Essen/München. Türkgücü München ist als erster Migrantenverein im Profifußball angekommen. In NRW spielt der ranghöchste Klub gerade einmal in der fünften Liga.
Viel los ist nicht auf der Bezirkssportanlage im Münchner Osten an einem Donnerstagabend. Ein paar Jugendkicker trainieren auf einem der Rasenplätze, eine weitere Gruppe nutzt den Kunstrasen auf der anderen Seite. Dazwischen liegt das kleine Gebäude mit den Umkleiden, davor steht ein schmuckloser Plastikeimer mit Schuhputzbürsten darin. Nur das Rauschen der vorbeifahrenden Autos stört jene Feierabend-Idylle, die viele Amateurfußballer aus ihren Vereinen kennen. Tatsächlich ist hier aber ein Profiklub beheimatet, der Drittligist Türkgücü München, gerade aufgestiegen aus der Regionalliga und damit der erste Migrantenverein im berufsmäßigen deutschen Kickergewerbe.
Am 3. August beginnt die Vorbereitung auf die 3. Liga. Der Trainingsplatz wirkt aber eher wie die Anlage eines Bezirks- oder Landesligisten. „Eigentlich sollte es ein Highlight für die Stadt München sein, den ersten Migrantenverein im deutschen Profifußball zu stellen“, sagt Kaderplaner Roman Plesche. „Es verhärtet sich der Eindruck, dass es nur um den FC Bayern und 1860 geht.“ Die Geschäftsführung sitzt in einem 14 Quadratmeter kleinen Container, die Infrastruktur konnte mit dem schnellen Aufstieg nicht mithalten. „Wir sind ein etwas anderer Verein“, sagt Plesche.
Probleme in den Kreisligen
Und doch: Türkgücü München hat es in den Profifußball geschafft – und kein Verein aus Nordrhein-Westfalen. Dabei ist die Dichte an Vereinen, die von Migranten gegründet wurden, in NRW besonders hoch. Die meisten spielen in den Kreisligen, also ganz unten. Dort gibt es Probleme – aber auch Lösungsansätze. Projekte organisieren in den Fußballverbänden Integrationsbeauftragte. Wissenschaftliche Studien zur Entstehung der Migrantenvereine ab den 70er Jahren und den Folgen bis heute existieren zahlreich. Selten durften Migranten seinerzeit in den Vorständen deutscher Fußballvereine mitreden. Dann gründeten sie eigene Klubs. Inzwischen separieren sich Deutsche und ein Teil der Migranten zunehmend in der Gesellschaft, zum Beispiel in Wohnvierteln. Konflikte werden auf dem Platz ausgetragen. Ausländische Vereinsnamen wirkten „wie ein Imagesticker, der an den Vereinen klebt und den sie nicht mehr abkriegen“, sagte Migrationsforscher Stefan Metzger aus Bonn der Zeit.
28 Migrantenvereine aus NRW haben es bis in die Bezirksliga oder noch höher geschafft. Der FSV Duisburg ist als erfolgreichster Klub gerade in die fünftklassige Oberliga aufgestiegen. Noch nie hat ein Verein viertklassig gespielt. Sportchef Erol Ayar will das ändern: „Ich habe einen großen Traum. Ich will den FSV in die Regionalliga führen.“ Er formuliert das vorsichtig. Die Heimat des Vereins liegt im sozialen Brennpunkt im Stadtteil Marxloh. Die Platzanlage, die sich der FSV mit anderen Klubs teilen muss, soll für fünf Millionen Euro umgebaut werden – was aber weniger mit den Ambitionen des FSV zu tun hat. Die Anlage soll zu einer Begegnungsstätte werden. „Wir sind in einem Multi-Kulti-Stadtteil und wollen uns für die Menschen einsetzen. Da werden wir einiges bewegen“, sagt Ayar.
Galatasaray Mülheim - ein gescheiterter Versuch im Jahr 2004
Anfang des Jahrtausends gab es in Mülheim ein ambitioniertes Projekt. 2004 benannte sich der sechstklassige Verein Vatan Spor in Galatasaray um. Die großen Profis aus Istanbul kamen zu einem Testspiel, die Sitzplatztribüne des Mülheimer Ruhrstadions wurde in den Vereinsfarben Rot und Gelb angestrichen. 6000 Zuschauer sorgten für hohe Einnahmen. Ganz fix sollte es ganz weit nach oben gehen.
Doch die Ernüchterung kam schnell: Bis auf einen Satz Trainingsanzüge für die Jugendteams kam keine Unterstützung aus der Türkei, der große Klub nahm sogar eine Antrittsprämie für das Testspiel. Schnell häufte der Klub hohe Steuerschulden an – nur viereinhalb Jahre nach der groß zelebrierten Umbenennung ging der Klub in die Insolvenz.
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Viele Galatasaray-Mitglieder schlossen sich dem Mülheimer FC 97 an, den sie schnell in MFC Vatangücü umbenannten. Aber sie kehrten schnell zum alten Namen zurück. „Manche haben offenbar Probleme, einen Verein mit türkischem Hintergrund zu unterstützen. Wir möchten den Vereinsnamen durch nichts begrenzen“, sagte im Jahr 2016 der Vorsitzende Celal Cetinkaya. Imagesticker eben. Als Mülheimer FC 97 gelang nun der Aufstieg in die Landesliga.
Türkgücü München: 3. Liga nur als Zwischenstation?
Um auch in Nordrhein-Westfalen den großen Durchbruch zu schaffen, fehlt ein Unternehmer wie Hasan Kivran bei Türkgücü München. Der betont: Auch die 3. Liga soll nur eine Zwischenstation sein. Kivran hat die 2. Bundesliga als Ziel bis 2023 ausgerufen und zudem den Aufstieg zur Nummer zwei im Großraum München hinter dem FC Bayern – noch vor 1860. Früher hat Kivran selbst für Türkgücü in der Bayernliga gespielt – genau wie Cacau, der heutige DFB-Integrationsbeauftragte. 2016 stieg Kivran als Mäzen des Vereins ein. 2019 wurde die GmbH ausgegliedert – mit Kivrans Unternehmen als 99-prozentigem Gesellschafter.
Kivran hält sich medial sehr zurück. Das macht das gerade vielleicht spannendste Projekt im deutschen Fußball undurchsichtig. Konkurrenten beäugen es durchaus kritisch. Die Türkgücü-Bosse hoffen, in der 3. Liga türkischstämmige Fans zu gewinnen – vor allem, wenn es nach NRW geht. „Wenn wir auswärts spielen, zum Beispiel in Duisburg, Uerdingen oder Köln, wird das oft zu einem Heimspiel werden“, glaubt Plesche, „das gab es so noch nie, und das ist attraktiv für Sponsoren deutschlandweit.“ Die Heimspiele finden teilweise im Olympiastadion statt – wo Gerd Müller 1974 Deutschland zum WM-Titel schoss.