Manchester. Am Mittwoch kann Manchester United im Finale gegen den FC Villarreal die Europa League gewinnen. Die Fans sind dennoch wütend.
Es war eine merkwürdige Atmosphäre, die am Dienstag vor einer Woche das Old Trafford erfüllte. Zum ersten Mal seit mehr als 14 Monaten waren im größten Stadion der Premier League wieder Zuschauer zugelassen. 10.000 Menschen verfolgten die Partie zwischen Manchester United und dem FC Fulham. Die Laune des Publikums schwankte zwischen Zuversicht und Revolte. Das lag nicht daran, dass die Heimmannschaft eine wechselhafte Leistung bot und sich trotz des Traumtors von Sturm-Routinier Edinson Cavani mit einem 1:1 gegen den Absteiger begnügen musste. Die Stimmung ist grundsätzlich gespalten im Umfeld des englischen Rekordmeisters.
Das Publikum ist zufrieden mit dem sportlichen Fortschritt unter Trainer Ole Gunnar Solskjaer, dem Helden aus dem Champions-League-Finale von 1999 gegen den FC Bayern. Die Vizemeisterschaft hinter dem überlegenen Stadtrivalen Manchester City mit Finanzierung aus Abu Dhabi und die Chance auf den Gewinn der Europa League an diesem Mittwoch (21 Uhr/Nitro und DAZN) im Finale in Danzig gegen den FC Villarreal sind eine passable Saisonbilanz für den Klub, der seit dem Abschied von Sir Alex Ferguson vor acht Jahren auf der Suche nach einer Formel für neuen Ruhm ist. Anders als die seither im Old Trafford tätigen Trainer David Moyes, Louis van Gaal und José Mourinho genießt Solskjaer den bedingungslosen Rückhalt der Fan-Gemeinde.
Glazer-Familie zieht die Wut der United-Fans auf sich
Zornig ist die Kundschaft auf die Besitzer des Vereins, die in Florida ansässige Glazer-Familie. Die gescheiterten Pläne zur Super League, bei denen die United-Eigner in Person von Vorstand Joel Glazer zu den treibenden Kräften gehört hatten, hat in voller Wucht die traditionelle Ablehnung der United-Getreuen gegen die US-amerikanischen Milliardäre entfesselt. Die Glazers hatten Manchester United 2005 durch einen hoch umstrittenen "leveraged buyout" übernommen, einen Großteil des Kaufpreises auf den Klub umgelegt und ihn damit tief in die Schulden gestürzt. Seitdem, so berechnen es britische Medien, haben die Glazers den Verein rund 1,5 Milliarden Pfund (1,7 Milliarden Euro) an Verbindlichkeiten, Zinsen und Dividenden gekostet, während vom sportlichen Glanz der Ferguson-Regentschaft nur wenig übrig ist.
Auch interessant
Momentan arbeitet der United-Anhang deshalb am Umsturz. Wenige Tage nach dem gescheiterten Super-League-Experiment brachen Fans ins Trainingszentrum im Vorort Carrington ein. Anfang Mai musste die Partie gegen den FC Liverpool – nach wie vor das größte Spiel überhaupt im englischen Fußball – nach massiven Protesten inklusive Stadion-Invasion verschoben werden. United-Fans fordern die Einführung der 50+1-Regel nach deutschem Vorbild, die in England als Wunderwaffe gegen Investoren verherrlicht wird, und rufen zum Boykott der Sponsoren des Klubs auf. Die ursprünglichen Vereinsfarben Grün und Gold, seit Jahren Insignien des Widerstands gegen die Glazers, werden auch beim Europa-League-Finale in Gdańsk die Kurve der Anhänger aus England schmücken. Es brodelt bei Manchester United.
Manchester United auf dem Weg zu altem Glanz
Auf dem Platz dagegen geht es voran. Langsam zwar, zu langsam nach Meinung vieler Beobachter, für die der Klub immer noch der Inbegriff von Titeln ist, aber immerhin. Ole Gunnar Solskjaer, 48, hat mit der Vizemeisterschaft in dieser Saison ohne eine einzige Auswärtsniederlage einen Erfolg über seine vielen Zweifler erlangt. Der Gewinn der Europa League wäre sein erster Titel als United-Trainer und die erste Trophäe für den Verein seit dem Triumph in dem gleichen Wettbewerb unter José Mourinho 2017. Alle Beteiligten sind sich einig, dass ein solcher Erfolg nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu größeren Leistungen sein soll – ein Sprungbrett zu altem Glanz. “Die Europa League zu gewinnen, kann den Hunger auf mehr wecken. Wenn man etwas gewinnt, will man immer weitere Titel holen”, sagt Solskjaer.
Auch interessant
Immer weitere Titel – damit es damit klappt, wird im Hintergrund an der Zukunft gearbeitet. In England wird die Entwicklung einer Mannschaft stark an den Ausgaben auf dem Transfermarkt gemessen. Manchester Uniteds Ziel im anstehenden Wechselfenster ist, die Abhängigkeit von Spielmacher Bruno Fernandes zu verringern. Neben Englands Nationalmannschaftskapitän Harry Kane, der auf seinen Weggang von Tottenham Hotspur drängt, wird auch der Dortmunder Jadon Sancho wieder als Kandidat gehandelt. Für dessen Dienste müsste der Klub laut englischen Medien 75 Millionen Pfund (umgerechnet knapp 87 Millionen Euro) aufbringen. Ein Transfer dieser Güteklasse wäre ein Signal, dass Manchester United zurück auf großer Bühne ist – und würde dazu beitragen, den Zorn der Fans zu mildern.