Essen. Pierre Huneke hat in einer Studie den Einfluss von Spieler-Bewertungen auf die Laufleistung nachgewiesen. Schlechte Noten wirken sich massiv aus.

Die Fußball-Bundesliga lässt sich mit einer Elite-Schule vergleichen. Noch befindet sie sich in den Winterferien, doch wenn sie ihren Betrieb am Freitag wieder aufnimmt, stehen gleich die ersten Prüfungen auf dem Programm. Jedes Spiel ist für die Profis wie eine Klassenarbeit, bei der es auch um einen persönlichen Leistungsnachweis geht. Für ihre Auftritte erhalten sie Noten, die aber nicht Lehrer und Lehrerinnen vergeben, sondern Journalisten und Journalistinnen.

Einzelkritiken sind ein Instrument von Reportern, mit dem sie Spieler bewerten – auf einer Schul-Skala von 1 bis 6. Dass diese Beurteilungen massiven Einfluss auf Leistungen haben können, hat Pierre Huneke in seiner Doktorarbeit nachgewiesen.

Fan von Borussia Mönchengladbach

Huneke konnte in seine Dissertation ein hohes Maß an persönlichem Interesse einfließen lassen. „Ich bin ein großer Fußballfan“, sagt er. „Ich durfte Forschung mit meiner Leidenschaft kombinieren.“ Huneke, 34 Jahre alt, aufgewachsen in Kempen am Niederrhein, ist Anhänger von Borussia Mönchengladbach. „Seit ich denken kann, war ich am Bökelberg. Im ersten Jahr im Borussia-Park hatte ich gleich eine Dauerkarte“, erzählt er.

Zum Studium zog es ihn nach Rheinhessen, an die Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz. Dort wurde Huneke, der seit Sommer vergangenen Jahres als Referent der Konzerngeschäftsführung der Funke Mediengruppe arbeitet, nach seinem Master-Abschluss Doktorand am Lehrstuhl für Organisation, Personal und Unternehmensführung. Seine Arbeit mit dem aus dem Englischen übersetzten Titel „Wie Spieler, Trainer und Funktionäre durch Medienberichterstattung beeinflusst werden“ nahm mehr als sechs Jahre in Anspruch. Eine lange Zeit für eine Untersuchung, an deren Beginn zunächst eine allgemeinere Idee stand.

Erlangte seinen Doktorgrad an der Uni Mainz: Pierre Huneke.
Erlangte seinen Doktorgrad an der Uni Mainz: Pierre Huneke. © Lars Heidrich / Funke Foto Services | Lars Heidrich / Funke Foto Services

„Erst einmal war die Überlegung zu schauen: Wie ist es eigentlich für Mitarbeiter, wenn sie regelmäßig mit Medienberichterstattung in der klassischen Presse und in den sozialen Medien konfrontiert werden? Da hat sich herausgestellt, dass personalisierte Medienberichte eine große Rolle spielen. Der Profi-Fußball hat sich dann extrem gut angeboten, weil da täglich über Spieler, Trainer und Funktionäre berichtet wird. Es ging um die Frage, wie Medienberichterstattung wahrgenommen wird und sich das Wahrgenommene auf den Einzelnen auswirkt“, erklärt Huneke.

55 Interviews zum Medieneinfluss

Um darüber etwas zu erfahren, führte er Interviews mit 55 Akteuren von der 3. Liga bis zur Bundesliga: mit Spielern, Trainern, Managern, Pressesprechern, Beratern und Journalisten. Dabei zeigte sich, dass selbst Akteure, die Medien auszublenden versuchen, dem Einfluss unfreiwillig ausgesetzt sind. Es wurde deutlich, dass Benotungen in Sportmagazinen und Zeitungen im Hinblick auf die Selbstwahrnehmung sowie die Vergleiche untereinander eine große Rolle spielen.

