Dortmund. BVB gegen Turin - so lautete auch die Finalpaarung 1997. Damals dabei: Karl-Heinz Riedle. Im Interview blickt er zurück - und auf das anstehende Duell.

Karl-Heinz Riedle musste selbst schmunzeln, als er sah, was er da angerichtet hatte: Bei der Auslosung des Champions-League-Achtelfinales war er es, der Borussia Dortmund Juventus Turin als Gegner bescherte. Ausgerechnet Juventus, ausgerechnet Riedle: Der frühere BVB-Stürmer hatte das Finale von 1997, dass der BVB 3:1 gegen die Italiener gewann, mit seinen beiden Toren maßgeblich entschieden.

Nun trifft der BVB erneut auf Juventus (Dienstag, 20.45 Uhr/im Live-Ticker) - und der 49-Jährige ist wieder dabei: als internationaler Botschafter der Dortmunder. Er hilft dabei, "das Thema Borussia Dortmund anfassbar und erlebbar zu machen", wie es Marketingvorstand Carsten Cramer ausdrückt. Zum Beispiel im Interview - in dem er über seine Finalerfahrungen, die aktuellen Chancen des BVB und einen unerklärlichen Absturz spricht.

Herr Riedle, wenn jetzt ein Tatort-Kommissar herein käme und fragen würde: Wo waren sie am Abend des 28. Mai 1997...

Karl-Heinz Riedle: Das wüsste ich dann noch (lacht). Den Tag vergisst man nicht.

Das ist jetzt fast 18 Jahre her - welche Erinnerungen haben Sie noch?

Riedle: So ganz konkrete habe ich natürlich nicht. Wegen des anstehenden Achtelfinales gegen Juventus werde ich natürlich immer wieder damit konfrontiert. Und es gibt ja auch gewisse Fernsehsender, die das Spiel immer wieder zeigen. Ich habe es ja jahrelang nicht gesehen und habe es mir irgendwann angeschaut, weil meine Söhne mich darauf gedrängt haben. Es ist weit weg - aber jetzt im Moment natürlich ein bisschen präsenter.

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Haben Sie die BVB-Aufstellung noch im Kopf.

Riedle: Ich bin sehr vergesslich, aber ich glaube schon. Hinten musste Julio (Cesar, Anm. d. Red.) ja passen, da hat Martin Kree gespielt. Kree, Kohler, Klos. Dann haben wir Lambert, Möller, Sousa. Wer hat links gespielt? Jörg Heinrich?

Korrekt.

Riedle: Heinrich also hat links gespielt. Möller habe ich schon, Sammi (Matthias Sammer, Anm. d. Red.) hat gespielt...

Fehlt nur noch der Sturm.

Riedle: Chappi (Stephane Chapuisat, Anm. d. Red.) und ich. Ganz so schlecht war das nicht, oder?

Nein. Bei Juventus hätten sie vermutlich mehr Schwierigkeiten, oder?

Riedle: Oh, da könnte ich keine fünf mehr nennen.

War dieser Tag der größte Erfolg ihrer Karriere?

Riedle: Natürlich. Mehr geht nicht im Vereinsfußball. Ich bin zwar auch Weltmeister geworden, aber da habe ich im Finale nicht gespielt. Und das ist schon etwas anderes, wenn du im Finale stehst und spielen kannst. Und außerdem: Wir waren ja krasser Außenseiter. Juve war die Übermannschaft zu dem Zeitpunkt, ich weiß gar nicht, in wieviel Finalspielen die nacheinander standen. Das war eine legendäre Mannschaft, wir hatten eigentlich gar keine Chance. Die Buchmacher hätten nichtmal einen Cent auf uns gesetzt.

Sie haben das Spiel damals mit ihren Toren zum 1:0 und 2:0 maßgeblich in die richtige Richtung gelenkt. Trotzdem wird heute meist über das dritte Tor von Lars Ricken gesprochen. Ist das nicht ungerecht?

Riedle: Ach, weder meine zwei Tore noch das vom Lars sind am Ende personalisiert wichtig. Das war einfach ein mannschaftlicher Kollektiverfolg, bei dem alles gepasst hat. Wir haben auch Glück gehabt, in den ersten 20 Minuten haben die uns hergespielt und wir sind nur noch geschwommen. Aber im Endeffekt war es für alle Beteiligten das Spiel des Lebens.

Riedle hat vor dem Finale gegen Juventus "schlecht geschlafen" 

Wie erlebt man als Profi den Vorlauf zu so einem Spiel - gerade, wenn man als der krasser Außenseiter hineingeht?

Riedle: Die Vorbereitung war natürlich etwas anders. Die ganze Intensität, die ganze Ansprache vom Trainer war anders. Jeder Spieler wusste: Das kommt einmal im Leben und wahrscheinlich kein zweites Mal, dass du in diesem Finale stehst. Ich war richtig in einem Tunnel. Das habe ich sonst nie erlebt, vor dem Spiel war ich wie in Trance beim Warmlaufen. Jedem war bewusst: Das ist die Chance deines Lebens - wenn du gut spielst oder einfach nur das Spiel gewinnst.

