Dortmund. Die Bewertungsgrundlage des Falles Mario Götze hat sich drastisch verändert. Der BVB-Spieler leidet an Stoffwechselstörungen. Ein Kommentar.
Es sind Worte von BVB-Boss Hans-Joachim Watzke, die nun nachhallen. Formuliert hat er sie zu Beginn dieses Jahres, als Mario Götze eine passable Hinrunde hinter sich hatte und der Nationalspieler trotzdem so weit weg war von dem, was er zu leisten imstande wäre. Kritik hatte es deswegen am Nationalspieler gegeben nach dessen erstem halben Jahr zurück am Wohlfühl-Ort. Reichlich Kritik, nicht immer sachlich. "Ich bin ganz sicher, dass noch einige Leute bei Götze Abbitte leisten müssen", sagte Watzke also. Der Geschäftsführer war überzeugt, dass Götze bald abliefern würde, was die Menschen erwarteten. Mittlerweile ist klar, warum der Nationalspieler so lange Rätsel aufgab: Stoffwechselstörungen sind scheinbar für seinen unzureichenden körperlichen Zustand verantwortlich.
Watzke wird damals nichts gewusst haben von der Erkrankung seines Spielers, Götze selbst kannte sie ja offenbar nicht einmal. Und doch ist es nicht verkehrt, sich zu fragen, ob Abbitte geleistet werden muss. Fans sollten sich das fragen, Journalisten, Ex-Profis, die als Experten für das Fernsehen tätig sind. Jeder, der sich eine Meinung erlaubt und diese öffentlich kundgetan hat.
Ist es wirklich erforderlich, Götze beinahe abzuschreiben?
Die Frage ist dabei nicht, ob Kritik erlaubt ist. Die Antwort ist einfach: das ist sie. Die Frage ist eher, wie sie vorgetragen wird, was sie meint. Ist es wirklich erforderlich, Götze schon beinahe abzuschreiben und ihn verbal ins Entwicklungsland China zu transferieren, wie es Lothar Matthäus getan hat? Auch die Antwort ist einfach: Ist es nicht. Andererseits: Er hat auf ein Problem hingewiesen, das existierte. Warum es existierte, wusste niemand.
Die Bewertungsgrundlage des Falles Götze hat sich drastisch verändert. Damit konnte niemand rechnen. Aber vielleicht wäre schon viel gewonnen, wenn in Zukunft die unerwartete, nicht absehbare Wendung zumindest als theoretische Möglichkeit in Betracht gezogen wird, um sich nicht im Ton zu vergreifen. Was also, wenn der junge Mann, wer auch immer es beim nächsten Mal sei und was auch immer ihm vorgeworfen wird, nichts für das kann, was man ihm vorwirft?
Ton und Wortwahl und Perspektive sollten stimmen
Zugegeben: Das fällt schwer. Kritik muss erlaubt sein, auch auf die Gefahr hin, nicht restlos alles über denjenigen zu wissen, von dem man glaubt, ausreichend für ein Urteil zu wissen. Gehört alles zum Geschäft. Aber Ton und Wortwahl und Perspektive sollten stimmen. Es gibt sie eben, die Fälle, in denen die Argumentation, dass die vielen Millionen auch ein Schmerzensgeld für Häme sind, zu kurz greifen.
Der Autor dieser Zeilen hat erst vor wenigen Tagen geschrieben, dass Götzes Karriere auf eine Weggabelung zusteuere, an der "auch Götze entscheiden muss, in welche Richtung es geht". Nach oben oder nach unten. Das war gänzlich ohne Häme formuliert, suggerierte aber, dass sich da einer erst noch entscheiden müsse, ob er ein richtig Großer werden will. Dabei hatte der sich längst entschieden und auch danach gelebt, nur sein Körper stand und steht ihm dabei im Weg.
Es gibt Wichtigeres als den Sport
Mario Götze ist eine erfolgreiche Behandlung zu wünschen. Der Fall dokumentiert, was jeder weiß, aber manchmal in Vergessenheit gerät: Dass es Wichtigeres gibt als den Sport, als Tore und Einsatzzeiten. Das eben nicht zu vergessen, ist ebenfalls Aufgabe eines jeden Einzelnen.