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Der Bochumer Sport-Psychologe Thomas Graw sieht ein Jahr nach dem Tod von Nationaltorwart Robert Enke „kleine Schritte“ zur Enttabuisierung des Themas Depression.

Der Freitod von Robert Enke hat das Tabuthema Depression verstärkt in die Öffentlichkeit gebracht. Es wurde Besserung gelobt, der Fußball wollte sich der Problematik nähern, DFB wie Deutsche Fußball Liga beschworen einen offeneren Umgang. Was ist davon geblieben, ein Jahr nach dem Tod des Torwarts? „Die Betroffenheit und Anteilnahme war nach Enkes Tod zwar unglaublich groß, aber ich habe keine spiegelbildlichen Reaktionen erwartet“, sagte der Bochumer Sportpsychologe Thomas Graw unserer Zeitung: „Die Reaktionen waren eher moderat und kaum merklich. An das Thema Depression im Sport musste man sich erst herantasten.“

Immerhin, sagt der Experte Graw, „werden die Themen Belastung, psychische Erkrankungen und Burnout nicht weiter weggeschlossen. Aber es sind kleine Schritte.“ Wohl auch, weil der Profi-Fußball weiter eine Welt ist, in der es keine vermeintlichen Weichlinge geben darf. „Deswegen ist es so schwer, sich dem Thema zu nähern“, sagt Graw. „Wir wollen lieber eine Welt mit lauter harten Kerlen, starken Typen und Gladiatoren. Die Wahrheit sieht anders aus. Wir müssen langsam den Blick darauf werfen und wir tun es auch.“ Dennoch ist der Weg an die Öffentlichkeit schwer.

Biermann wagte mutigen Schritt

Andreas Biermann, früherer Profi des FC St. Pauli, hat seine Depressionen nach dem Tod von Robert Enke öffentlich gemacht. Ein mutiger Schritt, den aber selbst Biermann niemandem empfiehlt, der noch weiter im Profi-Fußball spielen will. Dies sieht Graw ähnlich. Ein derartiges Outing würde er „aber auch niemandem raten, der eine Führungsposition in einem Betrieb hat. Oder einer Krankenschwester, die einen neuen Job sucht. Wer schon ein-, zweimal in eine Episode der Depression gerutscht ist, hat schlechtere Chancen. Im Fußball wird das noch verstärkt. Da heißt es schnell: ‘Oh, nein, damit handeln wir uns nur ein Problem ein.’“

Graw wünscht sich vielmehr eine „allgemein gesellschaftliche Erörterung des Themas“. Und der Sport könne dabei „durch seine mediale Präsenz eine Eisbrecher-Funktion ausüben.“