Baku. .
Aserbaidschans Trainer Berti Vogts will nach einem vermeintlichen Angriff Anzeige erstatten. Journalisten konnten bei Pressekonferenz allerdings keine Attacke gegen den früheren Bundestrainer ausmachen.
Ein gewisses Unbehagen war Berti Vogts bereits anzusehen, als er am Sonntagmorgen hinter einem schmalen Tisch im Tofiq-Bahramov-Stadion in Baku Platz nahm, aber das ist ja nichts Ungewöhnliches. Der deutsche Trainer der Nationalmannschaft von Aserbaidschan war noch nie jemand, dem das Spiel mit den Journalisten Freude bereitete. Nun drängelten sich rund 20 Berichterstatter in dem engen Raum, und einige der Herren waren mächtig verärgert. Denn Aserbaidschan hatte am Freitagabend mit 1:2 in Kasachstan verloren, gegen ein Team, das bis zu diesem Moment ohne Punkte und ohne Tore auf dem letzten Platz der EM-Qualifikationsgruppe A stand. Dieses Erlebnis hatten die Aserbaidschaner offenbar als Demütigung empfunden.
Er sei ja auch „enttäuscht über die Einstellung seiner Spieler, die nicht alles gegeben haben“, versuchte Vogts mit all seinem Talent zur nüchternen Betrachtung zu beschwichtigen. Aber es dauere eben noch „fünf, sechs Jahre“, bis Aserbaidschan zumindest „europäisches Mittelmaß“ erreichen könne. Für derlei Ausführungen hatten die Anwesenden kein offenes Ohr, das wurde schnell klar. Eigentlich wollten sie nur eines hören: „Ich trete zurück“.
Diesen Satz sagte Vogts natürlich nicht vor dem Spiel gegen Deutschland am Dienstag, also versuchten sie es auf dem direkten Weg: „Wie lange wollen Sie noch Trainer in Aserbaidschan bleiben?“, fragte jemand. „Um vier Uhr geht eine Maschine über Istanbul nach Deutschland, wenn der Verbandspräsident das möchte, dann werde ich die nehmen“, erwiderte Vogts. Als dieser Satz vollständig übersetzt war, applaudierte etwa die Hälfte der Anwesenden.
Als die Pressekonferenz dann zu Ende war, hatten sich sechs, sieben Berichterstatter in dem Gang vor dem Konferenzraum positioniert. Sie wedelten mit Klopapierrollen, die sich mehr und mehr abwickelten. Auch eine rote Gießkanne wurde geschwenkt, offenbar mangels anderer Gegenstände. Wahrscheinlich wurde Vogts von Klopapier berührt, und daraus muss wohl die Geschichte über einen tätlichen Angriff entstanden sein, die der Sport-Informations-Dienst nach einem Telefonat mit Vogts verbreitete. „Ich habe Anzeige erstattet und werde mich mit meinem Anwalt über die nächsten Schritte beraten“, sagte Vogts der Agentur. Vielleicht hat er den bizarren Protest tatsächlich als bedrohlich empfunden. Aber Sicherheitskräfte schienen zu keinem Zeitpunkt nötig.
Später, als die Krawallmacher Zigaretten rauchend davon stapften, lächelte der einstige Bundestrainer jedenfalls schon wieder und versuchte die beiden einzigen anwesenden deutschen Journalisten über die Hintergründe dieser heftigen Abneigung aufzuklären. Einige Klubtrainer in der nationalen Liga seien verärgert über seine Forderung, härter und professioneller zu trainieren, erläuterte Vogts, diese Fußball-Lehrer hetzten gegen ihn und kollaborierten mit den Protestlern.
Allerdings hatte der 64-Jährige nie das Talent, Journalisten für sich zu gewinnen, und was er kann, das wird nur am Rande wahrgenommen. Oder es interessiert kaum jemanden. Bevor die Situation eskalierte, hatte Vogts noch einmal erläutert, dass auf sein Betreiben hin „Fußballakademien in Aserbaidschan gegründet worden sind, dass Fußballplätze gebaut werden“, und nicht zuletzt hat das Nationalteam mit dem erstaunlichen 1:0-Sieg gegen die Türkei in der EM-Qualifikation einen kleinen sportlichen Erfolg hinbekommen. Im Nachhinein sei das eher schädlich gewesen, meinte Vogts. Seither seien Erwartungen nicht beherrschbar.
Aber immerhin öffnet ihm dieser überraschende Sieg aus dem letzten Herbst vielleicht eine neue Tür. Denn nach dem 1:1 der Türken in Belgien spekulieren verschiedene Medien darüber, dass Vogts Guss Hiddink als Trainer ablösen könnte. „Dazu möchte ich jetzt lieber nichts sagen“, meinte der Europameister von 1996 am Ende des bizarren Vormittags von Baku. Das Traineramt bei den Türken wäre ein Aufstieg, mit diesem Team könnte er sich vielleicht tatsächlich noch einmal für ein großes Turnier qualifizieren. Allerdings haben nicht nur die türkischen Spieler ein anderes Kaliber, in Istanbul fliegen auch andere Dinge als Klopapier.