Essen. Im Interview übt Nationalspieler Robin Gosens von Atalanta Bergamo Kritik am Profibusiness. Er plädiert für mehr Offenheit und Verständnis.
Aufgeben kam für Robin Gosens nie in Frage. Obwohl er mit 17 Jahren noch beim VfL Rhede im Kreis Bocholt gekickt hat, setzte sich der Emmericher im Profifußball durch. Heute ist er Nationalspieler und für Atalanta Bergamo in der Champions League am Ball. Zweifelsfrei ein außergewöhnlicher Weg, den Gosens nun in einem Buch mit dem Titel "Träumen lohnt sich - Mein etwas anderer Weg zum Profifußball" beschrieben hat.
Im Interview mit dieser Redaktion spricht der 26 Jahre alte Verteidiger offen über das Profigeschäft.
Was hätte der 16-jährige Robin Gosens gesagt, wenn ihm jemand erzählt hätte, dass er in zehn Jahren ein Buch herausbringt, in dem er über seine Erfahrungen in Nationalmannschaft und Champions League berichtet?
Robin Gosens: Er hätte gelacht und ihn für verrückt erklärt. Champions League und Nationalmannschaft waren damals gigantisch weit weg, weil ich nicht mal Teil eines Nachwuchsleistungszentrums war. Der Traum von der Profikarriere war zwar immer da. Wenn man aber mit 17 noch auf dem Dorf kickt, muss man sich im Normalfall eine Portion Realismus aneignen.
Wie entstand die Idee, schon mit 26 Jahren Ihr Leben aufzuschreiben?
Gosens: Mir wurde immer wieder erzählt, dass mein Weg in den Profifußball so einzigartig und eine Inspiration für viele junge Fußballer sei. Meine Geschichte zeigt wirklich, dass man nicht immer den gradlinigen Weg gehen muss, um Erfolg zu haben. Mindestens genauso entscheidend war aber, dass ich eine Plattform gesucht habe, um loszuwerden, was mich im Profifußball stört. Mir haben Dinge auf der Seele gebrannt, die im Fußball zu kurz kommen. Das Buch war die perfekte Plattform.
Als Sie noch beim VfL Rhede gespielt haben, waren Sie zusammen mit einem Teamkollegen beim Probetraining des niederländischen Erstligisten Twente Enschede. Ihr Kollege lehnte einen Vertrag für die U19 damals ab, weil er sein bisheriges Leben nicht aufgeben wollte. Gab es in den vergangenen Jahren Momente, in denen Sie diesen Weg beneidet haben?
Gosens: Nein. Man darf nicht vergessen, dass ich meinen Traum lebe. Ich bin Fußballprofi, habe mein Hobby zum Beruf gemacht. Seit ich sechs Jahre alt bin, träume ich genau davon. Trotzdem hätte ich nicht gedacht, dass der Profifußball auch viele negative Seiten hat. Von außen sehen viele nur, dass Profis ein vermeintlich tolles Leben führen, überall hinreisen können, viel Geld verdienen, von allen Seiten bejubelt werden – es gehört aber deutlich mehr dazu.
Zum Beispiel ständige Präsenz in der Öffentlichkeit. Ein Kapitel widmen Sie den Medien. „Warum Fußballer langweilig wirken“, heißt es.
Gosens: Ein großes Problem ist, dass es immer mehr Medien gibt, die jedes Wort auf die Goldwaage legen. Viele Sportler achten deshalb darauf, keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Sie geben zwar Interviews, sagen aber nichts. So kann ihnen danach niemand an den Karren fahren. Einige Profis haben keine Lust mehr, sich öffentlichen Diskussionen auszusetzen. Diesen Stress sparen sich viele, indem sie so wenig wie möglich von sich preisgeben.
Sie gehen da einen anderen Weg. Warum?
Gosens: Ich bin niemand, der sich verbiegt, das ist nicht meine Art. Ich habe keine Angst vor Diskussionen. Wenn ich eine Meinung habe, vertrete ich diese – egal, wer mir gegenübersteht. Wir Fußballer haben viel Reichweite und eine Vorbildfunktion, allein deshalb ist es wichtig zu zeigen, dass man sich nicht alles bieten lassen muss.
Im Buch erzählen Sie offen von Ihren Sorgen. Es entsteht dabei aber der Eindruck, als würden Sie sich dafür rechtfertigen, dass auch ein Nationalspieler Probleme hat.
Gosens: Jeder hat Probleme, aber im Fußballbusiness darf ich meine Probleme nicht zeigen, weil sie mir als Schwäche ausgelegt werden. In der Öffentlichkeit schweigen viele Profis zu diesem Thema, weil sie Angst vor den Konsequenzen haben. Ich habe das Gefühl, als würden Fußballer nicht als Menschen mit Gefühlen wahrgenommen werden, sondern als Maschinen, die funktionieren müssen. Weil wir so viel Geld verdienen, dürfen wir keine Probleme haben – so ein Schwachsinn.
Haben Sie Hoffnung, dass sich an diesem Umgang nachhaltig etwas ändert?
Gosens: Ich hoffe zumindest, dass ich für dieses Thema sensibilisieren kann. Für Fußballer ist es ein Tabuthema, über eigene Sorgen zu sprechen. Daran muss sich etwas ändern, und ich will meinen Teil beitragen.
Dazu passt, dass Sie neben der Karriere Psychologie studieren. Nach der Karriere planen Sie, Sportlern zu helfen, die mit Druck und Ängsten zu kämpfen haben. Woher kommt dieser Antrieb?
