Frankfurt/Main..
Der rasante Abstieg des Michael Ballack vollzog sich in gerade mal sieben Wochen, in 50 Tagen katapultierte es den heute 34-Jährigen vom Fixstern des deutschen Fußballs zum Fremdkörper. Es war der 16. Mai 2010, als die ARD ihre Primetime frei räumte, um einen „Brennpunkt“ zum WM-Aus des deutschen Nationalelf-Kapitäns zu senden, das die Fangemeinde in Panik zu versetzen schien. Die Nation lernte alle medizinische Details über den „Riss des Innenbandes und Teilriss des vorderen Syndesmosebandes im rechten oberen Sprunggelenk“, jene Verletzung, die vermeintlich sämtliche WM-Blütenträume zerstoben ließ.
Und dann, eben jene 50 Tage später, am 5. Juli 2010, verabschiedete sich der Capitano aus dem deutschen WM-Quartier im südafrikanischen Centurion. Die DFB-Elf feierte ihren Viertelfinal-Triumph gegen Argentinien, doch Ballack gehörte nicht mehr dazu. Es war eine Flucht. In jenem Moment war die DFB-Karriere des 98-maligen Nationalspielers de facto vorbei.
Was folgte, war ein fast einjähriges, mühsames, in Teilen unwürdiges Gezerre um Formelkompromisse – bis Bundestrainer Joachim Löw am Donnerstag auf der offiziellen DFB-Homepage verkünden ließ, was ohnehin jeder ahnte, wenn nicht wusste: „Michael Ballack wird künftig nicht mehr dem Kader der deutschen Nationalmannschaft angehören“, lautete der erste Satz der Pressemitteilung 60/2011, die um 10.55 Uhr das Ende der DFB-Karriere des Mittelfeldspielers bedeutete. Es ist die fristlose Kündigung eines lange führenden Angestellten. Es folgten die branchenüblichen Danksagungen in Richtung Ballacks, der laut Löw „ein Jahrzehnt ein sehr wichtiger Führungsspieler der Nationalmannschaft“ war und entsprechend „enormen Anteil an den großen Erfolgen des Teams seit der WM 2002 hat. Er hat eine Ära geprägt.“
Dem ist nicht zu widersprechen. Ballack entschied die WM-Relegation 2001 mit drei Treffern gegen die Ukraine, bei der folgenden WM schoss er die DFB-Elf mit seinen entscheidenden Treffern ins Finale, in dem er dann wegen Gelbsperre fehlte. 2006 war er der Kopf, der Capitano der DFB-Elf – und noch bei der EM 2008 war sein Tor gegen Österreich das Bekenntnis des Führungsspielers, der im Zweifel auf dem Platz einen rauen Umganston pflegte. Doch die Zeit des einsamen Herrschers auf dem Spielfeld war abgelaufen.
Das Team hat sich nach und nach abgenabelt vom einst als „unverzichtbar“ geadelten Ballack, sich emanzipiert und die WM in Südafrika hat das Modell der flachen Hierarchie zur Blüte geführt. Es sei, teilte Löw mit, „im Interesse aller eine ehrliche und klare Entscheidung angebracht“ gewesen. Und er habe, so der Bundestrainer, nach den Gesprächen mit Ballack, die zuvorderst Telefonate waren, „den Eindruck, dass Michael durchaus Verständnis für unsere Sichtweise hat.“ Ballack verzichtete zunächst auf eine Replik. Doch es ist alles andere als ein Geheimnis, dass das Verhältnis der beiden Protagonisten als gestört gelten darf.
Entsprechend stößt auch das vermeintlich honorige Angebot des DFB, Michael Ballack beim Freundschaftsspiel am 10. August gegen Brasilien „einen würdigen Abschied“ zu bereiten und ihn die Nationalelf aufs Spielfeld führen zu lassen, offenbar auf wenig Gegenliebe. Statt dessen dürfte sich beim DFB mancher fragen, ob Michael Ballack sein Schweigen des Belämmerten noch bricht und zum verbalen Gegenschlag ausholt – und vor allem: wann und wo?
Die Zeit im DFB-Trikot aber ist vorbei. Und Michael Ballack, im Umgang stets freundlich, aber distanziert, im Zweifel immer etwas chemisch rein, dieser etwas andere Star, dem zum Mythos wohl die Ecken und Kanten fehlten, bleibt ein Unvollendeter.
Wohl selten ist eine Karriere so mustergültig geplant worden wie die des Jungen aus der Salvador-Allende-Straße in Karl-Marx-Stadt. Ein Mann ohne Brüche, der behutsam Schritt für Schritt machte. Kaiserslautern, Leverkusen, Bayern, erst dann Chelsea. Ein überragender Mittelfeldspieler, und auf der anderen Seite doch eine tragische Figur, die so oft Zweiter war. Mit Leverkusen, mit Chelsea. Mit der Nationalelf. Er hat so oft das letzte Spiel verloren, dass man seine ganzen Titel schnell vergisst.
Und dieses letzte Spiel. Es war nicht zu gewinnen.