Kapstadt.

Mit andächtigem Blick steht Sibile Koite vor dem Stadion. Ruhig ist es hier geworden nach dem großen WM-Finale, die Stahlgitter, die während des Turniers rund um das Gelände für Sicherheit sorgen sollten: Sie sind abgebaut.

Jetzt kann wieder jeder einfach kommen und schauen, auch die ohne gültiges Ticket, auch ohne Leibesvisitation und Gesichtskontrolle, auch Sibile Koite, die gegenüber in einem Restaurant sauber macht, die den Großteil der Spiele nach ihrer Schicht mit ihrer sechsköpfigen Familie in ihrer Baracke im Township vor der Stadt verfolgt hat.

Auch wenn sich Medien auf der ganzen Welt mit Lobeshymnen für die Professionalität und Herzlichkeit der Gastgeber dieser ersten Fußball-WM auf dem afrikanischen Kontinent nahezu überschlagen: Nach dem Spiel bleibt die Schere - die tiefe Kluft zwischen dem kleinen Teil der wohlhabenden vorwiegend weißen Einwohner und den verarmten schwarzen Massen, die in extrem unterentwickelten Vororten der Metropolen immer noch auf die vermeintlichen Wunder der Nach-Apartheids-Aera warten.

Schichtenübergreifend

Die WM hat nicht nur Menschen rund um den Erdball mitgerissen – auch im Lande hat sich in diesen vier Wochen ein Bevölkerungsgruppen übergreifender Optimismus entwickelt, an den vorher selbst die größten Befürworter des Ereignisses nicht geglaubt hätten. Weiße Rugbyfans trafen auf farbige Fußballfetischisten, Mittelschichtler wagten sich aus ihren Security-Villages (durch Zäune abgeschottete Siedlungen), mischten sich mit Stadtbewohnern, Touristen, Kneipengängern und feierten das Erlebnis WM. Das ,,Wir schaffen das!”-Bewusstsein war wiedergeboren.

Südafrikanische Realität: Toiletten in einem Township. Foto: Ina Fassbender
Südafrikanische Realität: Toiletten in einem Township. Foto: Ina Fassbender © REUTERS

Doch Südafrika wäre nicht Südafrika, wenn nicht nach den höchsten Höhen ein tiefer Fall befürchtet werden müsste. Hiesige Analysten mahnen bereits vor einer Wiederholung des 1994-Phänomens. In den rosigsten Farben zeichneten die Gründungsväter des ,,Neuen Südafrika” nach der endgültigen Absage an das inhumane Apartheidssystem damals die Zukunft der Regenbogennation. Nelson Mandela, erster Präsident der jungen Demokratie, skizzierte eine Gesellschaft, in der ,,die unterschiedlichen Ethnien nicht nur frei und friedlich, sondern auch in Wohlstand zusammenleben” werden. Und noch im Jahr 2004, gleich nach der Vergabe der WM an Südafrika, nahm sein Nachfolger im Amt Thabo Mbeki diesen Sprachgebrauch auf: ,,Bei dieser ersten afrikanischen WM werden wir der Welt ein Land zeigen, in dem alle Rassen die gleichen Chancen haben”. Die Folge war in beiden Fällen herbe Enttäuschung. Korruptionsskandale überschatteten schon in den ersten Jahren sinnvolle Entscheidungen der ANC-Regierung, innerparteiliche Intrigen prägten die Politik des African National Congress (ANC) und ließen Debatten über wichtige Sachfragen wie etwa die Armutsbekämpfung und den Aufbau eines stabilen Schul- und Gesundheitssystems in den Hintergrund treten.

Gewalttätige Übergriffe

Auch heute sind diese Probleme alles andere als gelöst, wie Thabo Mbeki, inzwischen Ex-Präsident, jüngst in einem Interview mit einem hiesigen Nachrichtensender einräumen musste. ,,50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit unter der immer noch in prekären Verhältnissen lebenden schwarzen Bevölkerung dürfen wir in einem Land mit unserer Geschichte nicht hinnehmen. Hier haben wir in der Vergangenheit die falschen Prioritäten gesetzt.” Die sozialen Spannungen in den Townships leisteten zudem gerade in den letzten zwei Jahren fremdenfeindlichen Tendenzen Vorschub: Gewalttätige Übergriffe gegen Einwanderer aus Nachbarländern dominierten auch in den letzten Tagen der WM wieder die Schlagzeilen.

Kinder spielen in einem der Townships Fußball. Foto: AP/Eugene Hoshiko
Kinder spielen in einem der Townships Fußball. Foto: AP/Eugene Hoshiko © AP

Dennoch gibt es ernst zunehmende Anzeichen, dass mit der WM auch eine Wende bei der Bewältigung dieses schwierigen Erbes eingetreten ist: Rund vier Milliarden Euro an Steuergeldern hat die Regierung unter Jacob Zuma im Vorfeld des Ereignisses in die öffentliche Infrastruktur investiert. In Johannesburg und Kapstadt wurden mit dem Gautrain und dem Bus-Rapid-Transport-System die Grundlagen für einen hochmodernen regionalen Nahverehr gelegt. Millionen von Euro sind in Projekte zur Kriminalitätsbekämpfung und –vorbeugung geflossen. Öffentliche Räume wurden neu definiert: Marktplätze, Spazierwege und Parks für die Allgemeinheit geschaffen, wo vorher nur unbegehbare Baugruben das Straßenbild prägten und zu Angsträumen verkamen. Und auch wenn man seine Zweifel haben darf, ob die Finanzierung von Stadienbauten und Fifa-Sicherheits-Eskorten durch die Allgemeinheit in jedem Falle gerechtfertigt war: Die Tatsache, dass konsequent Geld in die Hand genommen wurde für Projekte, die einem Großteil der südafrikanischen Bevölkerung auch in Zukunft zugute kommen werden, ist ein Schritt in die richtige Richtung. Dass eine jahrzehntelang zu Ungleichheit erzogene Gesellschaft aus ihrer Mitte den Boden für sozialen Ausgleich bereiten muss, indem es die Lasten der Benachteiligten auf allen Schultern verteilt: Nicht zuletzt der Teamspiel-betonte Fußball dieses Turniers hat diese Erkenntnis am Kap verfestigt.

Jetzt wird es darauf ankommen, nicht in die alten schlechten Gewohnheiten zurückzufallen. Präsident Jacob Zuma hatte bereits in seiner Regierungserklärung im Januar einen Bonus für alle Unternehmen angekündigt, die ungelernte junge Arbeitskräfte einstellen. Experten in Regierungskreisen basteln an einer Gesundheitsreform nach amerikanischem Vorbild, und auch das Schulsystem soll nach Zumas Worten ,,strengen Qualitätskontrollen unterzogen werden. Die WM hat uns gezeigt, dass wir als Nation auch die größten Hürden überwinden können”, betonte Zuma jetzt nochmal in einer Bilanz in einer hiesigen Tageszeitung. ,,Ich bin überzeigt, dass wir diese positive Energie für die Zukunft nutzbar machen können.” Neben diesem Interview enthüllte das Medium den jüngsten Bestechungsskandal eines Regierungsmitglieds. Nach dem Spiel bleibt noch viel zutun.