Johannesburg.

Diego Armando Maradona, 49 Jahre alt, vielleicht „der“ Fußballer des letzten Jahrhunderts und aktuell argentinischer Nationaltrainer mit einem makellosen Ausweis bei dieser WM (vier Spiele, vier Siege), ist geblieben, was er immer war: ein Exzentriker.

.Diego Armando Maradona
.Diego Armando Maradona

Doch das Erstaunliche daran ist hier, in Südafrika, dass Maradonas Exzentrik noch immer verblüffen kann. Selten geht es dabei um Fußball, doch auch der Sport als solcher ist nicht unbeschadet geblieben von solchen Diskussionen. Die Aussicht, auch als Coach die WM gewinnen zu können, lässt immer wieder die Frage nach seinen Fähigkeiten aufkommen. So fragte die englische Fußball-Kolumnistin Amy Lawrence: „Hat Maradonas Wahnsinn Methode?“ Eine mögliche Antwort könnte lauten: nach wie vor.

Niemand weiß, was er wirklich kann. Und vielleicht weiß er es selber auch nicht. Ihm zur Seite steht Carlos Bilardo, ein studierter Mediziner, dessen akademischer Grad in diesen Tagen noch wichtiger erscheint als der Weltmeistertitel, den er einst gewann - als bedürfe es der Wissenschaft, um Maradonas erratisches Genie zu kompensieren.

1986, als Maradona mit weitem Abstand die Konkurrenz hinter sich ließ, war Bilardo sein Trainer, vom Spiel versteht er theoretisch so viel wie Maradona es intuitiv tut. Das macht die beiden zu einem guten Duo. Und es gibt Maradona Raum, der zu sein, der er ist: der heilige Narr des Weltfußballs.

Neulich, im Trainingslager, bat ihn ein Kameramann um eine Szene. Er bekam sie. Maradona fiel vor ihm auf die Knie und flehte: „Ich sehe dich schon seit Jahren mit der gleichen Jacke. Bitte, kaufe dir eine andere.“

Auch nach dem Abpfiff des Spiel gegen Griechenland, das den Argentiniern die Maximalausbeute bescherte, ergriff er die Gelegenheit, um seinen Kritikern eins einzuschenken: „Die Journalisten sollten sich bei den Spielern entschuldigen. Wir tun unsere Pflicht, wir verteidigen die Farben unseres Landes.“ Die Spieler geben es ihm zurück: „Diego ist unglaublich wichtig für unser Team. Er hat alles erreicht, es ist ein Traum, für ihn zu spielen“, sagt Lionel Messi.

Maradonas Verhältnis zur Presse ist aber nicht gespannt genug, als dass er es sich nicht nehmen ließe, einem Reporter ein Geburtstagsständchen zu trällern. Noch immer schert er sich nicht um Konventionen, die Macht des Amtes hat ihn kaum verändern können. Sicher, die Garderobe ist eine andere: Am Spielfeldrand trägt er Anzug nach Maß, ein paar Knöpfe vom Hemd sind offen, zwei Brillanten sorgen ergebnisunabhängig für einen hochkarätigen Auftritt.

Diego Maradona.
Diego Maradona.

Wer wissen will, wie weit sich Argentinien mit seinem neuen Frontmann nach vorn gewagt hat, der muss einen Blick auf den Mann werfen, der Argentinien 2006 trainierte: José Pekerman war ein introvertierter Tüftler. Maradona hingegen vertraut dem kategorischen Imperativ des Angriffsfußballs, wenn er seiner Truppe zuruft: „Spielt.“

Alles andere scheint ihm egal zu sein. Nigerias Coach Lars Lagerbäck verweigerte er

den Handschlag nach dem 1:0 über dessen Team. Lagerbäck spielte es herunter: „Es ist nirgendwo gesagt worden, dass man es nach dem Spiel unbedingt tun muss.“

Noch immer prägt die narzisstische Ader seinen Auftritt, ein Klassiker ist die Dauerfehde mit dem daran gewiss nicht unschuldigen Pele, die sich nach dem Muster von Streitereien im Kindergarten abspielt. Maradona oder Pele – wer hat die schöneren Förmchen? „Pele sollte man ins Museum stellen“, sagte Maradona. Für einen anderen Zwölfender des Weltfußballs, den UEFA-Präsidenten Michel Platini, hatte er diese Worte: „Zu ihm habe ich ein distanziertes Verhältnis. Wir kennen die Franzosen. Sie halten sich für etwas Besseres.“

Besser, schlechter – sind dies die einzigen Kategorien für ihn? Vermutlich nicht, denn neulich erhielt er Besuch im Trainingsquartier: Estela de Carlotto, Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation „Abuelas de Plaza de Mayo“, stattete Maradona einen Besuch ab. In diesem Augenblick war der Raum nicht von Maradonas, sondern von der Aura der alten Dame erfüllt. In diesem Augenblick verschlug es selbst dem großen Maradona die Sprache.

Aus unterschiedlicher Quelle wurde glaubhaft berichtet, Maradona vertreibe sich gern die Abende allein in einer Bar in Pretoria am Stadion. Er soll Fußball geschaut und dabei einen zufriedenen Eindruck gemacht haben – als sei es ein stiller Triumph, dem ganzen Trubel endlich einmal entkommen zu sein.