Kann man da vorher überhaupt noch ruhig schlafen?

Riedle: Ich habe schlecht geschlafen. Ich habe mich nur gewälzt, geträumt, aufgewacht, wieder eingeschlafen. Es war keine ruhige Nacht - aber im Endeffekt war's wurscht.

Jetzt kommt es erneut zum Duell Dortmund gegen Juventus - und Sie sind nicht ganz unschuldig dran.

Riedle: Ja, ich hatte auch befürchtet, dass das von mir so gezogen wird. Irgendwie passt es trotz alledem. Es hätte auch schlimmer kommen können. Es hätte vielleicht auch ein bisschen besser kommen können, aber im Endeffekt ist das die Neuauflage eines tollen Finales. Und ich glaube, es kommt jetzt zum richtigen Zeitpunkt. Juve ist sicher nicht einfach zu schlagen, dass sind italienische Mannschaften ja grundsätzlich nicht. Aber ich hoffe natürlich jetzt auf einen positiven Aufwind und dass die Mannschaft zu der Form findet, die sie in der Vorrunde in der Champions League gezeigt hat.

Das ist ja das große Rätsel der Saison: In der Champions League hat man souverän die Gruppe gewonnen, in der Bundesliga kämpft man gegen den Abstieg. Wissen Sie eine Erklärung dafür?

Riedle: Ich habe auch keine. Ich habe viele Spiele gesehen und war wie wahrscheinlich alle Beteiligten zwischenzeitlich sprachlos. Es gab natürlich gewisse Erklärungsansätze. Aber so einen krassen Absturz hat es jetzt einmal gegeben und wird es vermutlich nie wieder geben. Es ist nicht zu 100 Prozent nachvollziehbar, wahrscheinlich für keinen. Aber wir kämpfen uns gemeinsam da raus.

Jetzt spielt also der Tabellenzehnte der Bundesliga gegen Juventus Turin - das klingt nach einer klaren Angelegenheit.

Riedle: Ja, aber das spiegelt ja auch nicht die Stärke der Mannschaft wieder. In der Champions League haben sie immer bewiesen, dass sie richtig gut spielen können. Deshalb glaube ich, dass das eine Begegnung auf Augenhöhe ist.

Warum Klopp für die Motivation wenig machen muss 

Wenn Sie die Mannschaft auf dieses Spiel vorbereiten müssten: Was würden Sie den Spielern mit auf den Weg geben?

Riedle: Ich glaube, der Jürgen (Klopp, Anm. d. Red.) weiß genau, was er da mitgeben muss. Da brauchst du auch keine zusätzliche Motivation, da weiß jeder Spieler - gerade in der aktuellen Situation -, dass das eine riesige Chance ist, weiterzukommen. Da muss ein Trainer in puncto Motivation relativ wenig machen.

Für die Mannschaft von 1997 war der Champions-League-Sieg der absolute Höhepunkt, danach folgte eine Durststrecke. Erkennen Sie da Parallelen zum heutigen BVB, wo es nach dem verlorenen Finale von 2013 auch eher abwärts ging?

Riedle: Statistisch sieht man die natürlich schon. Aber das zu vergleichen, ist schwierig. Wir hatten deutlich ältere Spieler, die teils vor dem Karriereende standen. Der Trainer hat gewechselt, da kam eine neue Philosophie mit dem Italiener (Nevio Scala, Anm. d. Red.). Das kann man also nicht vergleichen. Die aktuelle Mannschaft macht immer noch einen guten Eindruck. Natürlich wird man auch hier über kurz oder lang sicher mal neue Gesichter sehen und vielleicht den einen oder anderen Abgang - das ist ja ganz normal. Aber es ist ein ganz anderer Punkt der jeweiligen Karrieren als bei uns damals.

Als ehemaliger Stürmer schauen sie auf den Mannschaftsteil sicher etwas genauer. Was machen die beiden Neuzugänge Ciro Immobile und Adrian Ramos für einen Eindruck auf Sie?

Riedle: Die kamen natürlich in einer Phase dazu, in der es nicht gut lief. Das kann man also nicht nur den beiden anlasten. Robert Lewandowski hat ja im ersten Jahr auch keine Bäume ausgerissen, aber dann... Man muss vielleicht den Spielern einfach ein bisschen Zeit geben. Immobile arbeitet unheimlich viel für die Mannschaft, wie auch Ramos, er kloppt sich richtig rein, wenn er spielt. Aber es ist natürlich gerade für Immobile kein idealer Zeitpunkt gewesen. Er ist ein Strafraumspieler, ein anderer Spieler als Lewandowski. Dem muss man ein bisschen Zeit geben.

