Rio de Janeiro. Welch ein Start in die 20. Fußball-Weltmeisterschaft in Brasilien! Offensiv-Fußball mit zahlreichen Toren statt langweiligem Rasenschach, dazu erste handfeste Überraschungen mit dem entzauberten Titelverteidiger Spanien oder dem strauchelnden WM-Vierten Uruguay.
Die befürchteten Organisationspannen blieben indes genauso wie schlagzeilenträchtige Massenproteste aus. Das Auftakt-Wochenende der Copa 2014 hat Lust auf weitere vier Wochen Futebol gemacht. Am Montag ist dann endlich auch die deutsche Nationalmannschaft am Zug, ihren Anteil zum großen Fußballfest beizutragen, wenn es zum großen Duell mit Cristiano Ronaldo und den Portugiesen kommt.
Edelfan Angela Merkel wird auf der Tribüne die Daumen drücken, Franz Beckenbauer nach seinem FIFA-Bann dagegen nicht und womöglich während des Turniers überhaupt nicht mehr. DFB-Präsident Wolfgang Niersbach und sein Vorgänger Theo Zwanziger werden auch kaum mehr Seite an Seite zu sehen sein, nachdem sich die Funktionäre öffentlich weiter bekriegen. So gingen Fußball-Deutschland auch ohne Tore von Thomas Müller oder Tricks von Mesut Özil die Schlagzeilen nicht aus.
Für die dicksten Überschriften sorgten die wiedererstarkten Oranje-Stars aus den Niederlanden, die den Welt- und Europameister beim 5:1 demütigten. Auf der iberischen Halbinsel löste die Pleite bei den stolzen Spaniern Fassungslosigkeit und Entsetzen aus. "1:5 - eine Katastrophe von historischem Ausmaß", empörte sich die Sportzeitung "Marca". Das Fachblatt war mit schwarzer Titelseite und der Aufforderung "Bringt das wieder in Ordnung!" erschienen. Für "La Roja" war es die höchste Niederlage seit dem 1:6 gegen Brasilien vor 64 Jahren.
Nach der sechsjährigen Regentschaft im Fußball mit drei großen Titeln könnte das "Tiki-Taka" der Spanier ausgedient haben. Am Mittwoch tritt in Spanien König Juan Carlos ab. Folgen ihm wenige Stunden später womöglich auch Andres Iniesta und Co. bei einer weiteren Niederlage gegen Chile, das mit einem 3:1 gegen Australien erwartungsgemäß startete?
Auch Uruguay, bei den Geheimtipps auf den Titel häufig genannt, ist böse ausgerutscht. Nach dem 1:3 gegen den krassen Außenseiter Costa Rica ist ein zweites "Maracanazo", wie der historische WM-Triumph 1950 über Brasilien beschrieben wird, ganz weit weg. Drei Punkte hätten es schon sein sollen, schließlich hat es die sogenannte Hammer-Gruppe D in sich. Beste Aussichten hat hier nun Ex-Weltmeister Italien, der England im "Rumble in the jungle" in Manaus mit 2:1 niederrang.
28 Tore fielen in den ersten acht Spielen, im gleichen Zeitraum gab es 2010 in Südafrika nicht einmal die Hälfte. "Was ein erfrischend positiver Start zu dieser WM. Die Antithese zu vor vier Jahren", twitterte die englische Fußball-Ikone Gary Lineker. Nicht ganz Schritt halten konnten die Schiedsrichter, die sich gleich in den ersten Spielen haarsträubende Fehler leisteten und damit nach der Einführung der Torlinientechnik Diskussionen um den Videobeweis befeuerten. Der deutsche Referee Felix Brych gehörte da zu den positiven Ausnahmen.
Mit seiner Leistung im Uruguay-Spiel kommt er für einen längeren Verbleib im Turnier infrage, was aber die deutsche Mannschaft bei einer erfolgreichen WM-Mission zunichtemachen könnte. Eine Woche konnten Joachim Löw und seine Titeljäger bei der Vorbereitung in der Wohlfühl-Oase Campo Bahia eher die brasilianische Ursprünglichkeit genießen. An diesem Montag muss der dreimalige Weltmeister gegen starke Portugiesen nun in der hektischen Millionen-Metropole Salvador vor den Augen der Welt die Wettbewerbsfähigkeit nachweisen.
"Es ist wichtig, dass jeder zu hundert Prozent da ist", gab Joachim Löw seinen Stars mit für das heiße Duell gegen Cristiano Ronaldo und Co. in der Arena Fonte Nova von Salvador. Auch Manuel Neuer bestätigte nach seiner Schulterverletzung rechtzeitig seine WM-Fitness ohne Einschränkungen.
Dass in Deutschland trotzdem keine Langeweile aufkam, dafür wurde neben all den Toren zu später Stunde auf Funktionärsebene gesorgt. Die FIFA sprach gegen "Kaiser" Beckenbauer eine Sperre von 90 Tagen aus, weil dieser den Fragebogen im Zuge der Untersuchungen möglicher Korruptionsvorfälle bei der Vergabe der WM 2018 und 2022 nicht beantwortet hatte. Der DFB forderte indes Zwanziger zum Rücktritt aus dem FIFA-Exekutivkomitee auf, nachdem der Ex-DFB-Präsident seinem Nachfolger Niersbach die Vorbildfunktion abgesprochen und Heuchelei vorgeworfen hatte.
Gastgeber Brasilien ist indes der Start geglückt, nicht nur sportlich durch das 3:1 gegen Kroatien. Überschattet wurde die Auftaktpartie zwar von Randalen und Ausschreitungen in der Eröffnungsstadt, bei denen es Verletzte und Festnahmen gab. Die Proteste waren aber in keiner Weise mit der Massenbewegung beim Confederations Cup 2013 zu vergleichen. Ähnlich war das Bild in den ersten Tagen in Belo Horizonte, Rio, Brasília, Porto Alegre und Fortaleza.
600 000 ausländische WM-Touristen machen Party-Stimmung, wenn ihre Mannschaften spielen. An Rios Copacabana herrscht schon seit Tagen Ausnahmezustand. Abertausende Fans aus allen WM-Ländern bevölkern die legendäre Strandpromenade und ziehen siegessicher mit selbst gemachten WM-Pokalen, Fahnen und Nationaltrikots umher. So kann es weitergehen.