Berlin. Mit seinem Coming-out will Thomas Hitzlsperger Mut machen. Auch wenn er selber als aktiver Fußballprofi den Schritt auf Anraten seines Umfelds scheute, erhofft sich der 31-Jährige nun ein Umdenken in der Gesellschaft. Im In- und Ausland erntete Hitzlsperger großen Respekt.
"Ich hoffe, dass ich mit diesem Schritt in die Öffentlichkeit jungen Spielern und Profisportlern Mut machen kann", sagte der 31-Jährige und betonte: "Profisport und Homosexualität schließen sich nicht aus, davon bin ich überzeugt."
In einer Video-Botschaft auf seiner Homepage erklärte der ehemalige Nationalspieler, sein Coming-out sei für Familie oder Umfeld unwichtig, "wichtig ist es nur für die Leute, die homophob sind, andere ausgrenzen aufgrund ihrer Sexualität. Und die sollen wissen: Sie haben jetzt einen Gegner mehr."
Schon während seiner Bundesliga-Zeit beim VfL Wolfsburg in der Saison 2011/12 dachte der frühere Fußball-Nationalspieler daran, seine Homosexualität öffentlich zu machen. Dann aber habe er auf warnende Stimmen in seinem Freundeskreis gehört. "Sie sagten alle, tu es nicht, eine große Welle wird über dir zusammenbrechen. Aber dann realisierte ich, dass das keiner vorhersagen konnte", sagte er der britischen Tageszeitung "Guardian".
Im TV-Sender BBC betonte er: "Ich kann mir nicht vorstellen, Fußball zu spielen und das zur selben Zeit zu machen. Wir haben noch einen langen Weg vor uns, weil wir eine Reaktion fürchten und nicht wissen, was passieren wird. Schwule Fußballer sind unsichtbar."
Dass er sein Schwulsein sichtbar gemacht habe, habe er auch den Coming-outs von Sportlern wie Rugby-Profi Gareth Thomas, Wasserspringer Tom Daley oder US-Fußballprofi Robbie Rogers zu verdanken. "Ich wollte sie unterstützen, wie sie mich unterstützt haben." Frühere Weggefährten, die internationale Medienlandschaft, Funktionäre und Politiker zollten Hitzlsperger Anerkennung.
"Er hat eine Tür aufgestoßen für viele andere. Auch aktive Fußballer könnten sich nun nach den vielen positiven Reaktionen leichter offen über ihre Sexualität äußern", sagte der ehemalige Nationalspieler Arne Friedrich "Zeit online". Es sei schlicht schlimm, dass so ein Thema im Fußball ein Tabu war - oder ist.
"Thomas hat jetzt eine sehr gute, wichtige, mutige Entscheidung getroffen. Ich unterstütze ihn vollkommen, habe ihm das auch schon mitgeteilt", sagte Friedrich. Gerade als Profifußballer, wenn man ohnehin unter großem Leistungsdruck steht, könne so etwas schwer sein. "Thomas ist den richtigen Schritt gegangen, auch der Zeitpunkt ist gut, kurz vor Sotschi", meinte Friedrich im Hinblick auf die Olympischen Winterspiele im Februar in Russland.
Die "New York Times" zählte seine Länderspiele, seine wichtigsten Erfolge und seine Karrierestationen auf und schrieb dann: "Die größte Neuigkeit seiner Karriere hat er vielleicht am Mittwoch mit seinem Coming-out gemacht." Der "Corriere dello Sport" aus Italien schrieb: "Thomas Hitzlsperger hat den Schmerz des Vorurteils zerschmettert."
Unterstützung erhielt er von Politikern mehrerer Parteien. "Es ist gut und ein starkes Signal, dass Thomas Hitzlsperger sich geoutet hat", sagte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig. "Das macht deutlich: Homosexualität gehört zur Normalität in Deutschland", betonte die SPD-Politikerin.
Genau dies bleibt nach Ansicht des ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger im deutschen Fußball aber "ein langwieriger Prozess". Er wünsche sich, dass Normalität irgendwann im Fußball einkehre, "dass die sexuelle Orientierung eines Spielers Privatsache ist und diese niemanden irgendetwas angeht", sagte Zwanziger in einem Interview der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".
"Seine Entscheidung, dies in dieser Form zu tun, ist ein weiterer Schritt für die Entkrampfung des Fußballs, wo solche Themen noch immer viel zu stark tabuisiert werden, wo die Stadien noch immer viel zu sehr von Homophobie geprägt sind", betonte Zwanziger.
Hitzlsperger gibt sich keinen Illusionen hin, dass sich die homophobe Einstellung einiger Profifußballer über Nacht ändern wird. Der brasilianische Verteidiger Alex von Paris St. Germain war am Tag von Hitzlspergers Coming-out mit den Worten zitiert worden: "Gott hat Adam und Eva geschaffen, nicht Adam und Yves." Hitzlsperger sagte dazu: "Man hat immer solche Typen, es ist traurig, dass sie nicht länger nachdenken, was sie sagen. Sie tun mir wirklich leid."
Der 52-malige Nationalspieler hatte sich schon zu seiner aktiven Laufbahn gegen Rassismus und Antisemitismus engagiert. Er wiederholte - wie bereits im Interview der "Zeit" - seine Kritik an homophoben Systemen. "Es ist wichtig, dass man Nationen begegnet, die Minderheiten diskriminieren." Es sei okay für ihn, dass sein Coming-out in Zusammenhang mit den Olympischen Winterspielen in einem Land gesehen werde, das wegen seiner Anti-Homosexuellen-Gesetzgebung in der Kritik steht. "Denn über die Situation in Russland muss man reden. Ich bin gespannt, was da passiert. Ich bin sicher, dass einige Athleten sich dem entgegenstellen werden." Anders als in den großen Fußball-Nationen war sein Coming-out in Russland kaum ein Thema in den Medien. Nur im Internet wurde lebhaft diskutiert, viele Reaktionen waren allerdings beleidigend.
Bayern-München-Profi Arjen Robben kann die Aufregung um Hitzlspergers Aussage nicht verstehen. "Er ist homosexuell - und?", sagte der niederländische Nationalspieler am Donnerstag bei einer Pressekonferenz im Trainingslager des FC Bayern München in Katar. "Ich finde es ganz normal und natürlich. Ich kann ja hier auch sagen, ich bin heterosexuell. Ich sehe da kein Problem." Allerdings sei "das Fußballgeschäft vielleicht etwas komisch", meinte der 29-Jährige.