Dortmund. . Ein Trainer- und Positionswechsel haben Matthias Ginter seinen holprigen Start beim BVB vergessen lassen. Der 21-Jährige ist inzwischen gesetzt.
Wenn Joachim Löw seine talentiertesten Fußballer in der Bundesliga begutachtet, sieht man ihn vornehmlich in Süddeutschland auf den Tribünen sitzen. Der Bundestrainer sucht ja noch die Idealbesetzung seiner Außenverteidiger, weshalb am Mittwoch ein Besuch in Dortmund passend gewesen wäre. Dort hätte Löw im Pokalspiel gegen Paderborn wohl begeistert die Verwandlung von Borussias Rechtsverteidiger in einen Flügelstürmer erlebt, der ein Tor und eine Vorlage zum 7:1-Sieg beisteuerte. Das einzige Manko: Der Rechtsverteidiger hieß Lukasz Piszczek.
Löw hätte es vermutlich besser gefunden, wenn Torschütze und Assistent bei den letzten beiden Dortmunder Treffern auf den Namen Matthias Ginter gehört hätte, dem der 55-Jährige in letzter Zeit den Vorzug als rechtes Glied der Viererabwehr in der Auswahl des Weltmeisters gegeben hat. Wobei der Bundestrainer wissen dürfte, dass auch Ginter zu solchen Sturmläufen in der Lage ist, seitdem dieser den Polen Piszczek beim BVB in dieser Saison von seiner angestammten Position verdrängt hat. Ob Löw sie nun live im Stadion gesehen oder nur am Fernseher verfolgt hat.
Der 21-Jährige traf in der laufenden Saison wettbewerbsübergreifend zweimal, legte zehn Treffer vor und ist damit vor dem Bundesligaspiel am Samstag (15.30 Uhr/live in unserem Ticker) bei Werder Bremen an jedem fünften der bisherigen 61 BVB-Tore beteiligt. Deshalb teilt sein Trainer Thomas Tuchel Löws Kritik auch nicht, in der Nationalelf würden die in den Vereinen anders geschulten Außenverteidiger zu häufig Angriffe abbrechen: „Da müssen wir aber in der Liga lange suchen, bis wir noch einen finden, der an so vielen Toren beteiligt ist.“
Ginters erste Rückschläge
Dabei erhielt Ginters steile Karriere parallel zu Dortmunds Seuchensaison 2014/15 erstmals einige Macken und Dellen. Der 1,89 Meter große Innenverteidiger war in den Jahren zuvor Gold gewohnt – zweimal in Form der Fritz-Walter-Medaille als größtes Talent seines Jahrgangs und natürlich 2014 bei der WM in Brasilien, die er jedoch nur im Touristenabteil des DFB-Reisetrosses erlebt hat.
Dann kam der Wechsel von Freiburg nach Dortmund, wo zunächst viel schief lief und alles mit Jürgen Klopps Abschied endete. In der Rückrunde hießen die Gegner gar mal Duisburg und Unterhaching, als Ginter in der Drittliga-Reserve aushalf. „Das war die erste Phase, in der es nicht lief, wo ich gegen Widerstände ankämpfen musste“, sagte er zu dieser Erfahrung, „aber viele Sportler sagen ja, dass die Krisenzeiten sie mehr geprägt haben.“
Von Tuchels Experiment zur Paradelösung
Was aber nur der Fall ist, wenn Sportler vor derlei Rückschlägen nicht weglaufen. Ginter vermied dies letzten Sommer, bestimmt auch angestachelt durch den Trainerwechsel bei Schwarzgelb. Und was in der frühen Qualifikationsphase der Europa League gegen die Norweger aus Odds als Experiment begann, ist inzwischen Tuchels Paradelösung: Der neue Rechtsverteidiger Ginter gewinnt zwei Drittel seiner Zweikämpfe, drei von vier Pässen kommen beim Mitspieler an. Der mittlerweile siebenfache Nationalspieler verteidigt hinten, verteilt im Mittelfeld die Bälle und bereitet vorne die Tore der Kollegen vor.
„Es ist eine sehr komplexe Rolle“, sagt sein Trainer, wobei Tuchel nicht bloß Wert auf Torbeteiligungen legt: „Ohne gemeinschaftliche Verteidigungshaltung können wir nicht systematisch und dauerhaft angreifen. Unsere Außenverteidiger sind ein Mittel, unsere Angriffe mit vorzutragen und zum Ende zu bringen.“ Joachim Löw wird sich davon bis zur Europameisterschaft im nächsten Sommer sicher noch einige Male überzeugen – vielleicht auch mal in Dortmund und nicht immer nur in Süddeutschland.