Santo André. Am frühen Morgen nach dem Turbostart in die Fußball-WM spazierte Joachim Löw lässig im Deutschland-Trikot und mit modischer Sonnenbrille am Strand entlang.
Nach der Rückkehr ins Campo Bahia war auch beim Bundestrainer der immense Druck abgefallen, das erste Etappenziel konnte mit dem krachenden 4:0-Einstand gegen Portugal eindrucksvoll realisiert werden. «Das war für uns ein sehr guter Auftakt», sagte Löw und verriet: «Wir haben vor dem Spiel gesagt, dass es für uns keine andere Option gibt, als zu gewinnen.»
Bei der Rückkehr ins Campo Bahia war der Song «Happy» von Pharell Williams durchs Quartier geklungen, als Triple-Torschütze Thomas Müller unter dem Applaus der Angestellten einmarschierte. «Glücklich» sanken die gefeierten Sieger von Salvador später in ihre WG-Betten und konnten von weiteren Großtaten in Brasilien träumen.
Der Knallstart war ein Empfehlungsschreiben, es erinnerte viele Beobachter an die Initialzündung der letzten deutschen Weltmeister 1990 beim 4:1 in Mailand gegen Jugoslawien. Und «Bomber» Thomas Müller ist mit seinen hitzefesten Kameraden wild entschlossen, den euphorischen Fans in der Heimat noch sechs große Fußball-Festtage bis zur finalen Krönung am 13. Juli in Rio de Janeiro zu bescheren.
«Wir sind hier, um Weltmeister zu werden und nicht, um irgendwelche Rekorde zu schlagen», verkündete der 25 Jahre alte Triple-Torschütze, der sich bei der Auftakt-Gala zum leidenschaftlichen Anführer in der Arena Fonte Nova aufschwang und auch hinterher als Wortführer die weitere Richtung vorgab. Überschwang sei fehl am Platz, mahnte der WM-Torschützenkönig von 2010: «Jetzt bleiben wir mal ruhig. Wir brauchen nicht so zu tun, als wenn wir hier als Übermannschaft gestartet sind. Im nächsten Spiel geht es wieder bei Null los.»
Ein «Meilenstein» Richtung Achtelfinale war die Demütigung von Cristiano Ronaldos Portugiesen dennoch, wie Mats Hummels, der Schütze des 2:0, erklärte. Von einem «Ausrufezeichen» mit Blick auf die Mitbewerber um den Titel sprach Manuel Neuer, von einem Druckabfall mochte der Torwart aber nichts wissen: «Der Druck wird weiter bestehen bleiben, weil wir noch nichts erreicht haben.»
Löw wird die Spannung schnell wieder aufbauen, auch wenn zur Belohnung zunächst für Dienstag ein freier Nachmittag für die 23 Spieler in Aussicht stand. Eine verständliche Genugtuung über die geglückte Punktlandung seiner Mannschaft nach einer schwierigen, von Kritik und Zweifeln begleiteten Vorbereitung unterdrückte der 54-Jährige: «Ich habe gespürt, dass sich die Mannschaft nicht aus der Ruhe und Konzentration bringen lässt.»
Auch der Bundestrainer hat seinen Weg konsequent verfolgt. Über 26 Millionen Zuschauer vor den Fernsehgeräten in Deutschland und eine ungezählte Menge beim Public Viewing erlebten mit, wie sich die heißen Diskussionen um falsche und richtige Neuner im Angriff oder das gewagte Novum mit vier Innenverteidigern in der Abwehrreihe erst einmal in Luft auflösten. Das neue 4-3-3-System ging auf, mit den Fitnesstrainern und Medizinern zauberte Löw eine Elf auf den Platz, die «auf den Punkt topfit» war, wie er stolz betonte. Sorgen bereitet allein der geprellte Oberschenkel des bärenstarken Hummels. Natürlich überstrahlte Müller, der auch noch Portugals Abwehrchef Pepe zur Roten Karte reizte, alles. Die personellen Entscheidungen aber passten alle, bis hin zur unerwarteten Aufstellung von Mario Götze. «Wenn es eng ist, ist er ein Spieler, der sich gerade gegen große Abwehrspieler sehr gut in Szene setzen kann», begründete Löw.
Der 16. Juni 2014 war zugleich eine Zäsur: WM-Veteran Miroslav Klose (36) und Vize-Kapitän Bastian Schweinsteiger (29) spielten keine Minute, die kraftstrotzenden Mittzwanziger wie Müller, Kroos, Hummels, Boateng und der sich nach seinem Kreuzbandriss quälende Leitwolf Khedira haben das Kommando neben Kapitän Lahm, Abwehrchef Mertesacker und Torwart Neuer übernommen.
«Wenn wir weiter als Mannschaft so zusammenstehen, wird es schwer, uns zu schlagen», verkündete Jérome Boateng, der Weltfußballer Ronaldo wie schon bei der EM 2012 nicht zur Entfaltung kommen, sondern wieder leiden ließ. «Wie üblich macht Deutschland schon allen Angst», kommentierte die italienische Tageszeitung «La Repubblica».
«Es ist ein guter Start, aber absolut kein Grund zum Abheben», mahnte intern Manager Oliver Bierhoff. Ghana heißt am Samstag die nächste Aufgabe, im noch heißeren und feuchteren Spielort Fortaleza. Die Afrikaner stehen nach dem 1:2 gegen das US-Team von Jürgen Klinsmann bereits mit dem Rücken zur Wand. «Ich glaube, dass uns Ghana bei diesen Hitzebedingungen viel abverlangen wird», prophezeite Löw.
Müller wird's schon richten. «Ich gehe nicht davon aus, dass ich im nächsten Spiel wieder drei Tore machen werde - aber ich versuche es», kündigte er forsch an. Löw geriet förmlich ins Schwärmen über den «unorthodoxen» Angreifer: «Er hat einfach nur einen Gedanken im Kopf: Wie kann ich am Ende ein Tor erzielen?»
Müller ist selbst für den Bundestrainer mit seinen unberechenbaren «Quer- und Diagonalläufen» eine Art Wundertüte, so wie es das deutsche Team insgesamt bis zur Portugal-Offenbarung war. Der Anfang ist gemacht, mehr aber nicht, betonte Neuer: «Es war trotz des tollen Ergebnisses nicht alles perfekt - das muss man im Hinterkopf haben.»