegangen. Das sind Dinge, die nicht so einfach sind. Da muss man sich durchbeißen und durchsetzen. Und dann natürlich meine gesundheitlichen Probleme.
1997 verletzten Sie sich am Knie. Bei dem Eingriff kam es zu Komplikationen, Sie bekamen eine Infektion und mussten Ihre Karriere beenden. War es schwer für Sie zu begreifen, dass es vorbei ist?
Matthias Sammer: Das zu akzeptieren, das ging ja noch irgendwie. Aber ich bin ein Mensch, der den Sport für sein Leben braucht. Die Gymnastik, die Läufe. Am liebsten täglich. Und wenn das von einem Tag auf den anderen nicht mehr möglich ist, ist es ein tiefer Einschnitt. Die Folgen der Infektion waren eine Katastrophe für mich. Und dementsprechend war es sehr schwer für mich, das zu akzeptieren.
Wie gefährlich war es wirklich?
Matthias Sammer: Es war lebensgefährlich.
Hätte das letzte Notantibiotikum nicht angeschlagen….
Matthias Sammer: … dann würden wir heute nicht miteinander telefonieren und sie hätten nur eine kleine Notiz in Ihrer Zeitung, dass Matthias Sammer 50 Jahre alt geworden wäre.
Sie haben dem behandelnden Arzt keine Vorwürfe gemacht. Das ist bemerkenswert.
Matthias Sammer: Es steckte ja kein Vorsatz dahinter, niemand wollte das. Am Ende nutzt es ja auch nichts und macht keinen Sinn. Es ändert nichts.
Als Sie als Sportvorstand bei Bayern München arbeiteten, erlitten Sie einen leichten Schlaganfall. Hatten Sie Angst um Ihr Leben?
Matthias Sammer: Die Frage war ja damals: Wie wirkt sich diese Durchblutungsstörung aus? Es war wichtig für mich zu wissen, dass ich danach geistig und körperlich keinen Schaden nehme.
Was löste das bei Ihnen aus?
Matthias Sammer: Sein Leben zu reflektieren. Sich mal rauszunehmen, auf sich zu achten, sich Zeit zu nehmen, aufmerksamer durch das Leben zu gehen. Sich mehr um die Familie zu kümmern, mehr mit ihr zu leben. Und nicht immer das Gefühl zu haben: Haben wir Samstag gewonnen oder verloren?
Führen Sie jetzt sozusagen ein zweites Leben?
Matthias Sammer: Ja. So kann man es sagen. Es haben sich die Schwerpunkte verschoben. Dennoch bleiben Familie und Fußball mein Mittelpunkt.
Wenn man an Matthias Sammer denkt, sieht man den Kämpfer auf dem Platz. Aber auch den Kämpfer neben dem Rasen, der sich erbitterte Duelle lieferte. Zum Beispiel mit Dortmunds Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Ist das jetzt der Moment in Ihrem Leben, um zu erkennen: Ich bin müde geworden, ich möchte diese Kämpfe nicht mehr führen?
Matthias Sammer: Ich will jetzt nicht so tun, als ob alles, was in der Vergangenheit passierte, falsch war. Ich möchte glaubwürdig bleiben. Wenn man sich sportlich rivalisiert, besser sein will und in konkurrierenden Unternehmen arbeitet, will man für seinen Klub alles geben. Da schießt man auch einmal über das Ziel hinaus. Diese Zweikämpfe mit anderen möchte ich trotzdem nicht missen. Ich wollte einfach nur gewinnen, und dafür habe ich alles getan. Dann habe ich mich mit dem Konkurrenten auch mal angelegt. Ehrgeiz bedeutet auch Zweikampfverhalten, auf dem Platz und neben dem Platz. Das habe ich gelebt. Weil ich immer Erster sein wollte.
Und wie denken Sie jetzt darüber?
