Essen. Der Welt- und Europameister Paul Breitner wird 70 Jahre alt. Ein streitbarer Geist, ein schwieriger Charakter – und ein sozial engagierter Mensch

Im September 1998 kam Berti Vogts seinem Rauswurf als Bundestrainer mit einem Rücktritt zuvor. Die Nachfolge regelte der damalige DFB-Präsident Egidius Braun im Alleingang: Er holte Uli Stielike, der sich bereits als neuer Bundestrainer wähnte, bevor ihm Braun noch den Teamchef Erich Ribbeck vor die Nase setzte. Doch das war nicht das größte Missverständnis in jenem Prozess.

Am liebsten hätte Egidius Braun Jupp Heynckes nach dessen Champions-League-Sieg mit Real Madrid verpflichtet, doch der sagte wegen einer Erkrankung seiner Frau ab. Um ihn später erneut fragen zu können, kam Braun der Gedanke, einen „unabhängigen Interims-Teammanager“ zu berufen. Im Fernsehen sah Egidius Braun Paul Breitner und dachte: Der könnte es sein. „Dass er oft den DFB kritisiert hat, hielt mich nicht davon ab, ihn anzurufen.“ Breitner, der damals an seinem Wohnort Brunnthal in Oberbayern eine E-Jugend-Mannschaft trainierte, sagte spontan zu, Braun nannte die Lösung „revolutionär“.

Bundestrainer für 17 Stunden

Gerd Müller (li.) und Paul Breitner genießen 1974 den Weltmeistertitel mit einer Zigarre.
Gerd Müller (li.) und Paul Breitner genießen 1974 den Weltmeistertitel mit einer Zigarre. © Imago

Er ahnte aber, dass er damit in konservativen DFB-Kreisen „einen Schock hervorrufen“ würde. Nachdem seine Idee tags darauf wie erwartet im Vorstandszirkel nicht auf große Gegenliebe gestoßen war, wurde ihm auch noch die Münchener Abendzeitung präsentiert. Und siehe da: Paul Breitner forderte den großen Schnitt. Beim DFB müsste die gesamte Führung den Hut nehmen: „Diesen Herren geht es nur darum, mit ihren Hintern auf ihren Pöstchen zu bleiben.“

Das war’s für Braun: „Der, mit dem ich Revolution machen wollte, wollte mich gleich killen.“ 17 Stunden nach dem ersten Gespräch meldete sich Braun noch einmal bei Breitner, diesmal nur kurz: „Vergessen Sie alles!“

Eine verpasste Chance? Vermutlich wäre es auf Stress und Streitigkeiten hinausgelaufen. Denn Paul Breitner, der am Sonntag 70 Jahre alt wird, ist bei aller Kompetenz und Klasse eines nie gewesen: pflegeleicht.

Provokation und Rebellion vor der WM

Für den Ruf, ein Rebell zu sein, hatte der Bayer vor allem in jungen Jahren einiges getan, die Diplomatenschule hatte er nie besucht. Er war mit erst 22 Jahren der Rädelsführer, als ein Teil der deutschen Nationalmannschaft 1974 mit der Abreise aus dem WM-Trainingslager in Malente drohte, weil der DFB nur 30.000 Mark pro Mann für den Fall des Titelgewinns geboten hatte. Ein Jahr zuvor, da war er schon Europameister, hatte er unter einem Bild des chinesischen Kommunistenführers Mao Tse-tung posiert – pure Provokation. Und nachdem Deutschland auch durch sein Elfmetertor beim 2:1 im Finale gegen die Niederlande in München Weltmeister geworden war, trat er aus der Nationalmannschaft zurück, weil er sich mit Bundestrainer Helmut Schön überworfen hatte.

Paul Breitner 1974 mi mit dem WM-Pokal
Paul Breitner 1974 mi mit dem WM-Pokal © imago sportfotodienst

Als offensiver Linksverteidiger war der Mann mit der Wuschelmähne und den heruntergezogenen Stutzen damals ein Pionier. Günter Netzer lockte ihn zu Real Madrid, drei Jahre blieb Paul Breitner dort. Dann kehrte er spektakulär in die Bundesliga zurück: zu Eintracht Braunschweig. Doch da gehörte er nicht hin. 1978 war er wieder bei den Bayern, drei Jahre später gab er auch in der Nationalelf ein Comeback. Inzwischen als Mittelfeld-Motor, als Chefstratege.

Die Karriere nach der Karriere blieb aus

Eine Karriere nach der 1983 beendeten Karriere aber gab es nicht. Warum er nicht wie andere ehemalige Bayern-Stars Verantwortung im Klub übernahm, erklärte er vor zwei Jahren in einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung: „Ich wollte Abstand vom Fußball. Und: Ich bin eine Nummer eins. Der FC Bayern hatte in allen Positionen bereits eine Nummer eins.“ 2019 gab Paul Breitner seine Ehrenkarte zurück. Die Freundschaft mit Uli Hoeneß war schon vor Jahren zerbrochen, jetzt knallte es auch noch mit Karl-Heinz Rummenigge, nachdem der Ehrenpräsident und der Vorstands-Chef Kritik an Spielern mit der Verletzung von Menschenrechten gleichgesetzt hatten.

Paul Breitner blieb stets Paul Breitner, das muss man ihm lassen. „Es war mir immer wurscht, was die anderen über mich sagen“, betont er. Sein schwieriger Charakter aber stand nie einer warmen, menschlichen, sozialen Seite im Weg.

Organisator der Münchener Tafel

Als er 2019 in die Gründungself der Hall of Fame des deutschen Fußballs gewählt wurde, bat er die Gala-Gäste im Deutschen Fußballmuseum in Dortmund, sich zu Ehren des schwer an Alzheimer erkrankten Gerd Müller zu erheben. Paul Breitners Rede war ergreifend. Gerd Müller besuchte er bis zu dessen Tod regelmäßig.

Sozial engagiert: Paul  Breitner gibt bei der Münchener Tafel Essen an Bedürftige aus.
Sozial engagiert: Paul Breitner gibt bei der Münchener Tafel Essen an Bedürftige aus. © imago | Michael Westermann

Ihm selbst geht es gesundheitlich gut, seine Leidenschaft Laufen hält ihn fit. Mit seiner Frau Hilde, mit der er seit 50 Jahren verheiratet ist und drei Kinder hat, organisiert er die Münchener Tafel, einmal pro Woche teilen sie Lebensmittel und Mahlzeiten an Bedürftige aus. „Das macht mich sehr zufrieden mit meinem Leben“, versichert Paul Breitner. Wie schön, das mit 70 Jahren über sich selbst sagen zu können.