Essen/Berlin. .

Steht die traditionelle Fan-Kultur vor dem Aus? Bald könne sich die Arbeiterschicht den Stadionbesuch nicht mehr leisten, beschwert sich ProFans-Sprecher Philipp Markhardt. Mit einer Demo in Berlin wollen die Fans ihrem Frust Luft verschaffen.

Teure Eintrittspreise, für Zuschauer unfreundliche Anstoßzeiten, restriktive Einlasskontrollen und der Verlust der Identität von Traditions-Clubs – das wollen viele Fußball-Fans nicht mehr hinnehmen. Für den Samstag, 9. Oktober, rufen die drei Organisationen Unsere Kurve, BAFF und Pro Fans gemeinsam mit weiteren 38 Fan- und Ultragruppen aus Deutschland zu einer Demonstration „Zum Erhalt der Fan-Kultur“ in Berlin auf. Rund 2000 Teilnehmer erwarten die Organisatoren.

„Die Fans sind die Seele des Fußballs. Wenn es so weiter geht, können sie sich den Stadionbesuch wegen der steigenden Preise bald nicht mehr erlauben“, erläutert ProFans-Sprecher Philipp Markhardt einen der Gründe für die Protest-Aktion. In England gebe es bereits einen Zuschauerrückgang. „Dort kann sich nur noch die Mittelschicht die Tickets für den ursprünglichen Arbeitersport leisten.“

„Kein Zwanni für nen Steher“

Die Kampagne „Kein Zwanni für nen Steher“ der BVB-Fans wegen der im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent erhöhten Ticketpreise liegt erst wenige Wochen zurück. Auch einige Bremer Fangruppen boykottieren geschlossen die Werder-Heimspiele in der Champions-League, da auch dort die Kartenpreise die Grenze der Zumutbarkeit überschritten hätten. „Wir wollen natürlich, dass unsere Vereine genug Geld haben, um erfolgreich Fußball zu spielen und international mitzuhalten - aber nicht um jeden Preis“, sagt Markhardt.

Die Profitmaximierung der Vereine ohne Rücksicht auf die Fans hat Wunden hinterlassen: Einige Anhänger kritisieren, dass traditionsreiche Stadionnamen wie das Westfalenstadion Dortmund oder das Waldstadion in Frankfurt an Unternehmen verkauft werden. Noch schlimmer sei es, wenn Vereinsfarben aufgrund von Marketingstrategien beliebig variiert werden. Ein Beispiel: Austria Salzburg wurde in Red Bull Salzburg unbenannt und die Vereinsfarben von lila-weiß in rot-blau geändert, um einen optimalen Markenauftritt für das Unternehmen sicherzustellen. „Wir, die Fans der Vereine, verlieren dadurch wichtige Identifikationsmerkmale“, heißt es auf der Internetseite von „Pro Fans“.

„Man sollte nicht alles auf die Karte Pay-TV setzen“

Ein Dorn im Auge sind den Fans seit langem die aufgefächerten Anstoßzeiten. Darüber wurde in der „AG Fan Dialog“ mit dem DFB und der DFL diskutiert. „Doch feste Zusagen wie die Teilnahme zur Spieltagsterminierung wurden nicht eingehalten“, beschwert sich Markhardt. Auch die späte Festlegung der Spielansetzungen und frühe Anstoßzeiten sorgen für Probleme. „Man sollte nicht alles auf die Karte Pay-TV setzen – vor allem bei einem Sender wie Sky, der nur rote Zahlen schreibt“, warnt Markhardt. Auf Wünsche, Bedenken oder Argumente der Fans sei keine Rücksicht genommen worden. Deshalb drohen die Fan-Gruppierungen nach fast drei Jahren mit dem Ausstieg aus der „AG Fan Dialog“. „Die Veranstaltung diente anscheinend dazu, dass sich DFB und DFL als gesprächsbereit und fan-nah hinstellen konnten.“

Hier zünden Rostocker „Fans“  bengalische Feuer beim Spiel in St. Pauli.
Hier zünden Rostocker „Fans“ bengalische Feuer beim Spiel in St. Pauli. © imago sportfotodienst

Seit Monaten ein heißes Thema sind die Sicherheitsbedingungen in den Stadien. Nach den gefährlichen Vorfällen in Bochum (Verletzte durch Pyrotechnik) und dem Sturm des Spielfeldes in Berlin haben Vereine und DFB hart durchgegriffen: Es gab Stadionverbotswellen, Verbote von Auswärtsfahrten und Schließungen ganzer Heimkurven. „Für das Vergehen weniger wurden ganze Fan-Szenen bestraft“, beschwert sich die Vereinigung ProFans.

Verbote seien kontraproduktiv

Der Sicherheitswahn könne nach Ansicht von Markhardt auch nach hinten losgehen: „Fankurven lassen sich nicht von oben reglementieren. Wenn den Zuschauern alles verboten wird, werden sie sich erst recht nicht an die Vorschriften halten.“ Stattdessen sollen die Verantwortlichen auf einen Selbstreinigungsprozess in der Kurve setzen. „Das Zünden von Feuerwerkskörpern wird von den Fans nicht toleriert“, versichert der ProFans-Sprecher. Gerade erst sei beim Spiel Bremen gegen Hamburg ein Anhänger deswegen von anderen Fans „freundlich“ aus dem Block eskortiert worden.

Mehrere Verletzte gab es, nachdem Nürnberger Fans Feuerwerkskörper beim Bundesligaspiel in Bochum eingesetzt hatten.
Mehrere Verletzte gab es, nachdem Nürnberger Fans Feuerwerkskörper beim Bundesligaspiel in Bochum eingesetzt hatten. © imago sportfotodienst

Als positives Modell-Beispiel hebt Markhardt den BVB hervor. Hier sei vieles erlaubt, so lange es nur im Vorfeld angemeldet wird. „Das Konzept funktioniert hervorragend. Wenn sich die Leute entfalten können, verzichten sie auch freiwillig auf Pyrotechnik.“ Sonderbar und verwirrend seien indes die Vorschriften in Bezug auf Fahnen in den Gästeblöcken. „In jedem Stadion ist eine andere Stab-Länge erlaubt.“ Zudem würden viele Fans pauschal kriminalisiert. „Es werden örtliche und bundesweite Stadionverbote ausgesprochen, obwohl die Schuld noch gar nicht bewiesen ist.“ Und wenn das Verfahren wegen Geringfügigkeit eingestellt werde, dann könne ein Fan nicht einmal mehr seine Unschuld beweisen. „Der DFB hält das Stadionverbot dann trotzdem aufrecht.“

Am Samstag wollen sich die Teilnehmer der Demonstration von ihrer besten Seite zeigen und ihre Fan-Kultur positiv darstellen. „In der Öffentlichkeit werden meist nur die negativen Aspekte aufgegriffen – das stinkt uns gewaltig“, so Markhardt. Der Protest in Berlin sei nur der Anfang einer längerfristig angelegten Kampagne. „Falls sich an der Situation für die Fans nichts ändert, sind in der Zukunft auch stadionübergreifende Boykott-Aktionen möglich.“