Gosens: Mein erstes Jahr in Bergamo war extrem schwierig. Ich hatte niemanden, mit dem ich reden konnte, und habe all meine Probleme in mich reingefressen. Mein Kopf war nicht frei, und auch deshalb habe ich auf dem Platz keine Spitzenleistung gebracht. In dieser Zeit habe ich angefangen, mich intensiv mit Psychologie zu beschäftigen. Von Tag zu Tag wurde der Wunsch größer, Menschen zu helfen, die ähnliche Probleme haben, wie ich sie in Bergamo hatte. Ich weiß genau, wie es ist, wenn man als Sportler in einer Krise steckt. Zu helfen, wäre mir eine Herzenssache.
Wird im Profifußball noch zu wenig mit Psychologen gearbeitet?
Gosens: Es gibt zwar immer mehr Vereine, die externe Psychologen im erweiterten Stab haben. Die Betreuung könnte und sollte aber noch ausgebaut werden. Im Fußball und in der gesamten Gesellschaft sollten wir dahin kommen, dass offen über Versagensängste oder andere Nöte gesprochen werden kann.
Welche Vorteile hätte das für den Fußball?
Gosens: Spieler könnten sich öffnen und wären freier im Kopf. Sportliche Leistungen werden durch Druck von Vereinen oder Medien nicht besser, sondern eher schlechter. In einer idealen Gesellschaft wüssten auch Medien und Fans, dass ein Spieler aktuell private Probleme und deshalb keinen freien Kopf hat. Das Verständnis für die Profis wäre viel höher und Hassnachrichten wären viel seltener – da bin ich sicher.
Wie kommt man dorthin?
Gosens: Dafür müssten wir alle an einem Strang ziehen. Medien dürften nicht mehr nur auf die Schlagzeile aus sein, Vereine müssten menschlicher mit ihren Spielern umgehen und klar zu verstehen geben, dass sie bei Problemen an ihrer Seite stehen. Doch auch die Spieler sind gefordert, auszusprechen, was ihnen auf dem Herzen liegt. Nur so kann man auch nachhaltig etwas ändern.
Welche Rolle spielen die hohen Ablösesummen und Gehälter in Bezug auf den Druck für die Profis?
Gosens: Eine große. Wenn ein Spieler für 100 Millionen Euro gekauft wird, wird jede Woche ein Tor von ihm erwartet. Wenn man diese Erwartungen nicht erfüllt, ist man für Fans und Verein schnell der Buhmann. Genauso problematisch ist allerdings auch der Druck, den sich viele Spieler selbst machen, wenn sie wissen, dass sie den Verein viel Geld kosten. Jeder Spieler will den hohen Summen gerecht werden, die für ihn gezahlt wurden.
Das Online-Portal transfermarkt.de beziffert Ihren Wert aktuell auf 35 Millionen Euro.
Gosens: Das ist für mich nicht zu greifen. Der Wert eines Menschen kann nicht in Geld aufgewogen werden. Warum soll bitte ein Mensch 35 Millionen Euro wert sein, nur weil er gut Fußball spielen kann? Haben Sie im Umkehrschluss keinen Wert, weil sie kein Fußballer, sondern Journalist sind? Ich kann dieses Missverhältnis nicht begreifen. So werden Fußballer zu einer Ware abgestempelt.
Auch die „Ware“ Robin Gosens ist aktuell begehrt. Nachdem in den vergangenen Jahren Ihre Transfers zu Schalke 04, Inter Mailand oder Leicester City geplatzt sind, sollen nun Juventus Turin und Manchester City Interesse an Ihnen zeigen. Was macht das mit Ihnen?
Gosens: Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen: Wenn mir jemand mit 16 Jahren erzählt hätte, dass eines Tages Manchester City oder Juventus anklopfen würden, hätte ich ihn für komplett verrückt erklärt. Es ist eine Ehre, mit solchen Vereinen in Verbindung gebracht zu werden und zeigt mir, dass ich in den vergangenen zwei Jahren eine gute Entwicklung genommen habe. Doch die Vergangenheit hat mich gelehrt: Solange nichts Konkretes auf dem Tisch liegt, glaube ich gar nichts mehr. Das Fußballgeschäft ist so schnelllebig.
Schon in den vergangenen beiden Jahren haben Sie mit einem Abschied aus Bergamo geliebäugelt. Ist es im Sommer endgültig Zeit für Ihren nächsten Karriereschritt?
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Gosens: Jeder weiß, dass es mein großer Traum ist, in der Bundesliga zu spielen. Wenn aus Deutschland ein passendes Angebot käme, warum nicht? Trotzdem ist auch klar, dass Atalanta mir alles ermöglicht hat, was ich jetzt habe. Dafür bin ich dem Verein unendlich dankbar. Ich habe nicht den Drang, unbedingt wechseln zu müssen
Eine gute Europameisterschaft könnte Sie für viele Klubs noch interessanter machen. Wie sehen Sie Ihre Chancen dabei zu sein?
Gosens: Ich spiele mit Atalanta eine gute Saison und glaube, dass ich mir berechtigte Hoffnungen machen darf, vom Bundestrainer nominiert zu werden – so viel Selbstvertrauen muss ich haben. Für mich persönlich wäre das die Erfüllung eines Lebenstraums. Für einen Sportler gibt es kaum etwas größeres, als sein Land bei einem solchen Turnier vertreten zu dürfen.