Lissabon. Dank eines Geniestreichs des Trainers steht RB Leipzig im Halbfinale der Champions League. Julian Nagelsmann fordert nun Thomas Tuchel heraus.
Dass Diego Simeone speziell ist, wusste Julian Nagelsmann schon vor der Partie gegen Atlético Madrid und dessen Trainer am Donnerstagabend im Viertelfinale der Champions League. Nach dem Duell war er um eine erste persönliche Begegnung reicher. Sie fand während des Kabinengangs zur Pause statt. Ein Handgemenge.
Wobei sich das meiste am Ende vermutlich doch eher verbal abgespielt hatte. RB Leipzigs Trainer wollte später jedenfalls partout weder enthüllen, wie die Keilerei im Spielertunnel zustande gekommen war, noch sagen, worum es ging. Nur so viel verriet der 33-Jährige: „Simeone ist ein absoluter Winnertyp. Geil! Er will vermutlich auch im Schnick-Schnack-Schnuck gewinnen. Ich habe dagegengehalten.“
Simeone gratuliert Nagelsmann
Zu diesem Zeitpunkt stand es 0:0. Eine Halbzeit später war die Sensation perfekt, stand der erste Halbfinaleinzug Leipzigs in der Fußball-Champions-League fest. Die Sachsen waren beim Finalturnier in Lissabon in Führung gegangen (Dani Olmo, 50.), die Spanier glichen aus (Foulelfmeter, João Felix, 71.), sieben Minuten vor dem Abpfiff dann ein abgefälschter Gewaltschuss von Tyler Adams aus 18 Metern zum 2:1 – final war der Sieg des deutschen Außenseiters gegen den Königsklassen-Finalisten von 2014 und 2016. Simeone gratulierte Nagelsmann später zu einem „verdienten Sieg“, zum Halbfinaleinzug gegen Thomas Tuchels Paris St.-Germain und gestand: „Leipzig war in allen Statistiken besser als wir!“
Wie verblüfft muss der Argentinier gewesen sein. Der Gegner war mit einigen Hypotheken in dieses Spiel gegangen: ein durchwachsenes Saisonfinale in der Bundesliga, der Verlust von Topscorer Timo Werner an den FC Chelsea und die Abwesenheit jeglicher Erfahrung, wie man K.o.-Spiele auf internationalem Parkett bestreitet. Das konnte eigentlich nicht gut gehen.
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Vor diesem Hintergrund verdichtete Siegtorschütze Adams seine Eindrücke in der dreifachen Wiederholung des Wortes „surreal“. Der US-Amerikaner spielte damit vor allem darauf an, „wie jung wir eigentlich sind“. Gerade mal etwas mehr als 23 Jahre im Schnitt. Es kam aber zu keiner Sekunde des Spiels im Lissaboner Estádio José Alvalade zum Tragen. Im Gegenteil.
Unbekümmertheit hatte Nagelsmann von seinem Personal während der Vorbereitung auf das Spiel im Badeort Estoríl gefordert. Wohlwissend, dass der Plan, den er ausgeheckt hatte, nur funktionieren würde, wenn seine Spieler nicht verkrampfen. Der 33-Jährige hatte sämtliche Schwächen des Gegners ausspioniert, vor allem seine Gassen in der ansonsten aus Beton gezimmerten Defensive, an der sich im Achtelfinale schon Vorjahressieger FC Liverpool die britischen Zähne ausgebissen hatte. Nagelsmanns vorläufiges Meisterwerk.
Bereits Mourinho bezwungen
Überhaupt: In einer Saison die Trainer-Heißsporne José Mourinho (verantwortlich bei Leipzigs Achtelfinal-Gegner Tottenham Hotspur/1:0 und 3:0) und Diego Simeone zu bezwingen, ist zuvor nur Carlo Ancelotti, Zinédine Zidane (jeweils mit Real Madrid) und Massimiliano Allegri (mit Juventus Turin) gelungen.
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Den Spaniern bröckelte die Abwehr mit jeder Minute des Spiels trotz aller Routine weg. Der Viertelfinal-Neuling Leipzig variierte geschickt zwischen zwei Formationen, einem 3-3-3-1 im Spiel mit Ball und einem 4-2-3-1 gegen ihn, agierte mit Courage und stählernen Nerven, und verschmolz so die Idee seines Trainers von Ballbesitz und Gegenpressing. So sicher in beiden Formationen hat man den Rasenball-Kader noch nicht gesehen. Ein Wunder der vergangenen drei Wochen, in denen der Coach sein Team akribisch auf den Gegner eingestellt hatte. „Wir haben den Matchplan eins zu eins umgesetzt. Alle haben auf Topniveau gespielt und sich keine Fehler erlaubt“, schwärmte später Kapitän Yussuf Poulsen.
Tuchel als Entdecker
Fehlervermeidung ist auch im Halbfinale angesagt. Der Gegner kommenden Dienstag (21 Uhr/Sky) ist ein weiteres Schwergewicht: Paris St.-Germain, trainiert vom Deutschen Thomas Tuchel, der eine tragende Rolle im nächsten Kapitel der RB-Geschichte übernimmt, die dieses Corona-Turnier über die Sachsen erzählt. Tuchel war ein Jahr lang Nagelsmanns Trainer beim FC Augsburg – und wenn man so will, auch sein Entdecker. 2007 beendete der damals 20 Jahre alte Nagelsmann aufgrund von Knieproblemen seine Karriere und wurde von seinem Coach in dessen Assistenten-Stab berufen. Er spionierte für ihn Gegner aus.
Der frühere Adlatus ließ sich diese Verbindung freilich nicht anmerken. Nagelsmann verweigerte die Zustimmung, dass das Spiel gegen den Ex ein „Trainerduell wird“, pries den Gegner um Neymar, Kylian Mbappé und Ángel di Maria als Mannschaft „voller Topstars“. Was aber nichts an Nagelsmanns Marschroute ändert. Als Leitmotiv für die Begegnung gab er aus: „Wenn man im Halbfinale steht, will man natürlich ins Endspiel.“