Essen. BVB-Chef Hans-Joachim Watzke und Schalke-Boss Clemens Tönnies trafen sich vor dem Derby bei uns zum verbalen Schlagabtausch. Ihre gemeinsame Botschaft für die Zuschauer am Samstag im Stadion: „Die Fans sollen für ihre Mannschaft schreien – aber sich nicht gegenseitig schlagen.”
Vor einem Jahr war Schalke beim Revierderby Erster und Dortmund Dritter. Was ist passiert?
Hans-Joachim Watzke: Es ist eingetreten, was wir angestrebt haben. 2006 habe ich gesagt, und viel Hohn und Spott geerntet, dass wir bis 2011 auf Augenhöhe mit Schalke sein wollen. Das haben wir hergestellt, das kann man an der Tabelle der letzten Saison ablesen. Da hatten wir neun Punkte mehr als Schalke, davor lag Schalke aber jahrelang vor uns. Wir empfinden die Situation jetzt als komfortabel.
Clemens Tönnies (schmunzelt): Wir haben höhere Ziele...
Watzke: Die hatten wir auch mal ...
Tönnies: Dortmund ist sicher besser geworden. Aber unsere Mannschaft und unser Umfeld haben den Ehrgeiz, uns da wieder zu etablieren, wo wir schon waren. Ich sehe diese Saison als eine Phase, in der wir uns orientieren, konsolidieren und schauen, was wir erreichen können.
Sehen wir nächstes Jahr wieder Europapokal im Ruhrgebiet?
Tönnies: Ja sicher, aber es ist nicht unser vordringliches Ziel, international zu spielen.
Watzke: Ich träume vom Pokal-Endspiel Berlin. Am liebsten gegen euch – dann hätten wir nämlich 'ne Chance. Realistisch: Es ist schwer, für uns und für Schalke, da brauchen wir uns nichts vorzumachen.
Haben die Klubs im Ruhrgebiet einen Wettbewerbsnachteil? Ist das Revier gar das Armenhaus der Liga?
Watzke: In Gelsenkirchen ist das ähnlich wie in Dortmund: Wir können wirtschaftlich nicht mit Regionen wie Bayern, Hamburg oder mit alimentierten Werksklubs wie Wolfsburg oder Leverkusen mithalten. Deshalb fordere ich beim Fernsehgeld ja mehr Verursachungsgerechtigkeit. Die Liga lebt schließlich von Klubs wie uns. Wir haben beide 3,5 bis 4 Millionen Fans und bringen die Zuschauer im Pay-TV an die Bildschirme. Das lässt sich messen. Das TV-Geld darf nicht nur nach Tabellenstand verteilt werden. Ich würde mich freuen, wenn Schalke das unterstützen würde.
Tönnies: Was die Verteilung der Fernsehgelder betrifft, kann ich mich Herrn Watzke nur anschließen. Da sehe ich auch Handlungsbedarf. Aber ich verstehe auch den Standpunkt der Liga. Wer oben ist, muss davon bei den TV-Geldern auch profitieren.
Watzke: Deshalb sage ich ja, 50 Prozent über den Erfolg und 50 Prozent über die Verursachung. Ich sehe es nicht ein, dass Wolfsburg in drei Jahren zehn Millionen Euro TV-Geld mehr bekommt als Dortmund und Schalke. Denen schaut doch keiner zu.
Was spricht gegen die Umsetzung?
Watzke: Der politische Handlungswille. In Vier-Augen-Gesprächen sind die großen Vereine auf meiner Seite. Wenn es aber zum Schwur kommt, wird es schwierig. Schalke will sich auch nicht mit VW anlegen, das ein Sponsor des Vereins ist.
Tönnies: Die Liga hat sich verändert, das Mäzenatentum spielt eine große Rolle. Der Herr Hopp hat sein Steckenpferd – den Fußball. VW hat ein Steckenpferd – den Fußball. Wir unterliegen wirtschaftlichen Zwängen. Das müssen wir aufnehmen und unsere Fußballwelt ein bisschen unternehmerischer aufstellen. Die Frage ist, wieviel Geld man eigentlich braucht. Natürlich ist es schön, 150 Millionen Euro Umsatz zu machen, aber man muss auch mit weniger auskommen können. Das erleben wir gerade, und das habt ihr in Dortmund hinter euch.
In den 1970er Jahren hat Schalke für den BVB mal ein Benefizspiel gemacht. Wird es bald umgekehrt sein?
Tönnies: Ein Benefizspiel macht man für Notleidende, und wir sind ja nicht notleidend. Ein Benefizspiel würde ich jederzeit für unsere Aktion Kinderträume austragen. Das wäre eine Herzensangelegenheit, und das würde ich gerne anbieten.
Herr Watzke, macht der BVB da mit? Zum Beispiel in der Saisonvorbereitung?
Watzke: Abgemacht! Hand drauf. Bei so einem guten Zweck sind wir natürlich dabei.
Herr Tönnies, wie ist es denn nun genau um Schalkes Finanzen bestellt?
Tönnies: Derzeit sind wir ganz intensiv dabei, unseren Kostenapparat runterzufahren. Wir müssen die Ausgaben wieder in Einklang bringen mit den Einnahmen. Dazu müssen wir dieses Jahr nutzen, und das schaffen wir. Im kommenden Jahr laufen dann die Verträge von einigen Spielern aus, da muss neu verhandelt werden. Aber wir kriegen die Kiste schon wieder auf eine richtig tolle Schiene. Das ist mein Ehrgeiz.
Drohen denn im Winter Spielerverkäufe? Zum Beispiel bei Rafinha?
