Essen. BVB-Trainer Thomas Tuchel suspendierte Pierre-Emerick Aubameyang für ein Spiel. Jede andere Entscheidung hätte Tuchel beschädigt. Ein Kommentar.

Vom ehemaligen BVB-Profi Andreas Möller ist der herrliche Satz überliefert: „Ob Mailand oder Madrid — Hauptsache Italien.“ Auch bei Pierre-Emerick Aubameyang ist es völlig gleichgültig, ob er in Mailand einkaufen oder in Madrid verhandeln war: Wer zu spät zum Training oder zur Mannschaftssitzung erscheint, verstößt als hochbezahlter Angestellter gegen die Interessen seines Arbeitgebers und gefährdet den Erfolg der Kollegen. Ein solcher Spieler muss bestraft werden.

Offenbar hat Aubameyang den Bogen überspannt

Die Suspendierung von Aubameyang mag den BVB-Bossen nicht geschmeckt haben. Es könnte sogar sein, dass der Torjäger seine öffentliche Bestrafung als brüskierend empfindet und das bisherige Treuebekenntnis zu Borussia Dortmund überdenkt. Eine andere Wahl als Aubameyangs Suspendierung hatte der Verein nicht. Jede andere Entscheidung hätte Thomas Tuchel als Trainer beschädigt und die Mannschaft nachhaltig zerrissen.

Natürlich gesteht ein Trainer den Stars im Ensemble ein paar Freiheiten zu, die er dem Nachwuchs verweigert. Ein freier Tag extra. Ausflüge ins Ausland. Persönliche Betreuung. Doch alles hat Grenzen: Die Grenzlinie ist dort gezogen, wo die gemeinsamen Werte einer Mannschaft verletzt werden. Das fängt bei der Kleiderordnung an und hört bei der Pünktlichkeit nicht auf. Kleinere Vergehen regelt das Team mit Zahlungen in die Mannschaftskasse. Größere sind Chefsache.

Offenbar hat Aubameyang den Bogen überspannt. Wegen zehn Minuten Zuspätkommen würde er seinen wichtigsten Spieler nicht öffentlichkeitswirksam bestrafen und für ein Heimspiel in der Champions League suspendieren. Es muss vorher mehr vorgefallen sein als ein ungenehmigter Flug nach Italien. Tuchel war ja gezwungen, vor seiner Mannschaft ein Exempel zu statuieren. Es spricht für Tuchel, dass er keinen kleinen Spieler auserwählte — sondern den größten.

Allein dieser Umstand zeigt die Dringlichkeit dieser Maßnahme: Nach vier Spielen ohne Sieg drohten die Dinge bei Borussia Dortmund aus dem Ruder zu laufen. Es war wichtig, Aubameyang im Besonderen und die Spieler im Allgemeinen an die Grundtugenden zu erinnern. Tuchel hat Stärke demonstriert: Wer nicht mitzieht, fliegt raus. Aubameyang mag auf der Tribüne gelächelt und seinen neuen Hut zur Schau gestellt haben. Aber jetzt weiß jeder, wer das Sagen hat: Tuchel.

Dass die drastische Maßnahme nicht geschadet, im Gegenteil: sogar der Aubameyang-Ersatz Ramos das entscheidende Tor gegen Sporting Lissabon erzielt hat, stärkt Tuchel zusätzlich und wird ihm in der Mannschaft Respekt und Glaubwürdigkeit einbringen. Der Zusammenhalt und der Erfolg der Mannschaft stehen bei ihm tatsächlich über dem möglichen, aber opportunistischen Weg, den andere Trainer nicht selten gehen: Augen zu und durch. Diese Trainer sind schwach.

Die BVB-Führungsspitze trägt Tuchels Entscheidung mit

Und was noch wichtiger ist: Borussia Dortmunds Führungsspitze trug und trägt die Entscheidung des Trainers mit. Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke wurde zwar nicht müde zu betonen, dass die Bestrafung nur für das eine Spiel galt und Aubameyang Samstag beim Hamburger SV wieder spielt. Aber er hätte Tuchel auch zwingen können, in der Causa Aubameyang unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorzeitig einzulenken. Hat er aber nicht. Auch das: Autoritätsgewinn für Tuchel.

Gute Trainer unterscheiden sich von schlechten dadurch, dass sie ihre Führungsprinzipien glaubhaft durchsetzen — gegenüber der Mannschaft und gegenüber der Vereinsspitze. Die erste echte Bewährungsprobe, seit er im Sommer 2015 beim BVB angeheuert hat, hat Thomas Tuchel mit Bravour bestanden. Die nächste steht unmittelbar bevor: dass er Aubameyang dazu bringt, nicht beleidigt auf Dienst nach Vorschrift umzustellen. Beweistermin: Samstag, 15.30 Uhr.

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