„Die Bewertung ist für Spieler unglaublich wichtig“, sagt Huneke. „Das fanden wir spannend. Und so haben wir uns überlegt, wie wir das quantifizieren können. Wie könnte man also herausfinden, inwiefern Bewertungen einen Spieler beeinflussen?“ Als Grundlage zog Huneke die Noten für Bundesliga-Spieler im Fachmagazin Kicker heran. „Wir haben eine riesige Datenbank aufgebaut, eine gesamte Bundesliga-Saison erhoben. Das umfasste alle Spieler, die an den 34 Spieltagen mindestens 30 Minuten spielten, weil nur ab dieser Einsatzzeit eine Kicker-Bewertung zustande kommt. Und wir haben zudem Attribute der Spieler betrachtet: Alter, Erfahrung, Position, vorherige Verletzungen. Auch weitere Einflüsse, wie zum Beispiel Spielort und Gegner, haben wir berücksichtigt.“

Je schlechter die Note, desto höher die Anstrengung

Die zentrale Frage: Wie wirkt sich die Note des vorherigen Spieltags auf die Anstrengung des Spielers beim nächsten Spieltag aus? Die Anstrengung wurde über die Laufleistung gemessen. Eine Kategorie, die im modernen, laufintensiven, schnellen Profi-Fußball einen hohen Stellenwert einnimmt. Huneke fand heraus: Je schlechter die Note für einen Spieler ausfällt, desto größer ist sein Bemühen, sich in der nächsten Partie zu verbessern.

Ein konkretes Beispiel: Ein Spieler, der eine 4 im vorherigen Spiel bekommen hat, läuft im Vergleich zu einem anderen, der zuvor eine 1 erhalten hat, in der folgenden Partie bei einem Einsatz über mindestens 90 Minuten durchschnittlich rund 400 Meter mehr. Schlechte Noten machen Profis also tatsächlich Beine. „Das alles hat unsere Basis-Annahme unglaublich unterstützt“, sagt Huneke. „Die Daten waren höchst signifikant.“

Noten für Dortmund, Schalke und Bochum

  • Auch diese Redaktion wird für Profis von drei Bundesliga-Klubs ab dem kommenden Wochenende wieder Noten vergeben. Unsere Reporter bewerten an jedem Spieltag die Leistungen der Spieler von Borussia Dortmund, Schalke 04 sowie des VfL Bochum.
  • Die Skala reicht von 1 bis 6 – auch Zwischennoten wie 3,5 sind möglich. Die Einzelkritiken umfassen aber nicht nur die Bewertungen in Zahlen, sondern auch die Begründungen. In einigen Sätzen zu jedem Profi werden also die Spielszenen erläutert, die für die Notenvergabe relevant waren.

Die Ergebnisse verknüpfte er mit der Attributionstheorie. Sie hilft zu verstehen, auf welche Ursachen Personen eine Handlung, ein Ereignis, oder ein bestimmtes Ergebnis zurückführen. Drei Fragen waren für die Arbeit nun entscheidend: Bekommt der Spieler nur von einem Medium eine negative Bewertung? Erhalten seine Mitspieler eine ähnliche Note? Und: Wurde in der Vergangenheit schon kritisch über ihn berichtet?

Drei Faktoren für Noten-Einfluss entscheidend

Huneke stellte fest: All diese Faktoren erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Spieler stärker anstrengt. Je stärker übereinstimmend ein Spieler schlecht bewertet wird, der sonst überdurchschnittliche Noten gewohnt ist, je stärker sich die Spieler-Bewertungen innerhalb der Mannschaft unterschieden und je öfter der Spieler bereits schlecht beurteilt wurde, desto größer höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er mehr läuft.

Ab Freitag, wenn die zweite Saisonserie mit der Partie zwischen RB Leipzig und Bayern München beginnt, werden die Bundesliga-Spieler wieder Noten für ihre Leistungen bekommen. Welche Profis werden sich in dieser Spielzeit noch besonders anstrengen? Pierre Hunekes Doktorarbeit kann dabei helfen, ihre Motivation zu verstehen