Tönnies: Das entscheidet allein Felix Magath. Es gibt eine klare Absprache, die im Grunde aber für alle Spieler gilt: Wir müssen niemanden verkaufen, aber wenn das Angebot stimmt, sind wir gesprächsbereit. Eine Ausnahme sehe ich bei Manuel Neuer.
Würden Sie notfalls wieder mit Ihrem privaten Vermögen einspringen, wenn es bei Schalke eng wird?
Tönnies: Das brauche ich nicht.
Ausgeschlossen?
Tönnies: Ausgeschlossen. Wir haben doch nie geleugnet, dass es knapp ist. Aber wir gehen nicht kaputt. Ende. Punkt. Soll ich Ihnen mal was verraten? Wir haben in der letzten Woche alles bezahlt, alle offenen Rechnungen. Auch wenn die Zahlungsfrist noch gar nicht erreicht war. Aber ich wollte, dass Schalke aus dieser Diskussion rauskommt.
Watzke: Eines muss ich da mal sagen: Nach allem, was ich höre, sind die Ausmaße der Schalker Finanzkrise nicht mit denen zu vergleichen, die wir 2004 beim BVB hatten. Ich habe damals den Personaletat der Mannschaft von 57 auf 25 Millionen Euro runtergeschmolzen, und wir sind nicht unter Platz 9 gelandet. Außerdem: Solange Clemens Tönnies am Ruder ist, habe ich keine Befürchtung, dass etwas aus dem Ruder läuft. Allein schon seine Maßnahme, Felix Magath zu holen, war ein gigantisch guter Schachzug. Wird der eigentlich auch noch Präsident bei euch – das wäre doch mal was.
Tönnies: Jetzt hört aber auf...
Watzke: Aber ernsthaft: Magath hat eine Philosophie. Und er ist ein Stratege. Er schmeißt erst mal drei junge Spieler rein, und sein Kreditvolumen beim Publikum steigt auf einen Schlag um 35 Prozent. Nein, um Schalke muss einem nicht bange sein. Außer vielleicht am Samstag im Derby.
Herr Tönnies, ist Ihnen so viel Lob von einem Konkurrenten nicht verdächtig?
Tönnies: Wir sind beide starke Institutionen in unserer Heimat. Grundsätzlich gilt doch: Uns geht es dann gut, wenn es beiden Klubs gut geht. Wir brauchen den sportlichen Wettbewerb und die Rivalität. Auch mit den Frotzeleien kann ich super leben. Nur dieser Hass, dieses in die Fresse hauen wollen, das gehört nicht dazu.
Watzke: Ich sage es noch deutlicher: Ich will mir kein Szenario vorstellen, in dem einer unserer Klubs nicht mehr in der Bundesliga ist. Wir sind die Bundesliga. Wir bedingen uns gegenseitig.
Das klingt nach Kuschelkurs. Dabei haben Sie, Herr Tönnies, mal gesagt, dass es das zweitwichtigste Ziel von Schalke nach dem Erreichen des Europacups ist, vor Dortmund zu stehen.
Tönnies: Habe ich das wirklich so gesagt?
Watzke (lächelt): Ich dachte sogar, es sei das wichtigste Ziel...
Tönnies: Und bei euch steht doch in den Spielerverträgen, dass es das Wichtigste ist, gegen Schalke zu gewinnen. Ernsthaft: Natürlich ist es auch wichtig, zu gewinnen. Aber wir haben auch höhere Ziele. Es gibt sportliche Rivalität. Wir schenken uns nichts auf dem Platz. Wir brauchen uns nicht lieb haben. Aber eine gewisse Grundachtung muss sein.
Herr Tönnies, VIP-Tribüne oder Fan-Kurve – wo werden Sie diesmal das Derby verfolgen?
Tönnies: Ganz klar in der Kurve. Einfach, weil das riesig Spaß macht.
Vor Jahren sind Sie mal aus Protest in die Kurve gegangen...
Tönnies: Ja, damals bin ich im Ehrengastbereich auf eine Art und Weise beschimpft worden, die nicht ging.
Watzke: Das respektiere ich. Wir sollten aber nicht glauben, dass es da soziokulturelle Unterschiede gibt. Ich habe geglaubt, aus meiner 30-jährigen Karriere als Fußballer alle Schimpfwörter zu kennen. Aber in Schalke habe ich letztes Mal auf dem Weg vom Bus in die Kabine 30 neue dazu gelernt.
Klingt nach Resignation...
Watzke: Weder Schalke noch der BVB können alle Probleme dieser Gesellschaft lösen. Wir müssen aber alles tun und dieser kleinen Minderheit von Unbelehrbaren und völlig Bekloppten entgegentreten. Die haben doch kein Interesse am Fußball. Es sind autonome Gruppen, die sich vor dem Stadion tummeln und Krawall machen. Das will von uns niemand.
Tönnies: Ich sage ja nicht, dass es die und uns gibt. Lass sie doch schreien, sie sollen nur nicht schlagen. Wir müssen aufpassen, denn so etwas hat eine Langzeitwirkung. Irgendwann schicken die Eltern ihre Kinder nicht mehr zum Sportplatz. Dann leiden alle.
Watzke: Seit Jahren arbeiten wir ja im Vorfeld deeskalierend.
Könnte man auch am Samstag im Stadion etwas tun?
Tönnies: Schwierig, aber genau deswegen, um schon vorher deeskalierend zu wirken, sind wir beide hier. Die Leute sollen in Ihrer Zeitung lesen, dass wir keinen Krawall wollen.
Watzke: Es ist richtig, wenn Clemens Tönnies sagt, dass es scharfe sportliche Rivalität und hohe gegenseitige Wertschätzung gibt.
Tönnies: Das hat er schön gesagt.