München. . Ein spanischer Journalist durfte Pep Guardiola ein Jahr lang begleiten. Das Ergebnis dieser Nähe ist ein Buch, aus dem hervorgeht, dass dieser Trainer ständig versucht, dieses eigensinnige Spiel namens Fußball zu bändigen - und ständig Angst davor hat, es nicht zu schaffen.

Eines Morgens bat Pep Guardiola die Videoanalysten des FC Bayern München, ihm doch eine DVD von den Spielen des Frauen-B-Teams zu geben. Die Videoanalysten mussten dem Trainer ihrer Männerelf gestehen: Vom Frauen-B-Team existieren gar keine Filmaufzeichnungen. Das Naheliegende trauten sie sich nicht zu fragen: Was wollte der populärste Trainer des zeitgenössischen Fußballs mit dieser DVD?

Guardiola wollte nur einem Bekannten einen Gefallen tun. Martí Perarnau, 1980 Olympiateilnehmer im Hochsprung, nun 59, Journalist und mit Guardiola seit Jahren vertraut, hatte ihn um die Videos gebeten. Perarnaus Tochter Marta spielt in Spaniens zweiter Liga Fußball, liebäugelte mit ein paar Monaten im Ausland und wollte überprüfen, ob sie das Niveau habe, für die B-Elf der Bayern-Frauen zu spielen.

Ab Donnerstag kann jeder nachlesen, dass Guardiola noch ganz andere Sachen für Perarnau tat: Dann erscheint Perarnaus Buch „Herr Guardiola“ über die erste Saison des Meistertrainers in München. Es ist eine Offenbarung.

Offiziell gab es keine Interviews

Während Guardiola offiziell kein einziges Interview gab, redete er ein Spieljahr lang quasi täglich in aller Offenheit mit Perarnau über seine Arbeit. Während die Öffentlichkeit offiziell von fast allen Trainingseinheiten der Bayern ausgeschlossen war, saß Perarnau ständig am Übungsplatz. Nach dem Training konnte er ganz frei in die Klubkantine schlendern und die Spieler ansprechen, ob sie ein paar Minuten Zeit für ihn hätten. Selbst Bayerns Pressestelle wusste monatelang nicht, was dieser Spanier da eigentlich immer bei Guardiola machte.

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Guardiola bewundert elegante Bücher. Dies, sowie das Gefühl, von Perarnau, einem Vertrauten und ehemaligen Leistungssportler, verstanden zu werden, animierte ihn wohl dazu, dem Journalisten einen einzigartigen Zugang zu gewähren. So steht der Leser auf einmal eine Saison lang neben Guardiola, in all den Momenten, wenn die Kameras verschwunden sind.

Boateng und Höjbjerg als Lieblingsschüler

Eines kalten Abends geht Guardiola eine Ewigkeit alleine über den leeren Trainingsplatz an der Säbener Straße; er hatte in der Nacht zuvor im Halbschlaf eine Idee für eine neue Trainingsübung und will nun visualisieren, ob sich die Idee tatsächlich umsetzen lässt. Ein anderes Mal ruft er zuhause begeistert seine Kinder herbei, „María, Màrius, kommt her, schnell: Ich hab’s!“, um ihnen als ersten seinen taktischen Meisterzug zu erklären, Philipp Lahm ins zentrale Mittelfeld zu rücken.

Dabei bleibt Perarnau stets auf dem Fußballplatz. Er will den Trainer Guardiola darstellen, nicht die ganze Person. Beiläufig erfährt man mehr aus der abgeriegelten Welt der Bayern, vieles Ungekanntes: Wie nah Bayerns Sportdirektor Matthias Sammer und Guardiola sich tatsächlich sind, wie Jerome Boateng und der junge Däne Pierre-Emile Höjbjerg zu Guardiolas Lieblingsschülern im Team wurden, wie er dagegen zu Franck Ribéry lange einfach keinen Zugang fand – wie er wider seinen Glauben im Champions-League-Halbfinale gegen Madrid auf Wunsch der Spieler die Taktik änderte und kolossal scheiterte. „Ich habe mich geirrt, Mann. Das ist die größte Scheiße, die ich als Trainer je gemacht habe!“

Die Geschichte, die nicht im Buch ist

Echte Konflikte spart das Buch dagegen aus. Da fühlt sich der Autor offenbar mehr Guardiola als dem Leser verpflichtet. Doch auch wenn die Erzählung auf den 400 Seiten gelegentlich verflacht, weil Perarnau seinen grundsätzlich eloquenten erzählerischen Ton schleifen lässt oder Trainingsbeschreibungen am mangelnden Fußballspanisch der Übersetzer scheitern, so bleibt dieses Buch ein Schatz: Die Nähe, die Guardiola zuließ und Perarnau vermittelt, ist in den höchsten Sphären des Profifußballs heutzutage eigentlich unmöglich.

Spitzensportler leben im Gefühl, nichts preisgeben zu dürfen, weil ihnen die informationsgierige Öffentlichkeit den Eindruck vermittelt, jede persönliche Regung oder Äußerung von ihnen sei ein potenzieller Aufreger. So wird Guardiola für das Publikum, das ihn schon in abertausend Medienbildern gesehen hat, erst durch dieses Buch wirklich lebendig: Ein Mann, der besessen versucht, dieses eigensinnige Spiel namens Fußball zu bändigen, und ständig Angst hat, es nicht zu schaffen.

Das schöne Ende von Guardiolas und Perarnaus Zusammenarbeit findet sich allerdings nicht im Buch: Perarnaus Tochter wird in einigen Monaten nach München ziehen und für das B-Team von Bayerns Frauen spielen.