Pretoria. .

An Argentiniens Trainer Diego Maradona scheiden sich immer noch die Geister. Bislang hat er bei dieser Fußball-Weltmeisterschaft die Ergebnisse auf seiner Seite.

Nein, Weicheier hat Diego Maradona da nicht ins Tor gestellt, nur Verlierer. Bum, bum, bum ballert es vom 16-Meter-Raum auf die Kiste - 15 Bälle oder 20 werden abgefeuert von der Strafraumgrenze. Es wird aus allen Rohren geschossen beim Training der Argentinier. Oder besser: Nach dem Training der Argentinier. Denn als Diego Maradona das kleine Spielchen über den halben Platz abpfeift (Diego ist selbstverständlich auch Schiedsrichter), da müssen die Verlierer in Deckung gehen. „El Dios“ höchstpersönlich schiebt sie alle in ein Tor und lässt sie von der Siegermannschaft mit Bällen beschießen. Bum, bum, bum, und alle lachen. Auch diejenigen, denen die Bälle nur so um die Ohren fliegen. Keine Weicheier, nur Verlierer.

Diego Maradona mit der „Hand Gottes“ im WM-Viertelfinale 1986 gegen England.
Diego Maradona mit der „Hand Gottes“ im WM-Viertelfinale 1986 gegen England.

Ran an die Kugel

Es geht zu wie beim Straßenfußball, wenn die Argentinier hier trainieren. Diego Maradona steht mitten auf dem Platz und ist pausenlos am quasseln. Was er sagt? Man versteht es nicht, aber es muss lustig sein. Alle sind in Bewegung, und am liebsten würde Maradona selbst noch mitspielen. Die dicke Trainingsjacke, die bei ihm so lang ist wie ein Mantel, ausziehen und ran an die Kugel. Man kann sich lebhaft vorstellen, wie das vor 20 Jahren war. Mit ein paar Kilo weniger, aber bestimmt genauso lustig. Diego Maradona hat die Tore geöffnet – die Journalisten dürfen beim Training vor dem Viertelfinale an diesem Samstag gegen Deutschland zugucken. Nicht wie bei Jogi Löw immer nur in der ersten Viertelstunde, wenn man das Dehnen und das Aufwärmen beobachten darf. Sondern Maradona lässt in der letzten Viertelstunde alle rein – dann, wenn geballert wird. Schon eine Dreiviertelstunde vorher ist ein Riesen-Auftrieb draußen vor dem Tor. Gut und gerne 500 Reporter warten am Eingang. Sie kommen aus aller Herren Länder. Ein Chinese ist auch dabei – mit Mundschutz, wie bei der Schweinegrippe. Und auch wir Deutsche dürfen rein. Vorbei an sechs Ordnern, die alle die Akkreditierung prüfen.

Wo könnte man diesen Diego Armando Maradona besser beschreiben, als hier auf dem Platz? Zu seiner Zeit war er der beste Fußballer der Welt – 1986 führte er Argentinien als Kapitän zum WM-Titel. Doch das ist nur die eine Seite dieses Mannes, den sogar das Fachblatt „kicker“ als Mischung „zwischen Genie, Wahnsinn, und Witzfigur“ bezeichnet.

Und so fragte man sich selbst in Argentinien, wo man ihm alle Skandale verziehen hat: Kann dieser Maradona, dieser auf dem Platz zur lebenden Legende gewordene Fußballer, auch ein guter Trainer sein? „Diego riskiert Maradonas Mythos“, urteilte die Zeitung „La Nacion“, als der damals knapp 48-Jährige im Herbst 2008 den Posten des argentinischen Nationaltrainers übernahm.

Diego Maradana als Gaststar beim Abschiedsspiel von Lothar Matthäus im Mai 2000.
Diego Maradana als Gaststar beim Abschiedsspiel von Lothar Matthäus im Mai 2000.

Nur flüchtig hatte Maradona bis dahin zwei Vereine trainiert. Aber hatte Jürgen Klinsmann mehr Erfahrung, ehe er Bundestrainer wurde? Oder Franz Beckenbauer? Große Fußballer entscheiden oft aus dem Bauch, wenn sie Trainer werden. Und Maradona, wahrscheinlich mehr Motivator als Taktiker, ist kein Hasardeur. Er hat zwei Co-Trainer, mit denen er eng zusammenarbeitet: Einen gewissen Aljando Mancuso und seinen ehemaligen Mitspieler Hector Enrique, Teamkollege bei der WM 1986. Doch Abwehrspieler Martin Demichelis warnt davor, auch Maradonas Fachwissen zu unterschätzen. Der Bayern-Profi vergleicht ihn sogar mit Louis van Gaal: „Die Energie, die er überträgt, seine Erfahrung, auch sein Wissen, er macht das durchaus wie van Gaal und erklärt uns Dinge bis ins Detail.“ Würde jemand van Gaal unterschätzen? Eher nicht.

Im Schwitzkasten

Der argentinische Verband hat Maradona zudem noch Dr. Carlos Bilardo, den Coach der 86-er Weltmeister, als Team-Manager zur Seite gestellt. Beide sollen sich nicht besonders gut verstehen, aber davon sieht man beim Training nichts. Als Maradona vom Platz geht, nimmt er den staubtrockenen Dr. Bilardo, einen promovierten Mediziner, sogar in den Schwitzkasten. Als ob er zeigen will: Alles Blödsinn, was da behauptet wird. Schließlich gucken 500 Reporter zu.

Maradona wirkt auch vier Monate vor seinem 50. Geburtstag wie ein Kindskopf. Von seinen Trainer-Qualitäten hat noch nicht jeden überzeugt. Noch vor wenigen Tagen hat der große Brasilianer Pele, einst ebenfalls der beste Fußballer seiner Zeit, geurteilt: „Ich glaube, dass Diego Maradona kein guter Trainer ist. Er hat eine sehr ausgefallene Lebensführung, und das kommt bei einer Mannschaft nur selten gut an.“ Doch Pele und Maradona waren sich nie besonders grün, auch das muss man wissen.

Nein, hier auf dem Platz gewinnt man den Eindruck, dass es passt zwischen Mannschaft und Trainer. Lionel Messi etwa schwärmt, es sei „ein Traum, für ihn zu spielen.“ Denn Maradona tut alles für seine Spieler. Schützt und verteidigt sie nach außen, baut nach innen überhaupt keine Distanz auf, wirkt eher wie einer von ihnen. Martin Demichelis nennt ihn einen „wahren Kapitän“.

Das Training ist vorbei, hinterher ist Pressekonferenz. An diesem Tag sind nur zwei Ersatzspieler da – ungefähr so, als wenn bei den Deutschen Tim Wiese und Serdar Tasci da sitzen. Egal. Pausenlos wird gefragt – wobei die Fragen der argentinischen Reporter länger sind als die Antworten der Spieler.

Diego Armando Maradona selbst ist nicht dabei. Macht nichts. Vermutlich ist er noch auf dem Platz. Bum, bum, bum.