Essen. . “Jürgen Klopp kauft keine Ferraris, er baut sie sich“, titelte Zeit online vor wenigen Tagen und sprach damit das feine Händchen von Borussia Dortmunds Trainer Klopp in Bezug auf Talente an. Doch die Arbeit mit den Nachwuchsspielern beginnt schon viel früher. Alle Revierklubs sind auf der Suche nach dem neuen Mario Götze.
Sie sind auf den Fußballplätzen der Republik zu Hause. Sie wissen schon seit Jahren, dass Mario Götze, Marco Reus oder Kevin Großkreutz mit einem außergewöhnlichen Talent gesegnet sind. Kaum ein Nachwuchskick läuft ohne sie. Die Talentspäher der Profiklubs aus Dortmund, Gelsenkirchen, Bochum oder Duisburg sind beinahe jeden Tag irgendwo in NRW, ja sogar in ganz Deutschland unterwegs, um den nächsten Lukas Podolski oder Manuel Neuer zu entdecken.
War es in der Branche noch vor ein paar Jahren üblich, vor allem auf hochbegabte Südamerikaner zu setzen, sind deutsche Nachwuchskicker mittlerweile voll im Trend. Selbst die Topclubs aus München oder Bremen wollen nach Verlustgeschäften in Millionenhöhe auf diese Sichtung auf der Südhalbkugel verzichten.
Mehr Spielerberater und Scouts als Spieler
Die effektive Suche nach den Nachwuchstalenten ist ein komplexer Teil der Vereinsarbeit. So setzt der MSV Duisburg mit seinem Chefscout Dieter Mertens auf bis zu acht Beobachter, die für den Traditionsverein auf die Jagd gehen. Der Nachbar aus Bochum beschäftigt neben einem fest angestellten Scout neun weitere, die auf Honorarbasis für den VfL unterwegs sind. "Der Kreis Bochum ist der wichtigste Bereich für uns", erzählt Alexander Richter, Leiter der Nachwuchsabteilung des VfL. "Dort gucken wir sehr gezielt für jüngere Jahrgänge. Je älter der Jahrgang ist, umso größer wird der Radius."
Auch der MSV begutachtet im Lizenzbereich unzählige Spiele von der Regionalliga bis zur Bundesliga. Zieht der Deutsche Fußball-Bund seine Juniorennationalspieler von der U15 bis zur U21 zu Lehrgängen zusammen, ist Mertens immer vor Ort. Nicht selten tummeln sich die DFB-Kicker sogar in der unmittelbaren Nachbarschaft der Zebras – in der Sportschule Wedau. Als Vorteil sieht der MSV-Scout das jedoch nicht: „Finden dort DFB-Maßnahmen statt, herrschen verschärfte Bedingungen. Längst tummeln sich am Spielfeldrand mehr Spielerberater und Scouts als Spieler auf dem Platz.“
"Das Beste ist es, wenn die sich die Eltern kümmern"
Selbst der deutsche Meister Borussia Dortmund kennt und kritisiert dieses Problem. Die Berater sind heute wesentlich präsenter als früher, weiß auch BVB-Nachwuchskoordinator Lars Ricken. Junge Spieler nehmen sich häufig einen Berater, "weil es sexy ist zu sagen: 'Ich habe einen Berater.' Sowohl für Spieler, als auch für Eltern", erzählt Ricken in einem Interview mit 11Freunde.de. "Das Beste ist es, wenn die Eltern sich selber um die Karriere ihres Sohnes kümmern."
Denn auch Ricken weiß, dass die Jagd auf den Nachwuchs schon wesentlich früher beginnt. "Bei uns sitzt kein 14-Jähriger mit seinem Berater am Tisch", erklärt der Ex-Profi. Interessant sind für die Profiklubs sogar schon Zehn- bis Zwölfjährige, wenn sie beim Stützpunkttraining der Verbände erstmals unter verschärfter Beobachtung stehen. Eine Entwicklung, die für den 62-jährigen Mertens nur schwer zu akzeptieren ist: "Wenn man da nicht frühzeitig dabei ist, ist man eigentlich schon aus dem Rennen. Aber das hat ja mit Fußball nichts mehr zu tun, das ist nur noch reine Vermarktung", kritisiert auch Mertens und setzt das Alter noch mal um zwei Jahre runter: "Jeder Zehn- bis Zwölfjährige hat heute schon einen Berater. Selbst Fußballer, die nicht hochtalentiert sind."
