Villers L’Eveque. .

Der Belgier Jean-Marc Bosman hat 1995 dafür gesorgt, dass seine Kollegen Profifußballer viel Geld verdienen. Er selbst ist dem Sieg vor Gericht tief in die gesellschaftliche Abstiegszone gerutscht.

Der schmale Backsteinturm der schmucken Kirche ragt spitz in den Winterhimmel. Die Hauptstraße von Villers L’Eveque führt an dem alten Gemäuer vorbei, an einem Bolzplatz, einer Schule, einem Altenheim, einem Supermarkt. Mehr gibt’s nicht. Kein Ort für Helden. Und doch: In diesem 1700-Seelen-Dorf nahe Lüttich lebt Jean-Marc Bosman. Der Mann, der die Fußballwelt vor 15 Jahren aus den Angeln hob.

Als Bosman vor sein geklinkertes Haus tritt, sieht er aus wie eine sympathische Version von Wayne Rooney. Das Haar ist kurz geschoren und auf der Stirn deutlich im Rückzug begriffen. Dadurch erscheint sein Gesicht runder. Unter seinen Augen zeichnen sich Ringe ab. Zwei Jahrzehnte des Kämpfens gegen die Mächtigen des Sports haben ihre Spuren hinterlassen. Der Revoluzzer des Weltfußballs wirkt müde und ausgelaugt.

Alkohol, Scheidung, Schulden

Jean Marc Bosman im Jahr 1989 für Royal FC Lüttich.
Jean Marc Bosman im Jahr 1989 für Royal FC Lüttich.

„Ich bin durch die Hölle gegangen“, sagt Bosman. „Der Alkohol war mein Weg, um Probleme zu bekämpfen und die Armut zu vergessen.“ Dem 45-Jährigen ist nicht viel geblieben seit dem Dezember im Jahr 1995, als der Europäische Gerichtshof jenes Urteil verkündete, das seinem Namen trägt. „Am Anfang begreifst du nicht, dass du gegen eine große Krake kämpfst.“

Die Krake hat ihn in die Tiefe gerissen. Alkohol, Scheidung, Schulden. Dabei wollte Jean-Marc Bosman nur eines, bevor er vor Gericht zog: Fußball spielen. Der FC Lüttich ließ ihn nicht. Jedenfalls nicht umsonst, obwohl sein Vertrag im Sommer 1990 ausgelaufen war und er nach Frankreich zum USL Dunkerque (Dünkirchen) wechseln wollte. Lüttich verlangte 800.000 Euro Ablöse. Das war dem französischen Zweitligisten zu viel, die Belgier verweigerten die Freigabe.

Bosman sah sich im Recht auf freie Wahl des Arbeitsplatzes eingeschränkt. Der Europäische Gerichtshof entschied nach fünf Jahren für ihn und kippte mit seinem Grundsatzurteil das Transfersystem: Statt maximal dreier Ausländer durften fortan beliebig viele Fußballer aus EU-Staaten eingesetzt werden. Die Ablösesummen nach Vertragsende entfielen. Durch das Wettbieten um die besten Spieler explodierten deren Gehälter.

Wenig Dankbarkeit

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Von DerWesten

Neidisch ist Bosman nicht auf diejenigen, die nach seinem Einsatz jetzt viel Geld verdienen. Aber wütend „über den Mangel an Solidarität in der Fußballszene“. Einmal, da schrieb ihm Mark van Bommel: „Wenn ich nach Bayern wechsle, dann dank Dir.“ Ansonsten spürt er wenig Dankbarkeit. Ab und zu trudeln Kleckerbeträge von seinen einstigen Kollegen auf dem Konto ein, im zweistelligen Eurobereich. Während er sich darüber in Rage redet, funkeln seine Augen. Etwas von dem alten Kampfgeist liegt darin. Aber auch: Verzweiflung.

Noch bitterere Worte hat Bosman über die Spielergewerkschaft Fifpro. Er rutscht unruhig auf seinem Stuhl, kramt in Unterlagen, holt Faxe hervor, tippt mit dem Zeigefinger auf bestimmte Stellen. „Ich bin benutzt worden“, sagt er. Bosman mag ein einfacher Mann sein, aber er ist kein Dummkopf. „Sie wollten mich nur mit auf dem Bild haben.“ Bosman, die Symbolfigur, der Türöffner. Erst nach dem Prozess erkannten Fifa und Uefa die Spielergewerkschaft an, die sich bis heute rühmt, Bosman unterstützt zu haben.

25.000 Euro jährlich über einen Zeitraum von zehn Jahren soll Fifpro Bosman mündlich angeboten haben. Dafür, dass der frühere belgische Juniorennationalspieler mit 26 Jahren seine Karriere dem Gerichtsverfahren opferte. „Ich habe das Geld nie bekommen“, so Bosman. Er erhielt nur eine Einmalzahlung von 10.000 Euro. „Geld wird Deine Probleme nicht lösen. Es ist wichtiger, dass Du Dein Leben in den Griff bekommst“, schrieb ihm Fifpro-Generalsekretär Theo van Seggelen. Bosman empfindet das als Hohn.

Pillen gegen die Depression

Vom Alkohol immerhin ist er seit zwei Jahren weg. Aber er muss Pillen nehmen, gegen die Depressionen. Mit seiner neuen Freundin Carine hat er einen acht Monate alten Sohn. Lichtblicke in einem Leben, von dem er 20 Jahre verloren hat, wie er selbst sagt.

Nun hat Jean-Marc Bosman Sorge, dass die Fifa ihre „6+5“-Regel (sechs Inländer, fünf Ausländer) durchsetzt. Er hofft, dass jemand aufsteht und sich dagegen wehrt: „Ich selbst kann es nicht mehr.“ Ein tragischer Held, der über die Mächtigen des Weltfußballs siegte und trotzdem verlor. Oder vielmehr deswegen.