Berlin. Der FC Bayern München steht vor einem seiner wichtigsten Spiele. Vor dem Champions-League-Finale gegen den FC Chelsea sprach Sat.1-Kommentator Wolff-Christoph Fuss im dapd-Interview über seine persönliche Vorbereitung, die Stärken der Londoner und Bastian Schweinsteiger.
Wolff-Christoph Fuss, über das Champions-League-Endspiel am Samstag kann man wohl nicht mehr sprechen, ohne das Debakel der Bayern im DFB-Pokal-Finale mit einzubeziehen. Was macht so eine Schlappe mit einer Mannschaft?
Wolff-Christoph Fuss: Das ist ganz schwer zu sagen. Die Bayern haben es jetzt noch einmal Schwarz auf Weiss bekommen, dass sie national nur noch die Nummer zwei sind. Ich glaube allerdings, dass sie die Champions League als eigenständigen Wettbewerb sehen. Das haben sie diese Saison ganz gut hinbekommen. Und ich hoffe, dass sie das bis zum Finale so durchziehen können.
Glauben Sie, dass der Heimvorteil auch tatsächlich einer ist? Der Druck könnte dadurch ja eventuell auch zu groß werden.
Fuss: Dieses Finale hat für die Spieler eine ganz besondere Strahlkraft. Das haben auch die Höchstleistungen der Bayern-Spieler gegen Real Madrid gezeigt. Und das Besondere ist: Pokalsieger kannst du jedes Jahr werden, Champions-League-Sieger aber nicht. Und dies im Heimstadion zu erreichen, ist das Größte. Diese historische Chance wollen die Bayern ergreifen.
Denken Sie, dass die Bayern Sperren von Spielern wie Holger Badstuber oder David Alaba besser wegstecken können als Chelsea? Bei den Londonern fehlt etwa John Terry, der im Halbfinale wegen einer Tätlichkeit des Feldes verwiesen wurde.
Fuss: Das ist ein wenig Kaffeesatzleserei. In Anbetracht der Regelung herrscht da eigentlich Waffengleichheit. Terrys Tätlichkeit war wirklich eine Dummheit. Vielleicht ist es besser, dass solch ein Spieler nicht zur Verfügung steht. Nicht, dass ihm dann im Finale die Gäule durchgehen und er seiner Mannschaft dadurch vielleicht noch mehr Schaden zufügt. Aber zusammengefasst: Beide Mannschaften werden mit den Sperren zurechtkommen. Wenn ich aber höre, wer bei Chelsea noch alles verletzt ist, insbesondere in der Abwehr, dann sieht es möglicherweise bei den Bayern etwas besser aus. Aber da ist auch ein Tick Hoffnung mit dabei.
Wie schätzen Sie Chelsea generell ein? Wie einen angeschlagenen Boxer, der nur auf den sogenannten "Lucky Punch" lauert?
Fuss: Chelsea wird sich diesmal nicht ausschließlich hinten rein stellen. Sie werden allerdings auch nicht nach dem Motto 'Volle Fahrt voraus' spielen. Es ist eine kühle, abgebrühte Mannschaft, die jedoch nicht mehr dauerhaft zu absoluten Höchstleistungen fähig ist. Das hat sie in der Premier League gezeigt. Gegen die acht Top-Mannschaften in England gab es lediglich drei Siege. Das zeigt, dass diese Mannschaft im Moment auch ein Qualitätsproblem hat, möglicherweise über ihren Zenit hinaus zu sein scheint. Viele Spieler sind über 30 Jahre alt. Aber: Chelsea ist eine Mannschaft für den Moment und das macht sie extrem gefährlich.
Erinnert dies nicht an den FC Bayern aus dem Jahr 2001, als die Münchner mit älteren Spielern wie Stefan Effenberg, Bixente Lizarazu oder Paulo Sergio letztmals die Champions League gewannen?
Fuss: Die Chelsea-Spieler wissen, dass ihre Truppe nach dieser Saison auseinanderfallen wird. Spieler wie Frank Lampard werden das Endspiel als letzte Chance einer Ära begreifen, und das macht sie gefährlich. Die Chelsea-Spieler sind sehr erfahren und werden immer wieder provozieren, immer wieder mit versteckten Fouls arbeiten. Es wird viel auf das Fingerspitzengefühl des Unparteiischen ankommen. Er muss die Emotionen auf dem Spielfeld unter Kontrolle bringen.
