Paris. .
Frankreich arbeitet die Schande von Südafrika auf. Nicolas Anelka wurde für 18 Spiele gesperrt, Franck Ribéry von Bayern Münchenmuss dreimal aussetzen.
Der 20. Juni 2010 wird als schwärzester Tag in die Geschichte des französischen Fußballs eingehen: als Tag der nationalen Schande. Zwei Monate nach dem spektakulären Trainingsboykott der „Equipe Tricolore“ und ihrem blamablen Vorrunden-Aus bei der WM in Südafrika ist am Dienstag in Paris die Stunde der Abrechnung gekommen.
Streiks sind in Frankreich an sich überhaupt nichts Ungewöhnliches, sie passieren mitunter täglich. Aber die kollektive Arbeitsniederlegung von 23 Nationalspielern, zumal bei einer Weltmeisterschaft, hat diese stolze Nation schockiert und nachhaltig traumatisiert. Selbst Präsident Sarkozy erklärte den Skandal zur Staatsaffäre. Es waren unfassbare Bilder, die vom WM-Quartier in Knysna um die Welt gingen: Die „Bleus“ verweigern das Training und verbarrikadieren sich wie ungezogene Jungs im Mannschaftsbus. Kein Wunder, dass das Wort Streik für Millionen bitter enttäuschter Fans nur die milde Umschreibung eines Skandals ist, den sie lieber als Meuterei apostrophieren.
23 „Rebellen von Knysna“ stehen am Pranger
Moralisch stehen fortan zwar alle 23 „Rebellen von Knysna“ am Pranger, aber an diesem Dienstag sind nur fünf angeklagt: Nicolas Anelka (Chelsea), Ex-Kapitän Patrice Evra (Manchester United), Vize-Kapitän Franck Ribéry (Bayern München), Eric Abidal (Barcelona) und Jérémy Toulalan (Olympique Lyon). Um 10 Uhr müssen sie am Sitz des Französischen Fußballbundes vor der Disziplinarkommission aussagen, aber zwei fehlen: Franck Ribéry bleibt der demütigende Auftritt erspart, weil er für seinen Verein angeblich unabkömmlich ist. Der Bayern-Star lässt sich durch seine Anwälte vertreten. Und auch Nicolas Anelka, eigentlich die Schlüsselfigur des Skandals, glänzt durch Abwesenheit. Er war es, der Trainer Raymond Domenech in der Halbzeit des Mexiko-Spiels auf das Übelste beleidigte („dreckiger Hurensohn“), aus dem Team flog und seine Mitspieler angeblich zum Boykott anstachelte.
Der erste, der gegen halb zehn die Pariser FFF-Zentrale betritt, ist der umstrittene Ex-Trainer. Auch Jean-Pierre Escalette, der zurückgetretene Verbandspräsident, sowie Jean-Louis Valentin, der stellvertretende Delegationsleiter, werden vernommen: als Zeugen. Letzterer schlägt nach der Vernehmung der Fünf sehr versöhnliche Töne an. Er will einsichtige Spieler erlebt haben, gibt er später zu Protokoll und spricht sich dafür aus, „dass jeder eine zweite Chance bekommen sollte.“
Die Frage, welche Strafe für die WM-Sünder angemessen ist, entzweit die Nation. Der Weltmeister von 1998 und FFF-Vorstand Lilian Thuram fordert eine Verbannung von Patrice Evra aus der Nationalelf. Auch ein Mitglied der Disziplinarkommission zeigt sich unbarmherzig. „Sie haben den Fußball und Frankreich beschmutzt“, zitiert ihn die Zeitung „Le Parisien“. Ein anderer dringt auf rückhaltlose Aufklärung. Vorstandskollege Gervais Martel möchte hingegen einen Schlussstrich ziehen: „Sollen wir denn alle an die Wand stellen und ihnen mit einem Baseballschläger die Beine zertrümmern?“.
Am Nachmittag schließlich hat Frankreichs höchstes Fußballgericht die Urteile gefällt. Hart trifft es lediglich Nicolas Anelka (31 Jahre, 69 Länderspiele), der für 18 Spiele gesperrt wird und damit praktisch aus der Nationalelf fliegt. Die anderen kommen glimpflich davon. Patrice Evra wird für fünf Spiele gesperrt, Franck Ribéry muss dreimal aussetzen, Jérémy Toulalan nur einmal, Eric Abidal erhielt sogar einen „Freispruch“.