Matthias Sammer: Ich brauche das im Moment nicht mehr. Aber: Wenn man das jetzt reflektiert und Revue passieren lässt, muss man in der Lage sein, es so zu benennen und einzusehen: Okay, das war ein Zweikampf, zu manchen Zweikämpfen muss man auch sagen: Sorry, das war zu viel des Guten. Man muss sich besinnen.
Sie haben mit Hans-Joachim Watzke Frieden geschlossen?
Matthias Sammer: Wir haben uns getroffen, ausgesprochen und verstehen uns wieder sehr gut. Es beruhte ja auf Gegenseitigkeit. Es kam ja auch ein wenig von ihm zu sagen: Lass uns mal zusammenkommen und über alles reden. Das war super. Mit ihm fühlt sich das wieder gut an. Das ist mir sehr wichtig.
Wie ist Ihr Verhältnis zu Bayerns Präsidenten Uli Hoeneß?
Matthias Sammer: Uli Hoeneß war Aufsichtsratsvorsitzender und hat sich stark dafür eingesetzt, dass ich zu den Bayern komme. Und diese Verbindung ist geblieben. Auch über das Berufliche hinweg haben wir ein sehr, sehr gutes Verhältnis.
Und zu Karl-Heinz Rummenigge?
Matthias Sammer: Karl-Heinz Rummenigge ist ein Profi. Er führt einen Klub, der sportlich und wirtschaftlich gewachsen ist, der Dimensionen erreicht hat, wo einem schwindelig wird. Das wurde von mir auch immer geschätztWir haben ein kollegiales und professionelles Verhältnis. Er hat Großes geleistet für die Bayern. Ich denke, dass er diese Anerkennung nicht nur von mir sondern auch von der ganzen Fußballfamilie verdient hat.
Nimmt die Bedeutung von Freundschaften im Laufe des Lebens zu? Gibt es Menschen, denen Sie heute bewußter helfen?
Matthias Sammer: Ja. Es war mir im Leben immer wichtig sich daran zu erinnern, wer einen begleitet hat, wer einen unterstützt und geholfen hat. Wenn derjenige dann irgendwann einmal in Schwierigkeiten gerät, kann ich das doch nicht einfach vergessen. Ich kann doch Lebensleistungen nicht einfach ignorieren. Speziell bei Franz Beckenbauer bin ich traurig und enttäuscht, dass seine Lebensleistung derart in den Hintergrund geraten ist. Alle haben sich mit ihm und durch ihn gesonnt. Und plötzlich ist seine Lebensleistung nichts mehr wert? Das verstehe ich nicht.
Aber er spielte in der Vergabe der WM 2006 nach Deutschland eine Schlüsselrolle, die bis heute ungeklärt ist.
Matthias Sammer: Natürlich muss man diese Geschichte untersuchen, natürlich muss das aufgeklärt werden, was da rund um die WM 2006 geschehen ist. Aber man muss doch unterscheiden, dass das nur ein Bruchteil ist von einer fantastischen Lebensleistung, die Franz Beckenbauer vollbracht hat. Und jetzt kommt es ja gerade so herüber, als scheine die Sonne für ihn nicht mehr.
Der DFB hat sich von Beckenbauer distanziert…
Matthias Sammer:. Für mich bleibt Franz Beckenbauer ein fantastischer Mensch, der für den deutschen Fußball unglaubliches geleistet hat und der stets mit großem Respekt seinen Mitmenschen entgegengetreten ist.
Ihr Name wird immer für den ewigen Kämpfer stehen. Wie wird man der, der man ist?
Matthias Sammer: Rote Haare, dann der Sohn vom großen Klaus Sammer - das war bereits in Dresden nicht immer so einfach für mich. Da hatte ich natürlich nicht nur Freunde. Ich habe schnell gemerkt, dass man Kraft haben muss, wenn man sich durchsetzen will. Dann habe ich in den Kampfmodus umgeschaltet. Das wurde dann meine Maxime: Ich wollte erfolgreich sein. Auf allen Stationen habe ich Erfolge gefeiert. Das schafft man nicht mit Sentimentalitäten. Das würde ich auch immer wieder so tun. Vielleicht würde man mit dem Alter gewisse Dinge anders machen. Aber ich stelle mich jetzt auch nicht hin und bereue es: Einige Dinge waren vielleicht nicht richtig, aber sie waren authentisch.
