Frankfurt. Die deutsche Mannschaft schleppt trotz der Siege gegen Kanada und Nigeria ein paar Probleme durch das WM-Turnier. Eines davon heißt Birgit Prinz. Das Team und der DFB-Tross werfen sich schützend vor die Ikone.
An Tagen wie diesem will niemand im Abseits stehen. Die Weltmeisterschaft ist zu Gast im Land, und stundenweise befällt einen eine Ahnung davon, dass der Kalender Sommer verspricht. Diese Kombination verpflichtet, und so hat die Deutsche Bahn gestern freiwillig das getan, wofür sie bekannt ist: Sie hat sich verspätet. Am Mittag ließ sie ausnahmsweise einen ICE an der S-Bahn-Station des Frankfurter Stadions halten. Das dauerte etwas, denn dort stieg das 21-köpfige Frauen-Nationalteam zu.
Es ging dann schnurgrade und pfeilschnell hoch in den Westen, das Team wohnt jetzt ein paar Tage lang in Düsseldorf. Wer möchte, kann in der Fahrt ja durchaus etwas Symbolisches sehen: Der Titelverteidiger ist zum Ende der ersten WM-Woche auf der Suche nach Rasanz und Gradlinigkeit, sie sind ihm unerwartet schnell abhanden gekommen.
Vielleicht leidet diese Elf unter dem Fluch der guten Tat: Monatelang haben Fifa und DFB für diese Weltmeisterschaft getrommelt. Jetzt sind die Stadien voll und die Fernsehquoten fabelhaft – und das Team verlernt das Schweben. Es wirkt belastet und muss damit zurechtkommen, dass sich das Interesse wieder einmal auf eine Spielerin konzen-triert, die daran schwerer zu tragen hat als andere: Birgit Prinz verkörpert im Moment vieles von dem, was nicht läuft, wie es laufen soll.
Von Prinz mal einen Augenblick lang abgesehen: Es kommt da gerade eine Menge zusammen. So viel, dass die eine oder andere Spielerin nicht zu Unrecht etwas vergrätzt darauf hinweist, dass man, bitteschön, zweimal gespielt und zweimal gewonnen habe, dass man nach dem 1:0 über Nigeria im Viertelfinale stehe: „Da wollten wir hin, und das haben wir schon mal geschafft“, sagte Simone Laudehr. Ja, die Resultate stimmen.
Aber es soll ja bei dieser WM um mehr als Resultate gehen. Man will Menschen dauerhaft für diesen Sport begeistern. Was nicht gelingen kann, wenn Nigeria dem deutschen Team mit einer Knüppelei zu Leibe rückt, die die Bundestrainerin staunend zurückließ: „So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Was auch nicht gelingen kann, wenn ihre Mannschaft glanzlos 1:0 gewinnt. Schön, nicht glanzlos soll es sein, aber die Leichtigkeit, mit der Deutschland durch die Testspiele spazierte, ist verloren gegangen. Und nun wird gerätselt, warum.
120 000 Zuschauer hat das Team gegen Kanada und Nigeria in der Summe in die beiden Stadien gelockt, vor den Fernsehern saßen einmal über 14 und einmal über 16 Millionen, das sind drei Fabel-Werte für den Frauenfußball. Last statt Lust? „Nein“, winkt Mittelfeldspielerin Kim Kulig ab, das habe man ja gewollt: „Die Masse der Menschen hat mit unserem Spiel nichts zu tun.“ Die Trainerin ist da skeptischer: In Düsseldorf will Silvia Neid viele Einzelgespräche führen und ein Training anbieten, das Spaß machen soll. Was man so tut, wenn man Druck nehmen will.
Natürlich gibt es auch handfeste sportliche Gründe. Neid hat in der Offensive zwar viele Variationsmöglichkeiten, aber nach zwei Spielen hat sich niemand herausgeschält, der gesetzt sein müsste: Celia Okoyino da Mbabi nicht, Alexandra Popp und Inka Grings nicht. Und Birgit Prinz nicht.
Das Team hilft
Beim 1:0 über Nigeria gab’s ja eine Szene, auf die sich alle gestürzt haben: Birgit Prinz, die Spielführerin, die Ikone, musste kurz nach der Pause vom Platz, wie schon in Berlin. Das Team hat eine stellvertretende Spielführerin, doch die Kapitänsbinde kam bei Kerstin Garefrekes gar nicht an, weil Prinz sie achtlos auf den Boden warf. Danach ging sie zur Bank, Neid baute sich zum Handschlag auf, aber da war wenig Sportliches oder Freundschaftliches zu sehen: Prinz schlug mehr gegen die Hand als alles andere. Später musste sie regelrecht zum Reden angehalten werden. Was sie dann sagte, bedeutete im Kern: Lasst mich doch alle mal in Ruhe.
Mit Gradlinigkeit und Rasanz ist es auch in diesem Fall keine leichte Sache. Silvia Neid laviert, sie hat natürlich gesehen, dass Prinz zweimal schwach war, dass es an Tordrang und grundsätzlich an Tempo fehlt, dass die Versuche, öffnende Pässe zu spielen, selten gelingen. Dagegen steht der immer noch vorhandene Respekt vieler Gegner, wodurch Prinz noch Lücken reißt. Aber reicht das?
Die Bundestrainerin hat sich zu Turnierbeginn entschieden, auf die 33-Jährige zu setzen, nun hangeln sich beide von Spiel zu Spiel, und niemand wagt eine Prognose, ob Prinz gegen Frankreich in der Startelf stehen wird. Das Team und der DFB-Tross werfen sich schützend vor Birgit Prinz, die mit sich selbst schon hart genug ins Gericht gehe. „Wir alle helfen ihr“, sagte Simone Laudehr, „bei uns baut jeder jeden auf.“ Das hatte etwas von einem Jungen, das sich schützend vor die Mutter stellt. Üblicherweise ist es umgekehrt.