Essen. Am 25. Mai spielt Bayern München im Champions-League-Finale gegen Borussia Dortmund. Der Rekordmeister kann in Wembley die nahezu perfekte Saison vergolden. Bayern kann aber auch alles verlieren - ausgerechnet gegen den Rivalen aus Dortmund. Und dann schreibt Thomas Müller wieder eine SMS. Eine Analyse.

Ende Mai vergangenen Jahres schrieb Thomas Müller eine aufmunternde SMS an seine Teamkollegen. "Kopf hoch, Jungs! Das Leben geht weiter - nächstes Jahr holen wir das Ding!" So oder so ähnlich dürfte der Tenor ausgefallen sein. "Damals waren wir in einem Loch. Deshalb habe ich die SMS an alle Spieler geschrieben, um meine Gefühle auszudrücken. Vielleicht waren auch ein paar Kraftausdrücke dabei", erklärte der Nationalspieler später im ZDF.

In einem Loch waren die Bayern nicht nur, weil sie das DFB-Pokalfinale gegen Borussia Dortmund mit 2:5 verloren hatten. In einem Loch waren die Bayern vor allem, weil sie sich eine Woche später erneut geschlagen geben mussten - ausgerechnet im langersehnten "Finale dahoam". Gegen das Defensiv-Bollwerk vom FC Chelsea. Und das war nicht die einzige Final-Pleite in der jüngsten Vereinsgeschichte. Bereits zwei Jahre zuvor hatten die Bayern im Estadio Santiago Bernabéu verloren. Seinerzeit 0:2 gegen José Mourinho und Inter Mailand.

Bayern und die verbale Streitaxt

Nun haben die Bayern am 25. Mai zum dritten Mal binnen vier Jahren die Chance, den Henkelpott zu gewinnen. Es ist auch die Chance auf Wiedergutmachung; die Chance, ein Trauma zu vermeiden. Nach der überragenden Bundesliga-Spielzeit und den in Summe mit 7:0 gewonnen Halbfinals der Champions League gegen die bis dato beste Mannschaft der Welt, den FC Barcelona, könnte der Zeitpunkt kaum besser sein. Das Selbstbewusstsein ist auf dem Zenit; "der Wille extrem groß, dieses Ding zu gewinnen" (Müller) und der Titel wieder greifbar nah.

Zumal der Gegner "nur" Borussia Dortmund heißt. Jene Mannschaft also, die sich Bayern-Präsident Uli Hoeneß bereits vor der Auslosung der Halbfinals als Sparringspartner gewünscht hatte.

Der Druck allerdings ist höher denn je. Dafür sorgen nicht zuletzt die Bayern selbst. Sie tun nämlich das, was sie immer vor großen Spielen tun. Sie greifen zur verbalen Streitaxt, geben sich selbstbewusst und siegessicher. "Mia san mia" eben.

Rummenigge: "Wir werden die Champions League gewinnen"

Bereits nach dem 1:0-Sieg im Viertelfinale des DFB-Pokals Ende Februar verkündete der zuvor sichtlich in seinem Stolz gekränkte Hoeneß: "Wir haben die Vormachtstellung im deutschen Fußball zurück, die Verhältnisse sind eindeutig geklärt."

Karl-Heinz Rummenigge setzte noch einen drauf. Der Bayern-Boss versprach am Samstag im Stadionmagazin des Rekordmeisters: "Unsere Mannschaft wird die Champions League in 14 Tagen gewinnen." Das ist mutig. Sehr mutig sogar.

So "eindeutig geklärt", wie Hoeneß es gerne hätte, sind die Verhältnisse im deutschen Fußball nämlich keineswegs. In den letzten drei Jahren haben die Bayern selten gut ausgesehen gegen den BVB. Fünf Niederlagen und zwei Unentschieden in Bundesliga und DFB-Pokal steht lediglich der diesjährige Pokalerfolg gegenüber.

Zudem zeigt die jüngste Vergangenheit, dass Worten nicht zwingend Taten folgen. Vor dem DFB-Pokalfinale 2012 wollten die Bayern allen zeigen, "was eigentlich in Deutschland los ist" (Philipp Lahm). Zum fünften Mal in Folge gegen Dortmund verlieren? "Das geht nicht" (Franck Ribéry). Und es ging eben doch.

Bayern hat mehr zu verlieren als Dortmund

Die Bayern können sich in Wembley selbst die Krone aufsetzen. Die Bayern können in Wembley aber auch alles verlieren. Sollten sie erneut im Finale der Königsklasse scheitern, würde wohl niemand mehr über die nahezu perfekte Saison sprechen.

Die Tatsache, dass kein internationales Topteam, sondern ausgerechnet der Rivale aus Dortmund dem FC Bayern den Titel streitig machen könnte, würde die Sache besonders brisant machen. Es wäre die ultimative Demütigung. Zu einem Zeitpunkt, an dem die Bayern glauben, wieder die ultimative Fußballmacht zu sein.

Wie viel Angst die Bayern tatsächlich vor dem erneuten Versagen auf der Zielgerade haben, steht in den Sternen. Ganz ausblenden können sie die verpatzen Chancen mit Sicherheit aber nicht. "Wenn man drei Mal in vier Jahren verliert, dann müsste man sich schon ernsthaft Gedanken machen, ob man dieses Silberding an der Ferse hat", sagte Müller. Genau diese Gedanken, in Kombination mit enormen - mal wieder - selbst auferlegtem Druck, könnten die Bayern am 25. Mai den Sieg kosten.

Und dann reicht eine Müller-SMS vielleicht nicht mehr aus, um die Bayern aus dem tiefen Loch zu befreien.