Trifft der Begriff Feuerkopf auf Sie zu?
Matthias Sammer: (lacht) Damit habe ich kein Problem. Aber ich finde ihn nicht besonders kreativ oder innovativ. Ich habe nie versucht, diese Bezeichnung krampfhaft zu bekämpfen. Ich wollte immer ich sein. Ehrlich, loyal und gerade.
Sie haben in Ihrer Spielerkarriere mit einigen Fußballtrainern zusammen gearbeitet. Wer hat bei Ihnen einen tieferen Eindruck hinterlassen?
Matthias Sammer: Im Nachhinein habe ich von allen Trainer profitiert. Von denen im Osten genauso wie von Berti Vogts, Udo Lattek oder in Stuttgart Christoph Daum. Er war damals ein überragender Fußballtrainer. Sehr ehrgeizig. Außerdem hatte er verrückte Ideen, hat bereits mit Videoanalysen gearbeitet, was die meisten noch gar nicht kannten. Er war offen für Entwicklungen und war in der Lage eine Mannschaft zusammen zu stellen, die erfolgreich war. Er hat uns von Platz 15 in den UEFA-Cup und ein Jahr später zur Meisterschaft geführt.
Dann gingen Sie nach Dortmund und trafen auf Ottmar Hitzfeld…
Matthias Sammer: Er war derjenige, der gute Spieler und Mannschaften veredeln konnte. Seine ganz große Qualität war die Art und Weise, wie er mit Menschen umging. Ehrlich, souverän, mit Klasse. Für mich war er der ideale Trainer, der die verschiedensten Bereiche perfekt zusammengeführt hat. Er hat den Fußball nicht neu erfunden, aber in der Menschenführung gebe ich ihm eine Eins mit Sternchen.
Nun arbeiten Sie als Fußballexperte für den Sender Eurosport. Was darf man von Ihnen erwarten?
Matthias Sammer: Ich hoffe, dass man Fußball erwarten kann. Darum geht es nach wie vor, das ist die Basis. Fachlich und inhaltlich aber auch unterhaltsam möchte ich den Zuschauern diesen wunderschönen Sport näherbringen.
Es ist aber auch eine Gratwanderung. Wenn Sie die Bayern kritisieren, meldet sich Uli Hoeneß und verbietet Ihnen, sich einzumischen. Werden Sie jetzt harmlos?
Matthias Sammer: Von meiner Seite sehe ich diese Gefahr nicht. . Weil ich ja nicht einfach so eine Parole loswerden will. Ich habe zum Beispiel schon vor einiger Zeit über Thomas Müller gesagt, dass die Bayern ihn wertschätzen sollen. Inzwischen ist das ein intensives Thema in ganz Deutschland geworden Ich habe über Dortmund gesagt, dass ich finde, dass Trainer Peter Bosz das sehr gut macht. Plötzlich hieß es, ich hätte damit gemeint, dass Tuchel es nicht so gut gemacht hätte. Wenn ich etwas zu sagen habe, begründe ich es auch. Das kann man gut oder nicht gut finden. Aber ich werde nichts in die Welt setzen, ohne es stichhaltig zu begründen.
Was sollen die Menschen einmal über Matthias Sammer sagen?
Matthias Sammer: (lacht) „Der wollte einfach nur gewinnen“. Das finde ich sportlich schon eine prägnante Aussage. Aber auch das: Auf diesem Weg war er ehrgeizig, manchmal auch verbissen. Er hat etwas geleistet, er hatte auf allen seinen Stationen Erfolg. Und Rückschläge hat er weggesteckt. Das respektieren wir.