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So wie bei Pierre-Emerick Aubameyang, der jetzt im zweiten Jahr in Dortmund aufblüht?

Riedle: Der war natürlich zuletzt, beispielsweise gegen Freiburg, überragend, auch mit seiner Schnelligkeit. Das hat er sehr gut gemacht.

Wenn Sie sich einen Ersatz hätten wünschen dürfen für Robert Lewandowski: Wen hätten Sie geholt?

Riedle: Hier gibt es genügend Leute, die sich da einen Kopf drum gemacht haben. Man hat ja beide auch nicht ohne Grund geholt, die haben ja sowohl in der italienischen Liga wie auch in der Bundesliga gezeigt, dass sie es können. Ein bisschen Geduld muss man da haben. Ich habe da vollstes Vertrauen in Michael Zorc.

Die jüngste Personalie beim BVB war die Vertragsverlängerung von Marco Reus. Wenn Sie einerseits sehen, was für einen Trubel das gab, andererseits aber auch, welche Summen da als Gehalt kolportiert werden, sind sie da neidisch?

Riedle: Nein, absolut nicht. Natürlich ist es für den Verein sensationell gut, dass das in dieser Phase passiert. Und ich glaube, für Marco ist es auch eine Erlösung, dass das jetzt mal draußen ist. Es wird ihn befreien. Für beide Seiten genau der richtige Zeitpunkt.

Aber Sie würden nicht mehr tauschen wollen mit den heutigen Profis?

Riedle: Was heißt tauschen wollen? Natürlich ist das jetzt genau so eine super Phase, wie es zu unserer Zeit war. Es war toll, als wir gespielt haben. Und wir können uns auch nicht beklagen, wir haben auch schon gutes Geld verdient.

"Der BVB ist für jede Mannschaft schwer zu stoppen" 

In der Mannschaft, mit der sie 1997 die Champions League gewonnen haben, waren viele Spieler, die heute in wichtigen Positionen in der Bundesliga arbeiten: Michael Zorc und Lars Ricken hier in Dortmund, Matthias Sammer, Stefan Reuter...

Riedle: Paolo Sousa auch, der ist Trainer in Basel.

Bei Ihnen ist das anders. Woran liegt das?

Riedle: Ich habe wohl den Zeitpunkt ein bisschen verpasst, als ich in England aufgehört habe. Für mich war aber auch Trainer und Sportdirektor nicht unbedingt das Ziel. Ich bin glücklich mit dem, was ich mache. Für mich ist toll, dass ich jetzt bei Borussia Dortmund wieder dabei bin.

Sie sind Markenbotschafter des BVB - was genau muss man sich darunter vorstellen?

Riedle: (lacht) Man brauchte eben einen Namen für das, was ich mache - und dabei ist Internationaler Botschafter rausgekommen. Wichtig ist für mich dass ich Dortmund helfen kann bei den Ambitionen, die es im Ausland gibt. Sich dort noch besser und intensiver zu positionieren, bei Terminen dabei zu sein, den Verein zu repräsentieren. Das mache ich sehr, sehr gerne.

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Sie sehen ja nach wie vor viele Fußballspiele. Dabei stellt man fest, dass es in Deutschland immer wenige klassische Mittelstürmer gibt, wie Sie einer waren.

Riedle: Die ganze Spielphilosophie bei vielen Mannschaften hat sich ja geändert. Die klassische Neun gibt es so gar nicht mehr, du brauchst variable Spieler. Das sind ganz andere Systeme, als zu unserer Zeit gespielt wurden. Damals hieß es: hinten vier, in der Mitte vier, vorne zwei - da war klar: Man braucht einen echten Mittelstürmer. Jetzt wird schon in den ganzen Nachwuchsakademien völlig anders trainiert. Diese klassischen Mittelstürmer gibt es kaum noch.

Würden Sie denn in der aktuellen Spielweise noch ihren Platz finden?

Riedle: Das weiß ich nicht. Aber jeder Spieler kann sich mit Sicherheit auch einem neuen Spielsystem wieder angleichen. Der Fußball hat dann im Endeffekt doch eine Sprache.

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Herr Riedle, ich kann das Gespräch natürlich nicht beenden, ohne Sie zu fragen, wie es ausgeht zwischen dem BVB und Juventus.

Riedle: Über beide Spiele glaube ich, dass Dortmund auf jeden Fall weiterkommen wird, da bin ich zuversichtlich. Aber der Grundstein muss jetzt in Italien gelegt werden.

Worauf gründet die Zuversicht?

Riedle: Auf dem, was die Mannschaft in der Champions League geboten hat bis jetzt. Wenn sie in einen Lauf kommt - und vieles spricht ja dafür - dann ist sie für jede Mannschaft schwer zu stoppen. Vielleicht braucht es nur diesen einen Klick und dann wird es schon laufen. Man kann es nicht immer erklären, wie schnell es dann geht.