Essen. Ob Gummi, Laptop oder Hügel. Über jeden Trainer wird irgendwann das Urteil lauten: schuldig. Weil es im Fußball viele Verantwortliche gibt, aber nur einer sich anbietet, auf den alles zu schieben ist.

Wenn Louis van Gaal in näherer oder fernerer Zukunft Bayern München verlassen wird, dann ist ihm ein Platz im Geschichtsbuch des Klubs sicher. Van Gaal wird sich verabschieden als der Mann, der den Rechtsfuß erfunden hat und, quasi im Vorbeigehen, auch den Linksfuß, und das nicht für das Mittelfeld oder für die Flügel der Defensive, sondern für die Innenverteidigung, was aufsehenerregend ist, weil in Deutschland die Bedeutung des rechten und des linken Fußes überall erkannt zu sein schien vor dem Eintreffen des Niederländers, nur eben nicht in der Zentrale der Verteidigungslinie.

Trainergrantlern oder Trainerprofessoren

Natürlich mutet es seltsam an, dass die Bundesliga so lange warten musste auf die Erfindung des rechten und des linken Fußes. Aber so ist es eben mit wichtigen Erfindungen, die uns von den Trainergrantlern oder Trainerprofessoren oder Trainerbeinharten beschert werden: Im Nachhinein fragt sich jeder: Hey, warum bin ich nicht darauf gekommen? Oder auch: Hey, warum bin ich nicht darauf gekommen, diesen Lucio, den Kapitän von Brasiliens Nationalelf, zu Inter Mailand und damit in die Wüste zu transferieren?

Letzeres hat ja Louis van Gaal zumindest befördert, der neue Trainer der Bayern. Er hat seine Vorstellung vom Fußball, und diese Vorstellung sieht auf der Position des linken Innenverteidigers einen Linksfuß vor und auf der Position des rechten einen Rechtsfuß. Dem Konkurrenzkampf auf nur einer Position wollte sich Lucio nicht stellen, und weil van Gaal als Nachfolger von Jürgen Klinsmann verpflichtet wurde, mit dem zuletzt alle Ziele verfehlt wurden, muss ihm zugestimmt und Lucio zugewinkt werden. Der Ex-Bondscoach ist schließlich der, dem man jetzt wirklich zutraut, eine weitere Epoche absoluter Herrschaft der Roten einläuten zu können.

Klinsmann hatten die Bayern zum Steuermann auf ihrem Dampfer erhoben, weil er als Bundestrainer für eine moderne Variante des Fußballs stand, für Leistungsdiagnostik, Gummiband, Laptop, Laktatwertermittung, Medienprofessionalismus. Warum aber wurde van Gaal geholt? Da kann man mutmaßen. Weil er einst beim FC Barcelona tätig war? Weil man beobachtet haben will, dass er „Trainerfußball” (Süddeutsche Zeitung) spielen lässt? Oder doch, weil er mit dem Außenseitertipp AZ Alkmaar die Meisterschaft in den Niederlanden gewonnen hat? Das könnte allerdings auch darauf zurückzuführen sein, dass vom großen holländischen Trio Ajax Amsterdam schwächelte und wie die Bayern erst am Saisonende einen großen Coup feierte, den Coup, Martin Jol beim Hamburger SV vom Trainerposten gelöst zu haben. Und darauf, dass Feyenoord Rotterdam mit dem Nachfolger von Bert van Marwijk nicht klar kam, der das Amt des niederländischen Nationaltrainers übernehmen durfte, obwohl er von Borussia Dortmund als faules Ei erkannt und aussortiert worden war. Und darauf, dass beim PSV Eindhoven Huub Stevens als Trainer wirkte.

Nachfolger von Huub Stevens in Eindhoven ist Fred Rutten, der bei Schalke 04 als zu pflaumenweich empfundene Trainer, und wenn es nicht um Fußball gehen würde, man könnte behaupten: Es schließt sich ein Kreis. Im Fußball aber schließen sich die Kreise nicht, sie erweitern sich. Schalke hat den Wattebausch Rutten Richtung Westen geblasen und sich Felix Magath vor die Stahlkappenschuhe geworfen. Magath war in Bayern der Vorvorgänger von van Gaal, und obwohl er als Trainer Meisterschaften und Pokalerfolge vorzuweisen hatte, soll er nicht nur aus dem Bauch heraus auf dem Arbeitsmarkt freigesetzt worden sein. Es gab auch Kritik an ihm. Lukas Podolski fand zum Beispiel, dass er bei der Nationalelf unter Klinsmann anders als im Verein unter Magath viel gelernt habe , „wie wir uns bewegen sollen, wie wir laufen sollen, das Taktische“. Poldi-Kumpel Bastian Schweinsteiger schätzt das ähnlich ein, allerdings unter van Gaal im Rückblick auf die Kurz-Ära Klinsmann: „Bisher wurde taktisch nicht so gearbeitet.“

Selten zuvor wurden Trainer-Qualitäten so kompetent eingeordnet. Das verschwurbelt die Sache besonders. Die Möglichkeit, dass auf der Basis trister Ergebnisse einer durch irgendeinen ersetzt worden sein könnte, dass auf Laptop Hügel und auf Hartei Weichei folgen könnte wie Sonnenschein auf Regen, einfach, weil nach dem Scheitern alles besonders anders sein muss, wird dadurch ausgeschlossen, dass tatsächlich bessere, passendere Fähigkeiten eingekauft worden sein sollen. Spieler, die nah am neuen Trainer sind und seine Arbeit deshalb beurteilen können, bestätigen das aber möglicherweise nur, weil sie das Lied dessen singen müssen, der die Aufstellung besorgt. Dem Essener Sport-Psychologen Doktor Dietmar Bischoff ist dagegen aufgefallen, dass „Trainer vor allem ihre eigene Persönlichkeit ausagieren“ und Vereinsverantwortliche statt der Situation des Klubs die Trainernase analysieren: „Man haut jemanden aus der eigenen Emotion heraus weg oder wegen des Drucks von außen.“ Auffällig, meint Bischoff, würde das selten, es gebe zwar Millionen Trainer in Deutschland, aber „wenn andere Verantwortliche Mist bauen, dann ist das nicht so offensichtlich“.

Wenn es nicht klappt

Zeit, all ihre schönen und selten flexiblen Vorstellungen oder Philosophien gar neuen, anderen Spielern, völlig anderen Individuen bei einem neuen Klub zu vermitteln, haben natürlich nur die wenigsten. Aber wie auch immer die einzig teuer entlohnten deutschen Trainer ihre Teams zu Was-auch-immer führen sollten, mit Spielern, die jeden Tag besser, mit Spielern, die bis zum Erbrechen rangenommen werden: Eine Funktion erfüllen sie ganz sicher auch in der vor uns liegenden Saison perfekt. Wenn es auf dem Rasen nicht klappt, dann werden sich die, die dem Heilsbringer enthusiastisch gehuldigt haben, der „externalen Schuldattribuierung” bedienen, wie es Bischoff formuliert, und dann schlägt sie, die Stunde des Sündenbocks. Innenverteidigung? Linksfuß? Rechtsfuß? War schon immer Stuss.