Frankfurt.

Die Zimmermädchen im Frankfurter Maritim sind wieder einmal zur Arbeit erschienen, und zwar alle. Das ist in diesen Tagen gar nicht so selbstverständlich, wie es klingt. Die Frauen-Nationalteams aus Deutschland und Nigeria, die am Donnerstag gegeneinander spielen werden, wohnen Stockwerk an Stockwerk, deshalb ist eine Menge los im Hotel. Und wenn man Torhüterin Nadine Angerer glaubt, könnte der Raum, den sie sich mit Verteidigerin Linda Bresonik teilt, das Personal leicht in den Wahnsinn treiben: Chaos-Zimmer hat Angerer diese Kombination einmal genannt.

Ein bisschen Unordnung passt zur deutschen Torhüterin, die im Team als die große Individualistin gilt. Ohne ihre Freiräume und Fluchten, ohne ein bisschen Unordnung im Kleinen hätte Angerer vielleicht ihre große Strecke beim ordnungsliebenden DFB gar nicht durchgehalten: Immerhin bestreitet sie gegen Nigeria ihr 100. Länderspiel. In Frankfurt, der Stadt, in der sie Fußball spielt für den FFC, in der sie lebt. Neuerdings mittendrin statt wie früher draußen im Taunus.

An dieser Stelle kommt dann gerne der alte VW-Bus ins Spiel, mit dem Nadine Angerer im Laufe ihres Fußballerlebens zwei Umzüge von Berlin nach Stockholm und von dort nach Frankfurt gestemmt hat. Inzwischen hat sie den Bully verkauft, weil er zuletzt nur noch herumstand. Das hat ihr in der Seele weh getan, aber sie ist dazu angehalten, das Auto eines Sponsors zu benutzen. Irgendwann will sich Angerer wieder einen kleinen Bus kaufen, schon weil sie ihren Traum nicht aufgeben möchte, mit dem Ding durch Afrika zu kutschieren. Es wäre dann der dritte, weil sie sich vor Jahren schon den Spaß geleistet hat, mit einem riesigen ausrangierten Feuerwehrbus durch Berlin zu fahren, zumindest dort, wo die Unterführungen hoch genug waren.

Der Zu-Null-Rekord

Man merkt: Die 32-Jährige, die jeder Natze nennt, ist ein Mensch, der aus dem Rahmen fällt, in dem sich die meisten Fußballerinnen und Fußballer bewegen. Dass sie eine außergewöhnliche Torhüterin ist, könnte man darüber glatt vergessen, wären da nicht die WM 2007 in China und das Eröffnungsspiel dieser Weltmeisterschaft gegen Kanada gewesen. Vor vier Jahren schaffte Angerer beim deutschen WM-Triumph ein Kunststück, das wohl einmalig bleiben dürfte: Sie beendete das Turnier ohne Gegentor.

Seit sie am Sonntag gegen Kanada einen erstklassig geschossenen Freistoß von Christine Sinclair passieren lassen musste, ist zumindest geklärt, dass sie ihr Bravourstück nicht wiederholen wird. Das Gegentor stinkt ihr, auch nach Tagen noch. Nadine Angerer hat durchaus Sinn für Ironie, sie gehört zu den Menschen mit der angenehmen Eigenart, über sich selbst lachen zu können. Aber als sie jemand fragt, ob ihr Sinclair mit dem Gegentor beim 2:1-Sieg einen Gefallen getan habe, ist sie baff. „Hä?“, sagt Angerer schließlich, und mehr muss man nicht hören, um zu ahnen, wie viel Ehrgeiz hinter ihrer Jovialität steckt.

Hotel-für Rucksack-Touristen in Afrika

Immerhin: Die Geschichte mit dem Zu-Null-Rekord ist damit auserzählt. Auch nicht schlecht. „Mir war schon klar, dass so was nicht zu wiederholen ist“, sagt Angerer. Es gibt da noch andere Themen, über die sie auch nicht ständig reden möchte. Afrika, das ist etwas anderes, das geht bei ihr immer. Der Kontinent hat es ihr angetan, und die Idee, dort nach der Karriere ein Hotel für Rucksack-Touristen zu eröffnen, ist nicht vom Tisch. Aber festlegen möchte sich Nadine Angerer nicht, weil sie Festlegungen grundsätzlich blöde findet. Das hat sie, und das ist dann so ein Thema, das sie nicht endlos wiederholen will, auch mal über Männer und Frauen gesagt. Es wurde aufgefasst als das Outing ihrer Bisexualität, so war es wohl auch gemeint. Aber es einmal gesagt zu haben, reicht ihr.

So könnte das noch lange weitergehen mit Nadine Angerer, die überragend halten kann und so viel Wert darauf legt, sich ausleben zu können. „Mit mir will nicht jede auf ein Zimmer“, hat sie mal erzählt. Linda Bresonik hat es gewagt, und beide fahren gut damit. „Ich bin ja ein Nachtmensch“, sagt Angerer, Fernseher und Licht bleiben häufig lange an: „Zum Glück kann Linda dabei prima schlafen.“ Das ist es ja, was ihr wichtig ist im Leben: eine jede, wie sie mag.