Auch Jens Todt, Sportvorstand des VfL Bochum, sieht das Problem: "In den vergangenen Jahren hat sich Scouting enorm verändert", erklärt Todt, "weil zum einen alle Profi-Vereine mittlerweile auf junge Spieler setzen und zum anderen nahezu alle 16- und 17-Jährigen Verträge und Berater besitzen. Deshalb rücken Spieler im Alter von 13, 14 Jahren stärker in den Fokus – auch wenn die sogar auch schon teilweise mit Berater ankommen."
„Generation Götze“ auf dem Prüfstand im Revier
Es ist nicht verwunderlich, dass die „Generation Götze“ zumeist als Grundschüler schon in den Nachwuchsmannschaften der Bundesligisten gegen den Ball tritt. Nimmt die Entwicklung nicht den gewünschten Lauf, werden die Spieler kurzerhand aussortiert. Nur wenigen, wie Kevin Großkreutz, der als 14-Jähriger beim BVB zunächst durch das Raster fiel und zu Rot-Weiss Ahlen wechselte, gelingt hinterher noch der Sprung in den Profifußball. Dass manchem Jugendspieler der Wechsel vom Dorfverein zum Profiklub bereits mit finanziellem Nachdruck ans Herz gelegt wird, ist in der Szene ein offenes Geheimnis. Doch für viele Eltern ist die Aussicht auf den großen Zahltag Grund genug, ihre Kinder aus dem heimischen Umfeld zu reißen und einem Traum nachjagen zu lassen, der sich nur in den seltensten Fällen erfüllt. Dass mancher Nachwuchskicker um 7 Uhr das Haus verlässt, von seinem Verein gegen 15 Uhr direkt von der Schule zum Training abgeholt wird und häufig erst am späten Abend wieder nach Hause kommt, ist längst Realität.
"Wir haben jetzt schon täglich 16 Shuttle-Touren zu den gesamten Trainingseinheiten, die 75 bis 80 Jungs einsammeln und zurückbringen", bestätigt auch Richter. Im Schwitzkasten der Branchenriesen aus Gelsenkirchen und Dortmund müssen selbst Traditionsvereine wie der VfL Bochum oder der MSV verstärkt darauf achten, eigene Nachwuchsspieler nicht an die übermächtigen Nachbarn zu verlieren. "Mittlerweile kommen Eltern zu uns und sagen: 'Wenn unser Sohn abgeholt wird, wechseln wir zum VfL'", beschreibt Richter den Druck, der von den Eltern ausgeübt wird. Die Götzes und Podolskis des Landes sind für Zweitligisten trotzdem schon als Teenager meist außerhalb der Reichweite.
Interessant werden sie erst dann wieder, wenn die Karriere ins Stocken gerät und eine Ausleihe in die zweite Liga zur letzten Rettung wird. Nur auf diesem Wege kommen Fans von Fortuna Düsseldorf in den Genuss, Offensivwirbler Maximilian Beister (ausgeliehen vom HSV) zumindest für ein paar Spiele im Trikot ihres Vereins zu sehen. Der VfL bediente sich mit Daniel Ginczek beim deutschen Meister und lieh sich zudem Christoph Kramer von Bayer Leverkusen. Beide sollen ihre Entwicklung durch Spielpraxis beim Zweitligisten vorantreiben. Dass es dem MSV Duisburg vor zwei Jahren sogar gelang, mit Chinedu Ede, Sandro Wagner und Änis Ben-Hatira gleich drei U-21 Europameister an die Wedau zu holen, ist schon außergewöhnlich. Während Wagner und Ben-Hatira der Sprung ins Oberhaus gelungen ist, dümpelt der MSV weiterhin im Mittelfeld der zweiten Liga. Ebenso wie der VfL.