Was sind die Schlüsselduelle?
Fuss: Jerome Boateng gegen Didier Drogba. Sollte Diego Contento tatsächlich hinten links spielen: Contento gegen Juan Mata, wenn der Spanier einmal über die Seite kommt. Vor allem freue ich mich auf die Duelle im Zentrum: Toni Kroos und Bastian Schweinsteiger auf Seiten der Bayern, Lampard und Michael Essien bei Chelsea. Die beiden Spieler aus London kommen extrem über die Physis und Schweinsteiger hat noch nicht die Form wie vor seiner Verletzung. Das wird sehr interessant.
Kann Schweinsteiger den an ihn gerichteten Erwartungen nach seiner langen Pause überhaupt gerecht werden?
Fuss: Was ich im Halbfinale in Madrid bei Schweinsteiger gesehen habe, war ein unbändiger Wille. Der wird ihm über die fünf bis zehn Prozent, die ihm noch fehlen, hinweghelfen.
Wie sieht ihre persönliche Vorbereitung aus? Wann startet die?
Fuss: Seit zwei Wochen beschäftige ich mich immer wieder mit diesem Spiel. Vor allem mit Chelsea natürlich. Die Bayern habe ich ja bereits tausendfach gesehen. Da gucke ich bei Chelsea natürlich etwas genauer hin. Die Halbfinals habe ich live gesehen und Chelsea auch mehrfach diese Saison. Zudem spreche ich mit Kollegen, die die Premier League eng begleiten, und verfolge die englische Presse noch etwas intensiver.
Wie muss man sich die Stunden vor dem Finale im Leben des Wolff-Christoph Fuss vorstellen?
Fuss: Der Tag ist extrem gepackt, weil wir mit Sat.1 ab 11.30 Uhr live auf Sendung sind, ab 12.00 Uhr das Spiel der Fußball-Legenden FC Bayern All-Stars gegen World All Stars im Olympiastadion zeigen und dabei immer wieder Schalten machen. Gegen 17.00 Uhr werde ich an der Allianz-Arena eintreffen. Um 18.30 Uhr beginnen wir dann mit der unmittelbaren Vorberichterstattung, in der ich auch das ein oder andere Mal auftauche. Im Stadion wird es dann noch ein Gespräch mit Jupp Heynckes geben. Gegen 20.00 Uhr etwa gehe ich dann auf meinen Kommentatorenplatz gehen. Anpfiff ist um 20.45 Uhr.
Bestimmt Ablenken oder nervöses Warten die Tage und die Stunden vor dem Spiel?
Fuss: Das kann man so nicht sagen. Im Moment spüre ich einfach eine große Vorfreude auf das Spiel, weil es so eines wie dieses ja nicht alle Tage gibt. Ich habe 2010 das Champions-League-Finale übertragen und damals war ich komplett ruhig. Keinerlei Aufregung, weil ich einfach mit einer positiven Vorfreude an die Sache herangegangen bin.
Spüren Sie denn gar keinen Druck, immerhin hängen Millionen Menschen an ihren Lippen?
Fuss: Wir reden über ein Fußballspiel. Das sind zweimal 45 Minuten. Vielleicht kommen noch zweimal 15 Minuten hinzu. Das Spiel schreibt die Geschichte, nicht ich. Und ganz im Ernst: Was soll das Halbfinal-Rückspiel der Bayern gegen Madrid noch toppen? Noch ein Elfmeterschießen? Noch extremer? Geht das noch? Vielleicht ist das Spiel das eigentliche Finale gewesen.
Die Frage muss sein: Was ist ihr Tipp für das "richtige" Endspiel?
Fuss: Die Bayern gewinnen 2:1. Und ich glaube, dass wir eine Verlängerung erleben. Kein Elfmeterschießen. Von daher: 2:1 nach 120 Minuten.
Kommen wir noch einmal auf das Pokal-Finale zurück. Muss einem bei der gezeigten Defensiv-Leistung der Bayern nicht Angst und Bange für die Europameisterschaft werden?
Fuss: Ich denke noch überhaupt nicht an die Europameisterschaft, ganz ehrlich. Ich glaube aber, dass die Nationalmannschaft so oder so zu den Top-Favoriten gehört.
Ihr EM-Tipp?
Fuss: Deutschland wird Europameister.